Frühlingsgefühle

Regen bedrückt, Sonne macht glücklich? Ganz so einfach ist es laut einem Kemptener Psychiater nicht

Im Frühjahr haben Menschen laut Beziehungscoach Martina Prestele aus Waltenhofen mehr Lust, Neues auszuprobieren.

Im Frühjahr haben Menschen laut Beziehungscoach Martina Prestele aus Waltenhofen mehr Lust, Neues auszuprobieren.

Bild: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild)

Im Frühjahr haben Menschen laut Beziehungscoach Martina Prestele aus Waltenhofen mehr Lust, Neues auszuprobieren.

Bild: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild)

Mehr als auf das Wetter kommt es bei Frühlingsgefühlen auf soziale Faktoren an. Die helfen auch bei der Suche nach der Liebe – ob zu sich selbst oder anderen.
22.05.2023 | Stand: 18:58 Uhr

Einen Kaffee auf der Terrasse genießen, mit dem Rad in die Berge oder an einen See fahren, mit Freunden die Grillsaison einläuten: Kaum kommt die Sonne hervor, erscheint das Leben oft ein bisschen leichter – vor allem nach Wochen, die in Kempten und dem Oberallgäu vor allem von Regen geprägt waren.

Ein Phänomen, das sich auch medizinisch erklären lässt. Und doch sagt Prof. Markus Jäger, Psychiater und ärztlicher Direktor am Bezirkskrankenhaus Kempten: „Es gibt Frühlingsgefühle natürlich, aber sie sind nicht so stark, dass sie sich auf psychische Erkrankungen auswirken.“

"Wer zuvor an einer Depression litt, dem werden Sonnenstrahlen alleine nicht helfen"

Wer also zuvor an einer Depression litt, dem werden Sonnenstrahlen alleine nicht helfen. „Viele Menschen verspüren allerdings mehr Antrieb und Euphorie in dieser Jahreszeit“, sagt Jäger. Vor allem das Licht mache den Unterschied. Aufgenommen über die Augen hemmt es die Ausschüttung von Melatonin – das Hormon reguliert den Schlaf-Wach-Rhythmus und beeinflusst so die Müdigkeit. Gleichzeitig stimuliert Sonnenlicht die Serotonin-Produktion – auch bekannt als „Glückshormon“. Jäger rät jedoch dazu, diesen Umständen nicht zu viel beizumessen: „Entscheidender sind die Auswirkungen sozialer Faktoren.“

Neue Hobbys und Leidenschaften entdecken - und so eigene Freude finden

Diesen Eindruck teilt Beziehungscoach Martina Prestele aus Waltenhofen: „Die Menschen, die jetzt zu mir kommen, suchen mehr Kontakte in ihrem Leben. Auch mehr Kontakt zu sich selbst.“ Im Winter neigten viele dazu, sich von eigenen Problemen abzulenken und diese zu verdrängen. Der Frühling sei hingegen eher mit dem Wunsch nach einem Neuanfang verbunden, zum Beispiel einer neuen Beziehung, sagt Prestele. „Viele Singles sehnen sich im Winter nach einem Partner oder einer Partnerin. Im Frühjahr scheinen sie aber mehr Tatendrang zu haben, das auch aktiv anzugehen.“

Doch was können Frühlingsgefühle für die Liebe tun? Prestele rät grundsätzlich dazu, der Lust auf Neues nachzugehen – dabei müsse es nicht zwingend um die Suche nach einem Partner oder einer Partnerin gehen. „Wer generell Anschluss sucht, kann diesen zum Beispiel bei Sportkursen und Konzerten finden“, sagt sie. Dabei könnten auch Singles laut Martina Prestele ihren Blick öffnen. Denn besser sei: „Nicht zwanghaft suchen und etwa nur auf Oberflächliches achten, das grenzt den Radius nur ein.“

Hitze und Trockenheit sorgen laut Kemptener Psychiater für mehr Aggressivität

Vielmehr gehe es darum, das zu tun, was einem selbst Freude bringt. Prestele sagt: „Das kann zum Beispiel eine Radtour sein oder eine Wanderung, aber auch mehr Zeit mit Freunden zu verbringen.“ Kleinere oder größere Projekte und Aktivitäten anzugehen, falle Presteles Erfahrung nach vielen Menschen bei Sonne und wärmeren Temperaturen leichter. „Und ganz nebenbei können Menschen, die sich eine Partnerschaft wünschen, dabei Gleichgesinnte kennenlernen.“

Bei zu viel Sonnenschein und hohen Temperaturen könne der Sommer allerdings auch zur Belastung werden. Prof. Jäger sagt: „Bei Hitze und langen Trockenperioden ist die Situation oft besonders angespannt.“ In den vergangenen Jahren hat sich laut dem Psychiater eine Tendenz abgezeichnet, die sich angesichts des Klimawandels festigen könnte: Die aggressive Stimmung steige – oft in Verbindung mit Alkohol. Auch habe das Bezirkskrankenhaus mit mehr Fällen körperlicher Gewalt zu tun. Vor allem bei älteren Menschen führe Hitze außerdem zu einem verwirrten Zustand, wenn sie zu wenig trinken.

Was wohl passiert, wenn der verregnete Frühling weiter anhält? Jäger sagt: „Davon geht die Welt nicht unter.“ Ein Gedanke könne helfen, diese Ansicht zu teilen: „Uns und der Natur tut der Regen auch gut.“