An diesem Turm scheiden sich die Geister. Die einen finden ihn toll, andere halten ihn für überflüssig. Manche kritisieren die 2,2 Millionen Euro Baukosten als zu teuer, Befürworter finden das Geld gut angelegt. Jetzt steht er da und viele Besucherinnen und Besucher der Landesgartenschau in Wangen steigen gern die 113 Stufen der innen liegenden Stahlspindeltreppe nach oben, um auf die Stadt herab- oder in die Berge hineinzublicken. An klaren Tagen ist ein Panorama mit Allgäuer, Vorarlberger und Schweizer Gipfeln zu bewundern.
22 Meter schraubt sich der hölzerne Aussichtsturm in die Höhe, wegen Kritik aus der Bürgerschaft fünf Meter weniger hoch als ursprünglich geplant. Und weil er auf einem Hügel über den Auen der Argen thront, ist er für Besucherinnen und Besucher der Landesgartenschau zu einer Attraktion und unübersehbaren Landmarke geworden. Ein Erlebnis für Augen und Beine.

Aber der Turm dürfte auch für Fans von Baukultur und Bauphysik interessant sein. Er verblüfft nicht nur mit einer eleganten Gestalt. Nach Angaben der Landesgartenschau-Organisatoren ist es der weltweit erste begehbare Turm mit einer speziellen, nachhaltigen Holzkonstruktion, die aus dünnen, gekrümmten Platten besteht, deren Form sich beim Trocknen verändert und so dem Bauwerk einen raffiniert geschwungenen, skulpturalen Wuchs geben. Ein Selbstformungsprozess, den die Konstrukteure der Natur abgeschaut haben. Der Turm, den die Stadt Wangen in Kooperation mit der Universität Stuttgart konstruieren und errichten ließ, soll zeigen, was die Architektur von der Natur lernen kann. Vermutlich wird er auch nach dem Ende der Gartenschau im Oktober Menschen faszinieren und Touristen aus der malerischen Wangener Altstadt hinaus in die Flussauen locken.
Der Pavillon hat ein wellenförmig geschwungenes Dach
Wie prickelnd Architektur, die auf Natur und Nachhaltigkeit baut, aussehen kann, zeigt ein weiteres „Zukunftsgebäude“ der Landesgartenschau. Es liegt in den Wiesen unterhalb des Aussichtsturms, und wer von dort oben heruntersteigt, hat einen wundervollen Blick darauf. Gemeint ist der fast 400 Quadratmeter große Pavillon aus Holz-Naturfaser, wo unter anderem der Landkreis Ravensburg sich und seine Projekte präsentiert. Von außen betrachtet fasziniert das wellenförmig geschwungene Dach mit einem Durchmesser von rund 25 Metern, innen besticht das dank seiner großen, von anthrazitfarbenem Stahl strukturierten Fensterflächen transparent wirkende Gebäude mit einem ungewöhnlichen Raumgefühl.

Auch hier hat die Universität Stuttgart mit den beiden Professoren Achim Menges und Jan Knippers Wegweisendes geschaffen. Die charakteristische Silhouette des Pavillons wird durch eine von Flachsfasern gestützte Holzkonstruktion konturiert, aus deren Mitte ein Baum wächst. Die weltweit einzigartige Struktur sei hocheffizient und außergewöhnlich leicht, versichern die Professoren. Die Fasern aus dem Naturmaterial Flachs seien erneuerbar, biologisch abbaubar und regional verfügbar. Wie beim Turm wurden auch beim Pavillon modernste Computertechnologien und Konstruktionsprinzipien aus der Natur zu einem neuartigen Bausystem zusammengeführt. Er sei ein wichtiger Schritt hin zu einer klimaneutralen Bauweise, sagt Jan Knippers. Die Nutzung nach der Gartenschau laut Wangens Oberbürgermeister Michael Lang noch offen. Ideen gebe es bereits.

Diese beiden Leuchtturm-Gebäude sind allein schon einen Spezialbesuch auf der Landesgartenschau in Wangen wert – nicht nur für Fans von Baukultur. Aber es gibt noch mehr an sehenswerter Architektur. Die Großveranstaltung, auf die sich Wangen seit vielen Jahren vorbereitete, hat die Stadt nämlich auch inspiriert, das sogenannte Erba-Viertel zu revitalisieren. Das Areal, wo bis 1992 eine Spinnerei und Weberei Stoffe produzierte, war zur Industriebrache geworden. Die maroden Gebäude mit ihrem historischen Flair sind saniert und aufgemöbelt worden. Nun gibt es dort zeitgemäß gestaltete Wohnungen, Büros, Werkstätten und Veranstaltungsräume. Eine Genossenschaft sanierte zudem ehemalige Wohnquartiere und schuf neue Bauten. Einfache Häuser sind an das Areal angedockt worden, wo Familien – auch mit kleinerem Budget – sich einnisten können. Alles in allem ein neues Zuhause für 1500 Menschen.
Der künftige Kindergarten besticht mit einer reliefartigen Holzfassade
Ganz in der Nähe und in die Landesgartenschau integriert ist ein weiteres Wohnbaugebiet mit Mehrfamilienhäusern, Reihenhäusern und einem Kindergarten entstanden, ebenfalls in Holzhybridbauweise. Während die Wohnungen zum Gutteil bezogen sind, wird der Kindergarten mit seiner reliefartigen Holzfassade erst einmal für Ausstellungen genutzt.
Die Landesgartenschau läuft bis 6. Oktober 2024, geöffnet ist sie täglich von 9 bis 19 Uhr.