Zuletzt haben in Bayern rund 33.000 Schülerinnen und Schüler das Abitur gemacht. In diesem Jahr wird das aber anders sein. Denn 2017 beschloss der Bayerische Landtag die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium - das G8 war damit Geschichte. In der Praxis bedeutet das: Im Freistaat wird es heuer kein flächendeckendes Abitur geben. Voraussichtlich nur 5000 junge Menschen werden das Abitur laut Medienberichten machen. Was bedeutet das für die Region, die Betriebe, Unternehmen und die Hochschule Kempten?
Schulen: Die Schülerinnen und Schüler, die heuer Abiturprüfung machen, sind zum Beispiel diejenigen, die ein Jahr im Ausland waren oder die im vergangenen Jahr die Tests nicht bestanden haben. Außerdem gibt es Jugendliche, die über die Real- oder Mittelschule auf das Gymnasium kommen, um dort das Abitur zu machen, berichtet Claudia Scharnetzky, Schulleiterin am Allgäu-Gymnasium (AG) in Kempten. Das AG ist eine der Auffangschulen, die es nun im Freistaat gibt und an denen Schüler in einer Region gebündelt werden, um dort Abitur zu machen. „Normalerweise haben wir pro Jahrgang zwischen 100 und 120 Abiturienten“, sagt Scharnetzky. Heuer seien es etwa 50.
Kaum Abiturienten: Hochschule Kempten erwartet weniger Erstsemester
Hochschule Kempten: Machen weniger Schüler das Abitur, gibt es auch weniger neue Studierende an den Hochschulen und Universitäten. Darauf stellt sich die Hochschule Kempten ein, teilt Leiter Professor Wolfgang Hauke mit. Er geht aktuell davon aus, dass etwa 30 bis 35 Prozent weniger Erstsemester starten. Wie reagiert die Hochschule auf die Situation? „Wir machen vermehrt auf unsere Studiengänge aufmerksam, die ein Alleinstellungsmerkmal haben“, sagt Hauke, etwa mit Blick auf den Studiengang Game-Engineering. Die Hochschule bewirbt also ihr Angebot verstärkt im benachbarten Baden-Württemberg. Dort gibt es wie gewohnt Abiprüfungen. Außerdem gehe im April die Bewerbungsphase los. Hauke und seine Kollegen schauen sich die Zahlen genau an, um absehen zu können, wie sich der „ausfallende“ Jahrgang auswirkt. „Wichtig ist für uns: Wenn das ein sehr starker Rückgang wäre, der beschäftigt uns dann vier Jahre lang“, sagt Hauke. Denn dieser dünnere Jahrgang zieht sich durch die weiteren Semester hindurch. Ob aber wirklich so viele junge Menschen heuer kein Studium beginnen, sei ungewiss. Denn Zahlen genau vorherzusagen, ist laut Hauke schwierig: Zum Beispiel gibt es Schüler, die im vergangenen Jahr Abitur gemacht haben. Sie sind dann aber nicht zum Studieren gegangen, sondern haben Praktika gemacht oder sind verreist. Heuer steigen sie dann ins Studium ein.
Freiwilligendienste: Von jungen Menschen und Abiturienten profitieren auch Institutionen wie das Bayerische Rote Kreuz. Nicht wenige steigen nach dem Abitur in ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder in den Bundesfreiwilligendienst (BFD) ein, arbeiten also zum Beispiel in der Altenpflege. Robert Augustin, Bezirksgeschäftsführer des BRK Schwaben, sagt: „Für uns ist es elementar, dass wir junge Menschen gewinnen.“ Und der große Teil derjenigen, die ein FSJ oder ein BFD machen, seien Abiturienten, berichtet er. Machen weniger Menschen das Abitur, entstehe eine Lücke, dies „sei kaum aufzufangen“, sagt Augustin. Es gehe aber nicht nur um einen Freiwilligendienst. Denn wer zum Beispiel während seines FSJ in der Altenpflege arbeitet, steigt womöglich anschließend auch in den Beruf ein und macht eine Ausbildung in dem Bereich - oder engagiert sich ehrenamtlich beim Bayerischen Roten Kreuz.
Handwerk: „Wir rechnen mit weniger Azubis“
Handwerk: „Wir rechnen mit weniger Azubis“, sagt Sascha Schneider von der Handwerkskammer Schwaben. Der Anteil von Abiturienten mache im schwäbischen Handwerk im Schnitt etwa 17 Prozent aus. Für die nächsten zwei Jahre müssten die Betriebe mit der Situation umgehen. „Danach entspannt sich die Situation“, sagt Schneider. Er betont aber: „Wir haben im Handwerk insgesamt zu wenig Nachwuchs, auch abgesehen von der Umstellung auf G9.“ Es brauche dringend mehr junge Menschen, um Zukunftsaufgaben wie die Energie- und Wärmewende zu stemmen.
Industrie: Auch die Industrie- und Handelskammer spricht von „deutlichen Auswirkungen“ auf dem Ausbildungsmarkt. Der Anteil der Auszubildenden mit Hochschulreife in Bayerisch-Schwaben liegt derzeit bei gut 15 Prozent, viele Abiturienten absolvieren zudem ein duales Studium, sagt Regionalgeschäftsführer Bjön Athmer. Viele Unternehmen hätten sich auf den ausfallenden Abi-Jahrgang vorbereitet: Laut einer IHK-Umfrage haben 83 Prozent der Betriebe im vergangenen Jahr genauso viele oder mehr Ausbildungsplätze angeboten. Vor allem in kaufmännischen Berufen werden „traditionell viele Auszubildende mit Hochschulreife eingestellt, etwa bei Banken oder im IT-Bereich“, erläutert Athmer. Die IHK rechnet mit Blick auf den Abschluss neu eingestellter Azubis mit Folgendem: Unternehmen werden voraussichtlich Absolventen der Fachoberschulen oder Realschulen in klassischen Abi-Berufen einstellen. Der fehlende Abi-Jahrgang sei aber nicht das einzige Problem auf dem Ausbildungsmarkt: Der demografische Wandel sorgt für einen weiteren Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern.
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