Beeinträchtigung

Als Simulant beschimpft: Blindenberater spricht über angemessenen Umgang

Walter Baur kennt die Anzahl der Treppenstufen genau, zählt immer mit. Für den richtigen Umgang mit Menschen ist es aus seiner Sicht wichtig, dass blinde, sehbehinderte oder seheingeschränkte Personen Kennzeichen wie Abzeichen, Armbinde oder Blindenlangstock nutzen.

Walter Baur kennt die Anzahl der Treppenstufen genau, zählt immer mit. Für den richtigen Umgang mit Menschen ist es aus seiner Sicht wichtig, dass blinde, sehbehinderte oder seheingeschränkte Personen Kennzeichen wie Abzeichen, Armbinde oder Blindenlangstock nutzen.

Bild: Maike Scholz

Walter Baur kennt die Anzahl der Treppenstufen genau, zählt immer mit. Für den richtigen Umgang mit Menschen ist es aus seiner Sicht wichtig, dass blinde, sehbehinderte oder seheingeschränkte Personen Kennzeichen wie Abzeichen, Armbinde oder Blindenlangstock nutzen.

Bild: Maike Scholz

Blinde und sehbehinderte Menschen sind im Alltag mit allerlei Problemen konfrontiert. Walter Baur aus Heimertingen möchte aufklären.
02.03.2022 | Stand: 12:00 Uhr

Walter Baur kennt die Anzahl der Treppenstufen im Haus ganz genau – jene bis zur Tür, in den Keller oder auch in den Garten. Er zählt mit, kann sich somit eigenständig und sicher bewegen. Warum das so wichtig ist? Walter Baur ist sehbehindert. Der 69-Jährige ist Blinden- und Sehbehindertenberater beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund. Baur lebt in Heimertingen, ist in der Bezirksgruppe Allgäu mit Büro in Kempten als Berater für das Unterallgäu und Memmingen zuständig. Immer wieder erlebt er Situationen im Alltag, die ihn dazu bewegen, das Thema des Umgangs mit blinden und sehbehinderten sowie seheingeschränkten Menschen zu forcieren.

Walter Baur über seine eigene Betroffenheit

Walter Baur wurde, wie er erzählt, als Kind einäugig geboren. Das linke Auge war blind, hatte keine Funktion. Da es dennoch Schmerz verursachte, wurde es durch eine Prothese ersetzt. Im Jahr 2004 kam es dann beim rechten Auge zu einer Netzhautablösung. Operationen folgten. Sein so und so eingeschränktes Gesichtsfeld erlitt weitere Ausfälle.

Der gelernte Industriekaufmann, der zuletzt länger bei der Stadt Memmingen tätig war, hatte seit seiner Kindheit gelernt, diese Beeinträchtigungen zu kompensieren, damit er im Alltag zurechtkommt. Seit dem Jahr 2006 ist er verrentet. So kam er auch zum Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund, absolvierte die eineinhalbjährige Ausbildung zum Berater. Seit 2008 ist er als dieser tätig. Dabei gehe es vor allem um rechtliche Vorgänge.

Wichtig: Im Alltag organisiert sein

In der Bezirksgruppe herrsche ein reger Austausch. Immer wieder sei dabei auch der Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen Thema. „Wir organisieren zum Beispiel auch Schulbesuche, um für das Thema zu sensibilisieren“, erzählt der 69-Jährige.

Dennoch könnte der Umgang im Alltag besser sein. Er selbst sei schon als Simulant beschimpft worden. „Nur, weil ich eben im Alltag organisiert bin.“ Aber, so sagt Walter Baur auch: „Das Meiste passiert nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Unwissenheit.“ Dazu hat er einige Beispiele.

  • Blinde und sehbehinderte Menschen können ihr Gegenüber nicht erkennen und reagieren nicht auf Zuwinken oder Zunicken. Oftmals werde dieses Verhalten als unfreundlich oder hochnäsig eingestuft, obwohl der Sehgeschädigte ja nicht darauf reagieren kann. „Hilfreich wäre, die Person anzusprechen oder sich vorzustellen“, so Baur. Wichtig sei zu wissen, dass sich die meisten Blinden oder Sehbehinderten kennzeichnen – zum Beispiel mit Abzeichen oder Armbinde oder auch durch ihren Blindenlangstock. „Schwierig wird es dann, wenn der Sehgeschädigte nicht gekennzeichnet ist oder sich scheut, ein Kennzeichen zu tragen. Dann kommt es immer wieder zu Missverständnissen, weil man Menschen schlechtes Sehen nicht ansieht“, sagt Walter Baur.
  • Ein blinder oder sehbehinderter Mensch bewegt sich scheinbar sicher im Straßenverkehr, in einem Geschäft oder anderen Alltagssituationen. „Dieses sichere Auftreten wird von manchen Mitmenschen falsch verstanden und so interpretiert, als würde derjenige nur so tun“, erklärt Baur und zeigt auf: „Tatsache ist, dass diese Menschen ihren Alltag gut organisiert haben und manche Wegstrecken buchstäblich blind kennen. Vielfach wurde auch ein Orientierungs- oder Mobilitätstraining absolviert, sodass viele Alltagssituationen selbstständig bewältigt werden können.“
  • Ein blinder oder sehbehinderter Mensch steht unsicher an einer Straße, Ampel, vor einem Geschäft. Sehende Menschen wissen nicht, wie sie in so einer Lage reagieren sollen? Die einfachste Möglichkeit sei, diesen Menschen anzusprechen und zu fragen, ob Hilfe benötigt werde. „Keinesfalls sollte Hilfe aufgedrängt werden. Man sollte jemanden nicht einfach am Arm nehmen und über die Straße ,mitziehen’“, so Baur.
  • Ein Blinder oder Sehbehinderter, der in Begleitung unterwegs sei, werde oft von anderen Menschen nicht direkt, sondern in der dritten Person angesprochen. Baur: „Bitte unbedingt direkt ansprechen, da der behinderte Mensch dies als Herabwürdigung wahrnimmt.“

Über manches werde nicht nachgedacht. „Leider gerät der richtige Umgang auch immer wieder in Vergessenheit“, sagt der 69-Jährige. Deswegen sei es ihm so wichtig, darauf aufmerksam zu machen: „Grundsätzlich gilt: Miteinander zu sprechen, löst die meisten Probleme.“

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