In seinem Roman „Unterwerfung“ zeichnet der französische Schriftsteller Michel Houellebecq eine Gesellschaft, in der Bürger nur noch zwischen rechtsextremen und islamistischen Mehrheiten wählen können. Sein kontrovers diskutiertes Buch erschien am 7. Januar 2015. An dem Tag verübten islamistische Terroristen einen blutigen Anschlag auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo in Paris. Der provokante Roman, der nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, beschreibt eine nahe Zukunft, in der ein muslimischer Politiker zum Präsidenten gewählt wird, um einen Wahlsieg des rechtsextremen Lagers zu verhindern. Koran und Scharia bestimmen fortan das Leben in Frankreich. Die Trennung von Kirche und Staat existiert nicht mehr. Das Landestheater Schwaben hat jetzt eine eigene Adaption von Regisseurin Alice Aspers auf die Memminger Studio-Bühne gebracht.
Sie zeigt am Literaturwissenschaftler François, wie ein westlicher Intellektueller mit der neuen, politischen Situation umgeht. In der schlüssigen Inszenierung verkörpern zwei Schauspieler die vielfältigen Facetten von Professor François. Harald Schröpfer und Michael Naroditski bewegen sich zu Beginn fast spiegelbildlich, wenn sie ihre Schuhe binden und sich für den Alltag zurechtmachen. Mit existenzialistischem Rollkragenpullover ganz in Schwarz gekleidet, ähneln sich sogar ihre sonoren Stimmen. Eine gelungene Doppelbesetzung, die sich nicht in chorischer Willkür verliert.
Ein Schöngeist trinkt zu viel und der Sex mit jungen Frauen gibt ihm keine Erfüllung
Angedeutet durch wenige Kleidungsstücke und Requisiten schlüpfen die beiden in weitere Rollen, darunter auch Des Esseintes, eine Figur aus Joris-Karl Huysmans Roman „Gegen den Strich“. Nach seiner Dissertation über dieses „Brevier der Dekadenz“ beginnt auch für François eine Zeit des Niedergangs. Der Schöngeist und Genussmensch trinkt zu viel und findet in kurzen Liebesverhältnissen zu jüngeren Frauen keine Erfüllung.

Harald Schröpfer und Michael Naroditski bringen durch ihre feine Figurenzeichnung viel Humor in den Abend. Ihre lebendige Charakterisierung des Literaturprofessors zwischen skeptischem Rückzug und Antriebslosigkeit bereitet großes Vergnügen. Mitten im Lebensüberdruss von François kommen die Welt und ihre moralischen Werte in Bewegung. Sinnlich erfahrbar gemacht durch eine drehbare Wand von Ausstatterin Monika Gora, die wiederum in sich drehbare Fenster und Spiegeln hat. Auf beeindruckend einfache Weise lassen sich auch Raum- und Ortswechsel andeuten.

Nach der Machtübernahme von Mohammed Ben Abbes verliert François seine Lehrerlaubnis: Die Hochschule ist jetzt streng islamisch ausgerichtet. Finanziell gut abgesichert, ringt er mit der transzendentalen Obdachlosigkeit des Menschen: „An welchem Feuer wärmt sich der obdachlose Philosoph?“, fragt er sich. „Wovon zehrt seine Seele? Vom iPhone, von Instagram vielleicht?“ Da kommt ein verlockendes Angebot: Er darf wieder lehren, wenn er sich völlig dem Islam unterwirft. Soll er sich zu den neuen Werten bekehren? Die Selektion durch den Stärkeren wird wieder bestimmend. Weiblichkeit wird wieder auf „Kochtopf-Frau und Dirne“ reduziert. Lang überwunden geglaubte patriarchale und reaktionäre Strukturen werden plötzlich wieder attraktiv. Die Entscheidung, ob François auf Muster einsteigt, die sich immer wieder zu wiederholen scheinen, und ob er sich letztlich dem „Glück der absoluten Unterwerfung“ hingibt, lässt die sehenswerte Inszenierung mit einem harten Schnitt offen. Langer Applaus für Schauspieler und Team.
Weitere Aufführungen von „Unterwerfung“
Weitere Aufführungen im Studio des Landestheaters Schwaben in Memmingen: 6., 8., 14., 26. und 28. Februar jeweils um 19.30 Uhr. Karten gibt es unter Telefon 08331/94 59 16 und online unter landestheater-schwaben.de.
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