In Kaufbeuren hallt das Klackern der Schreibmaschine durch das Müllergäßchen, in Erinnerung an Widerstandskämpfer Johann Schaudig, der Schriftsetzer war. Schauspieler der Kulturwerkstatt veranschaulichen die Biografien.
Bild: Harald Langer
In Kaufbeuren hallt das Klackern der Schreibmaschine durch das Müllergäßchen, in Erinnerung an Widerstandskämpfer Johann Schaudig, der Schriftsetzer war. Schauspieler der Kulturwerkstatt veranschaulichen die Biografien.
Bild: Harald Langer
Johann Schaudig, Leo Lutz, Michael Rauch, Klemens Sailer, Johann und Karolina Schmid (später Trimmel), Josefa Bühler, Maria Faber, Josefa Fries, Xaver Rager: Sie alle haben unter dem NS-Regime gelitten, sind eingesperrt oder getötet worden. Damit ihre Namen nicht in Vergessenheit geraten, hat Künstler Gunter Demnig ihnen Stolpersteine gewidmet, die nun an ehemaligen Wohn- und Arbeitsorten in Kaufbeuren und Irsee verlegt wurden.
2019 hat sich der Kaufbeurer Stadtrat für diese Form des Gedenkens entschieden, was Oberbürgermeister Stefan Bosse in seiner Ansprache befürwortete, da so die Erinnerungskultur hochgehalten werde. Die sechs Menschen, die nun auf Stolpersteinen in der Altstadt verewigt sind, waren der Kopf der kommunistischen Widerstandszelle in Kaufbeuren.
Es sei bemerkenswert, dass eine so kleine Stadt einen so gut vernetzten Widerstand hatte – darum sollten die Strippenzieher gewürdigt werden, erklärte Petra Weber. Die Biografien, die die Leiterin des Stadtmuseums vortrug, eint: Alle widersetzten sich dem NS-Regime, wofür sie inhaftiert wurden. Eine Jugendgruppe der Kulturwerkstatt begleitete die Stopps schauspielerisch – und sorgte dabei für emotionale Momente.
Etwa in der Kaiser-Max-Straße, wo fortan an Leo Lutz erinnert wird. Der Bauhilfsarbeiter trat 1931 der „Roten Hilfe“ bei, einem Netzwerk, das inhaftierte Genossen und deren Angehörige unterstützt hatte. Wenig später wurde er selbst zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er beim Verkauf der kommunistischen Zeitschrift „Roter Faden“ erwischt wurde. Nach seiner Freilassung wurde er der Kopf der illegalen Ortsgruppe der KPD. Als dieser pflegte er regen Austausch zu anderen Gruppen – etwa zu der in München, die von einem Spitzel der Gestapo unterwandert worden war. So flog die Widerstandszelle auf. 1936 wurden 17 Personen aus Kaufbeuren verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu Haftstrafen verurteilt.
Leo Lutz ließ Frau und Tochter zurück und kehrte neun Jahre lang nicht zurück. 87 Jahre später ist diese Tochter, Josefa Jones, 93 Jahre alt – und lauscht gerührt der Biografie ihres Vaters. Die Schauspieler der Kulturwerkstatt stellten eine Szene nach, die Josefa Jones nie vergessen hat: Beim Besuch im Gefängnis musste sie einen Strauß Gänseblümchen, den sie dem Vater schenken wollte, abgeben. „Solche Geschichten sind in keinem Archiv zu finden“, sagte Petra Weber, ehe die rund 60-köpfige Gruppe zum nächsten Erinnerungsort zog.
Archive habe Weber für die Recherche jedoch viele besucht: vom Stadtarchiv bis zum Bundesarchiv in Berlin, wo Anklageschriften der unter dem NS-Regime Inhaftierten aufbewahrt werden. Geholfen habe ihr eine interessierte Kaufbeurerin. Die Ergebnisse sollen im dritten Band des Buchs „Kaufbeuren unter dem Hakenkreuz“ veröffentlicht werden, sagte Weber – da sei mehr Platz als auf einem Stolperstein.
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Davon seien auch noch weitere in der Stadt angedacht. Weber würde es freuen, wenn sich auch Schulen für eine Projektarbeit begeistern ließen. Aktuell werde an der App „Kaufbeurer Stolpersteine – Ein Rundgang gegen das Vergessen“ getüftelt, die Lebensläufe und Fotos beinhaltet.
Die Verlegung in Irsee am Montagabend fokussierte sich auf vier Opfer der NS-„Euthanasie“ in der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt: Josefa Fries und Josefa Bühler wurden nach Grafeneck deportiert, Xaver Rager ins Vernichtungslager Hartheim. Maria Faber wurde Opfer der dezentralen „Euthanasie“ in Irsee.
Die vier Schicksale stehen „stellvertretend für die 1218 Menschen, die in der Anstalt in Irsee zwischen 1933 und 1945 zu Tode kamen“, betonte Bezirkstagsvizepräsidentin Barbara Holzmann in der Zeremonie. Die Stolpersteine seien „kollektive Zeichen des Nachdenkens über unsere eigene Geschichte.“ Angehörige berichteten offen, über die Traumatisierungen ihrer Familien. Detaillierte Lebensläufe sind hier auf der Internetseite des Klosters abrufbar.
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