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Medikamentenmangel im Allgäu: Situation, Medikamentenflohmarkt, Ablaufdatum

Allgäuer Experten geben Tipps

Ärztin über Medikamentenmangel im Allgäu: "Es ist ein Drama"

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    Viele Allgäuerinnen und Allgäuer haben gerade mit fehlenden Medikamenten zu kämpfen. Apotheker Arndt Botzenhardt (links) und Dr. Sabine Sprich (rechts) beantworten die wichtigsten Fragen zu dem Thema.
    Viele Allgäuerinnen und Allgäuer haben gerade mit fehlenden Medikamenten zu kämpfen. Apotheker Arndt Botzenhardt (links) und Dr. Sabine Sprich (rechts) beantworten die wichtigsten Fragen zu dem Thema. Foto: Benjamin Liss/Sprich/ Stephanie Pilick, dpa

    Medikamente fehlen in Deutschland gerade an allen Ecken und Enden. Gerade erst hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach einen Gesetzentwurf zur Vorbeugung von Lieferengpässen angekündigt, Experten erwarten einen anhaltenden Medikamentenmangel.

    Doch die aktuelle Situation ist bereits jetzt für viele Betroffene und Eltern von erkrankten Kindern eine enorme Belastung, auch im Allgäu. Immer mehr Menschen suchen nach Alternativen zu Medikamenten aus der Apotheke: Wie sieht es mit abgelaufenen Packungen aus dem eigenen Vorrat aus? Sind "Medikamenten-Flohmärkte" die Lösung? Was tun, wenn es das verschriebene Medikament in keiner Apotheke in der Nähe gibt?

    Eine Ärztin aus Biessenhofen und ein Apotheker aus Immenstadt schätzen die aktuelle Situation ein und geben Tipps.

    Medikamentenknappheit im Allgäu: "Es ist ein Drama im Moment"

    "Es ist ein Drama im Moment", sagt Sabine Sprich. Das Telefon der Ärztin aus Biessenhofen stehe aktuell nicht still. Es seien nicht nur Patientinnen und Patienten, die anriefen - vor allem sie selbst telefoniere den ganzen Tag mit Apotheken. Denn bevor sie Medikamente verschreibt müsse sie wissen, ob es diese überhaupt in nahe gelegenen Filialen gibt.

    Erst vor Kurzem hätte Sprich ein krankes Mädchen in der Praxis gehabt: Hohes Fieber, der Scharlach-Abstrich war positiv. Sie brauchte unbedingt ein Antibiotikum. Es sei einige Zeit vergangen, bis Sprich eine Apotheke erreichte, die noch ein einziges passendes Antibiotikum hatte. "Es ist ein Gebettel", so die zweite Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbandes Ostallgäu.

    Dr. Sabine Sprich Dr. Sabine Sprich ist zweite Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbandes Ostallgäu (KVB) und leitet zusammen mit ihrem Mann eine Hausarztpraxis in Biessenhofen.
    Dr. Sabine Sprich Dr. Sabine Sprich ist zweite Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbandes Ostallgäu (KVB) und leitet zusammen mit ihrem Mann eine Hausarztpraxis in Biessenhofen. Foto: Sprich

    Apotheker aus Immenstadt: Eltern bekamen in ganz Oberstdorf keinen Fiebersaft

    Auch der Apotheker Arndt Botzenhardt aus Immenstadt findet: Der Medikamentenmangel im Allgäu "macht sich sehr stark bemerkbar". Botzenhardt, der auch Pressesprecher des Bayrischen Apothekerverbandes Oberallgäu ist, weiß, dass es aktuell viele Eltern gibt, die mehrere Apotheken anfragen müssen, bis sie ein bestimmtes Medikament erhalten. Das betrifft seiner Erfahrung nach aktuell vor allem verschreibungspflichtige Medikamente und Fiebersäfte für Kinder.

    So standen in seiner Apotheke in Immenstadt schon Eltern, die in ganz Oberstdorf keinen Fiebersaft mehr bekommen konnten. Er sieht in der aktuellen Situation dadurch oft eine "Einschränkung der Lebensqualität" sowie der Versorgungssicherheit. Trotzdem habe er nicht das Gefühl, dass die Allgäuer Medikamente horten würden.

    Abgelaufene Medikamente nehmen: Eine Alternative?

    Verschreibunspflichtige Medikamente sind also auch im Allgäu knapp. Verlockend scheint es da, auf die eigene Hausapotheke zurückzugreifen. Ist es schlimm, abgelaufene Medikamente aus dem eigenen Vorrat einzunehmen?

    Tabletten würden zwar nicht auf einmal giftig werden, aber Ärztin Sprich rät ausdrücklich davon ab, alte Medikamente zu nehmen. Auch Apotheker Botzenhardt warnt davor, Medikamente nach Ablauf des Verfallsdatums noch zu nehmen und geht sogar noch einen Schritt weiter. Seiner Einschätzung nach bestehe nicht nur das Risiko eines Wirkungsverlustes, die Einnahme könne sogar gefährlich sein. Das liege vor allem daran, dass sogenannte Abbauprodukte entstehen können, die unter Umständen gefährlich werden können.

    Trotz aller Verzweiflung rät der Apotheker Arndt Botzenhardt aus Immenstadt dringend davon ab, Medikamente nach Ablauf der Haltbarkeisfrist zu verwenden.
    Trotz aller Verzweiflung rät der Apotheker Arndt Botzenhardt aus Immenstadt dringend davon ab, Medikamente nach Ablauf der Haltbarkeisfrist zu verwenden. Foto: Benjamin Liss

    "Medikamenten-Flohmärkte": Hilfreich oder gefährlich?

    Am Wochenende hatte Ärztepräsident Klaus Reinhardt die Bevölkerung aufgerufen, Medikamente privat über kleine "Medikamenten-Flohmärkte" mit Nachbarinnen und Nachbarn zu teilen. Botzenhardt sieht diesen Vorschlag sehr kritisch. Seiner Meinung nach hat Reinhardt mit dieser Idee zu einem Rechtsbruch aufgerufen.

    "Medikamente sind besondere Güter, deren Verkauf Apothekerinnen und Apothekern vorbehalten ist", sagt der Immenstädter Apotheker. Solche Flohmärkte könnten seiner Einschätzung nach gefährlich sein, da Menschen aus einer Selbstdiagnose heraus Medikamente nehmen könnten, ohne sich zuvor fachlich von einem Arzt oder Apotheker beraten haben zu lassen.

    Wie sieht es mit Online-Apotheken aus?

    Sabine Sprich versteht zwar den solidarischen Gedanken der Flohmärkte, sieht aber auch einige Gefahren. Der "Otto-Normalverbraucher" erkenne oft unscheinbare, aber wichtige Unterschiede zwischen Medikamenten nicht. So zum Beispiel bei den Blutdrucksenkern Ramipril und Ramiplus: Ähnlicher Nahme, unterschiedliche Wirkung.

    Die fachliche Beratung von Apothekern sei trotz aller Probleme unabdingbar. Deshalb rät Sprich auch von Online-Apotheken ab, sie selbst hält den Weg über das Internet für keine seriöse Alternative.

    Medikament fehlt: Was können Betroffene tun?

    "Wir sind zurzeit ziemliche Problemlöser", sagt Apotheker Botzenhardt. Er versucht seinen Kundinnen und Kunden so gut es geht zu helfen. Wenn er ein benötigtes Medikament nicht vorrätig hat, fragt er zum Beispiel telefonisch bei verschiedenen Kolleginnen und Kollegen nach und vermittelt seine Kunden dorthin.

    Alternativ setzt er sich mit dem Arzt oder der Ärztin in Kontakt, ob auch ein anderes Medikament in Frage kommt. In seltenen Fällen kann die Lösung auch in einer eigenen Rezeptur liegen. Doch aufgrund des auch bei den Apothekern vorherrschenden Fachkräftemangels sei dafür oft keine Zeit, sagt Botzenhardt.

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