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Mewo-Kunsthalle Memmingen: Elmar Haardt zeigt „Land of Dreams“

Fotoausstellung

Mewo-Kunsthalle Memmingen: Elmar Haardt zeigt „Land of Dreams“

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    "Mulholland Drive II" heißt dieses Bild aus der Fotosereie "Land of Dreams" von Elmar Haardt. Als es 2018 aufgenommen wurde, lag ein Rauchnebel von Waldbränden über Los Angeles.
    "Mulholland Drive II" heißt dieses Bild aus der Fotosereie "Land of Dreams" von Elmar Haardt. Als es 2018 aufgenommen wurde, lag ein Rauchnebel von Waldbränden über Los Angeles. Foto: Elmar Haardt

    Wer erinnert sich nicht an das entsetzte Erschaudern, als im November 2016 Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde. Der in Essen geborene Künstler Elmar Haardt (Jahrgang 1974) war so erschüttert, dass in ihm noch in der Wahlnacht die Idee zu einer Fotoserie über die USA reifte. „Land of Dreams“ heißt sie – er versteht sie als Parabel auf ein zerrissenes Land. Erstmals zeigt Haardt die komplette 20-teilige Serie seiner zwei mal zweieinhalb Meter großen Landschaftsaufnahmen jetzt in der Mewo-Kunsthalle in Memmingen. Dass er dieses kostspielige Projekt überhaupt realisieren konnte, hat er einem schönen Zufall zu verdanken.

    Der Künstler Elmar Haardt in seiner Ausstellung in der Mewo-Kunsthalle Memmingen.
    Der Künstler Elmar Haardt in seiner Ausstellung in der Mewo-Kunsthalle Memmingen. Foto: Brigitte Hefele-Beitlich

    Wie in sich ruhende Gemälde hängen die monumentalen Fotografien an den Kunsthalle-Wänden. Welcher technische Aufwand, ja, auch welche körperlichen Mühen darin stecken, lässt sich kaum erahnen, wenn sich der Blick in diesen unendlich weit scheinenden Landschaften und den darin auftauchenden Städten verliert. San Francisco, Los Angeles oder Las Vegas lassen sich etwa darin ausmachen, aber auch unbekannte kleine Orte wie West Wendover, das irgendwo mitten im Nichts liegt.

    Auf dem Gelände baut Intel zwei Chip-Fabriken

    Die Welt scheint still zu stehen in diesen nahezu menschenleeren Panoramen. Weil Haardt meist naturbelassene Hügel in den Vordergrund rückt, von denen aus er die Häuseransammlungen aufnimmt, wirkt es umso bizarrer, welche urbanen „Träume“ der Mensch in dieses weite Land gepflanzt hat. Und mit der Klimakatastrophe im Hinterkopf beschleicht einen ein Unbehagen, ob da nicht bald ein fragiles Gleichgewicht zu kippen droht. Doch der Mensch hört nicht auf, aus der Erde herauszuholen, was geht. Zufällig hat Haardt vor drei Jahren in Phoenix/Arizona genau das Gelände abgebildet, auf dem Intel jetzt für 20 Milliarden US-Dollar zwei Chip-Fabriken baut.

    Künstler arbeitet mit Diafilmen und Großbildkamera

    Aber schauen wir erst einmal auf die Technik, mit der es Haardt gelingt, seine spektakulären Panoramen bestechend scharf bis ans Ende des Horizonts aufzunehmen. Der Fotokünstler arbeitet mit Diafilmen und einer Großbildkamera, die sich so schwenken lässt, dass mehrere Aufnahmen eines Motivs nacheinander mit einer genau berechneten Überlappung möglich sind. Pro Bild verschießt er sechs bis acht Diafilme, ein Dia hat ungefähr DIN-A4-Größe. Normalerweise sind bei solchen Ablichtungen, je nachdem, was die Kamera fokussiert, nur bestimmte Zonen scharf. Durch die vielen Einzelaufnahmen – und die Verwendung eines Normalobjektivs – bleibt jedes Detail ohne Verzerrung sichtbar. Nahtlos zusammen fügt die vielen Einzelaufnahmen dann das Photoshop-Programm am Computer. Ein bisschen wie künstliche Intelligenz sei das, erklärt Haardt, weil der PC alles so exakt ausrechnet, dass selbst an Tagen mit schnell vorüberziehenden Wolken keine Brüche am Himmel zu sehen sind. Neu ist dieses Verfahren nicht. Andreas Gursky hat es Anfang der 1990er Jahre entwickelt und damit Furore gemacht. Der weltbekannte Fotograf arbeitet allerdings oft mit Montagen in seinen Bildern – anders als Haardt, der nichts dazufügt oder herausretouchiert.

    San Francisco reicht auf dem Foto "Bernal Height" von Elmar Haardt bis an den Horizont.
    San Francisco reicht auf dem Foto "Bernal Height" von Elmar Haardt bis an den Horizont. Foto: Elmar Haardt

    Auf jeden Fall ist diese Art der Fotografie ungeheuer zeitaufwendig und teuer. Der Materialwert einer solchen Präzisionsaufnahme liegt bei etwa 12.000 Euro. Ganz zu schweigen von den hohen Reisekosten, die angefallen sind, als Haardt 2017 und 2018 mit Unterbrechungen mehrere Monate in den USA verbracht hat. So eine große Serie hätte er nicht verwirklichen können, wenn ihm nicht der Zufall einen Mäzen zugespielt hätte: Haardt hat eine seiner beiden ersten Aufnahmen in einer Ausstellung im NRW-Forum Düsseldorf gezeigt, in dem auch große Fotografen wie eben Gursky oder Schüler der berühmten Düsseldorfer Photoschule von Bernd und Hilla Becher vertreten waren. Ein englischer Sammler, der so hoch dotierte Künstler wie Gerhard Richter oder Damien Hirst im Portfolio hat, war derart begeistert von Haardts Werk, dass er ihm anschließend die Realisierung der ganzen Serie finanziert hat. Was durchaus darauf schließen lässt, dass auch dessen Marktwert bald steil nach oben klettern könnte.

    Klapperschlangen, Wolkenbrüche und kein Handyempfang

    Dafür nahm Haardt, der in Berlin lebt und arbeitet, alle Anstrengung für sein Kunstprojekt gerne auf sich. Er kämpfte sich stundenlang bei sengender Hitze mit 20 Kilo Fotoausrüstung auf dem Rücken bis zur Erschöpfung durch unwegsames Gelände (um Gewicht einzusparen, verzichtete er lieber auf Wasser). Er begegnete Klapperschlangen, erlebte Wolkenbrüche in der Wüste, blieb mit dem Wagen fernab jeder Zivilisation zwischen zwei Felswänden stecken und hatte an vielen Orten nicht einmal Handy-Empfang.

    Berühmte Rede "I have a dream" von Martin Luther King

    Was er von diesen Expeditionen mitgebracht hat, sind keine Postkartenidyllen, sondern genaue Studien dieser „Neuen Welt“, in der Martin Luther King 1963 in seiner berühmten Rede „I have a dream“ von der Aufhebung der Rassentrennung, von sozialer Gerechtigkeit und einem Zusammenleben in Frieden geträumt hat. Darauf bezieht sich Haardts Serien-Titel. Weil dann nach dem ersten schwarzen Präsidenten Amerikas ein Trump kam und alles wieder einriss.

    Vor seinem Studium an der Fotoschule „Fotografie am Schiffbauerdamm“ in Berlin hat Haardt unter anderem Ethnologie, Soziologie und Philosophie studiert. Das prägt seine Sichtweise auf dieses widersprüchliche Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Deswegen wirkt seine Aufnahme vom Dolby Theatre am Hollywood Boulevard in L.A., in dem demnächst wieder die Oscars verliehen werden, kein bisschen glamourös; deswegen zeigt er Las Vegas als graubraune Reißbrett-Stadt; deswegen befindet sich vor seiner New Yorker Skyline ein heruntergekommenes Sanierungsgebiet und kommt beim Blick auf Albuquerque, New Mexico, Breaking-Bad-Stimmung auf. Was dem ästhetischen Genuss an dieser sehenswerten Schau keinen Abbruch tut.

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