Anfang der 1990er Jahre erlebte das Allgäu einen nie dagewesenen Müllnotstand: Man wusste nicht mehr, wohin mit dem Abfall. Wie hat der Kemptener Zweckverband für Abfallwirtschaft (ZAK) den Weg aus dieser Misere gefunden?
GEBHARD KAISER : Die Deponien waren voll, der Müll konnte nicht mehr abgeholt werden. Wir mussten schnellstens schauen, wo man überhaupt noch etwas unterbringen kann. Die Devise lautete, Müll wiederzuverwerten. Und wo das nicht möglich ist, ihn weiter zu verbrennen. Damals entstand eine große Auseinandersetzung, weil es massive Gegner der Müllverbrennung gab. Doch alle politischen Parteien und Gruppierungen sind im ZAK damals zusammengestanden.
KARL-HEINZ LUMER : Das ist ja immer so: Erst wenn die Not groß ist, ändert sich etwas. In den 1980er Jahren war der Müllberg ständig angewachsen. Damals wurde noch fast nichts getrennt. Die Recycling-Quote lag bei zehn Prozent, heute sind es 70 Prozent. Bei uns hat sich die Lage damals noch verschärft, weil zwei alte Müllöfen aus Umweltschutzgründen abgeschaltet werden mussten. Die Pläne für eine neue Müllverbrennung haben zu dieser Zeit massiven Widerstand ausgelöst.
KAISER: Im Raum Kempten wurden 20.000 Unterschriften gesammelt. Es gab damals noch die Befürchtung, dass die Müllverbrennung gesundheitsschädlich sei. Bei mir daheim gab es nachts sogar Drohanrufe, das ging weit ins Persönliche. Auch die Mehrheit des Kemptener Stadtrates war dagegen. Da braucht es schon Kraft, um das durchzusetzen.
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Was gehörte neben dem Müllofen zum neuen Abfall-Konzept?
KAISER : Wir haben 38 Wertstoffhöfe, zwei Kompostwerke und einen großen Kompostplatz gebaut.
LUMER: Wir mussten von den Menschen verlangen, Abfall zu trennen und so mitzuhelfen, die Restmüll-Mengen zu reduzieren. Aufgrund unserer Not waren wir da schneller als andere Regionen in Bayern. An der Müllverbrennung werden wir auch künftig nicht ganz vorbeikommen. Es gibt ja beispielsweise viele Produkte, bei denen eine Wiederverwertung nicht sinnvoll ist, zum Beispiel verschmutztes Plastik. Das muss weiter verbrannt werden.
Wie weit ist man in all den Jahren bei der Müllvermeidung gekommen?
LUMER : Die Müllmengen sind eigentlich immer größer geworden, aber es ging auch immer mehr in die Verwertung. Als Verband können wir aber nur versuchen, ein Bewusstsein zu schaffen. Handeln müssen die Bürger dann selbst. Ein gutes Beispiel sind unsere Kaufhäuser, in denen Gebrauchtwaren verkauft werden. Das ist auch eine Form von Müllvermeidung.
Waren es aber letztlich nicht die Gebühren, die viele Menschen zu mehr Mülltrennung veranlasst haben?
KAISER: Ja, der Geldbeutel ist immer ein wichtiger Punkt. Die Gebühren mussten damals drastisch erhöht werden. Wir haben aber beispielsweise auch gesagt: Wenn ein Fünf-Personen-Haushalt mit einer 40-Liter-Restmülltonne auskommt, dann hat er natürlich auch einen finanziellen Vorteil. Wir kamen nur weiter, weil wir die belohnten, die einsparen. Das Bewusstsein für die Trennung von Abfall ist nicht zuletzt deshalb stark gestiegen.
Zur Person
Gebhard Kaiser stand fast 35 Jahre lang als Vorsitzender an der Spitze des Zweckverbands für Abfallwirtschaft Kempten (ZAK). Nun hat er sein Amt an den Kemptener OB Thomas Kiechle abgegeben. Ebenfalls seit Anfang der 1990er Jahre arbeitete Karl-Heinz Lumer als Geschäftsführer beim ZAK. Sein Nachfolger ist Andreas Breuer.
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Eine wichtige Rolle spielen hier die Wertstoffhöfe. Doch mancher Bürger ist nicht begeistert, dass er die Plastikabfälle dorthin bringen muss und es im ZAK-Gebiet keine gelbe Tonne gibt.
LUMER : In einer gelben Tonne befinden sich bis zu 50 Prozent Restmüll. An den Wertstoffhöfen ist diese Quote viel geringer, sie liegt bei etwa fünf Prozent.
KAISER: Jetzt spielt auch eine Rolle, dass Abfuhrunternehmen einen großen Fahrermangel haben. Das ist ein weiterer Grund, nicht noch eine Tonne einzuführen.
Die Zuständigkeit des ZAK erstreckt sich auf Kempten, das Oberallgäu und den Kreis Lindau. Gibt es Überlegungen, das Gebiet zu vergrößern? Es wird ja beispielsweise auch Müll aus dem Ostallgäu verbrannt.
LUMER : Man könnte theoretisch erweitern. Wer aufgenommen wird, müsste aber relativ hohe Eintrittsgebühren bezahlen: Unsere Infrastruktur ist einiges wert. Unabhängig davon kooperieren wir mit Nachbar-Landkreisen. Unsere Müllverbrennung ist nun aber an der Kapazitätsgrenze, allein deshalb wäre eine Erweiterung aktuell gar nicht möglich.
Der Zweckverband ist nicht nur Müllentsorger, sondern inzwischen auch Energieversorger. So betreibt der ZAK etwa eine 56 Kilometer lange Fernwärme-Leitung in Kempten. Was ist noch geplant?
LUMER : In Kempten gibt es noch einige Gebiete, in denen ein Fernwärme-Ausbau sinnvoll wäre. Da sind wir im Gespräch mit der Stadt. Zudem ist in Kempten ein Holz-Heizkraftwerk geplant. Und wir beteiligen uns an Photovoltaik- und Windkraft-Anlagen.
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Der ZAK wollte auch Wasserstoff erzeugen – mit Strom aus dem Müll- und Holzheizkraftwerk. Warum ist daraus nichts geworden?
LUMER : Vor einigen Jahren gab es Rückenwind aus der Politik für solche Projekte. Ziel war es, dass Busse und Lastwagen mit Wasserstoff fahren. Wir hatten auch bereits einen genehmigten Produktionsstandort. Doch dann entschied die Bundesregierung plötzlich, dass der Anteil an grünem Strom höher sein muss. Da waren wir raus, das hat uns frustriert.
KAISER: Eine Chance könnte sich aber auftun‚ falls wir beim aus Photovoltaik und Wind erzeugten Strom genug Überkapazitäten haben. Das wäre dann grüner Strom im Sinne der aktuellen Definition.
Wir haben über eine Reihe von Erfolgen des ZAK gesprochen. Was aber ist Ihnen nicht gelungen?
KAISER: Da komme ich auf ein Thema von vorhin zurück. Ich hätte den ZAK gerne als größeren Verbund mit mehr Gebietskörperschaften gehabt. Aber das war leider nicht möglich, als ich es damals angestrebt habe.
Wie wird der ZAK in zehn Jahren aussehen?
LUMER : Man wird ihn noch wiedererkennen. Es gibt nach meiner Einschätzung eine behutsame Weiterentwicklung dessen, was wir jetzt schon machen. Die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ist da an erster Stelle zu nennen.
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