Apothekerin aus dem Unterallgäu berichtet

Schmerzsaft für Kinder: ausverkauft - Lieferengpässe machen Apotheken zu schaffen

Nicht mehr jedes Medikament ist derzeit problemlos erhältlich. Das sorgt bei Apothekerinnen und Apothekern, hier Nadine Walcher aus Steinheim, für erheblichen Mehraufwand – etwa weil sie so manche Medizin selbst herstellen müssen.

Nicht mehr jedes Medikament ist derzeit problemlos erhältlich. Das sorgt bei Apothekerinnen und Apothekern, hier Nadine Walcher aus Steinheim, für erheblichen Mehraufwand – etwa weil sie so manche Medizin selbst herstellen müssen.

Bild: Andreas Berger

Nicht mehr jedes Medikament ist derzeit problemlos erhältlich. Das sorgt bei Apothekerinnen und Apothekern, hier Nadine Walcher aus Steinheim, für erheblichen Mehraufwand – etwa weil sie so manche Medizin selbst herstellen müssen.

Bild: Andreas Berger

Lieferengpässe bei Medikamenten bringen Apotheken in Schwierigkeiten. So ist etwa ein Fiebermittel für Kinder nicht erhältlich. Eine Apothekerin erzählt.
21.07.2022 | Stand: 05:45 Uhr

Erst Klopapier, dann Mehl, zwischendurch Fahrräder, jetzt Medikamente. Die Reihe der Lieferengpässe seit Beginn der Corona-Pandemie reißt nicht ab. Jetzt ist unter anderem Schmerzmittel für Kinder rar. Die letzte Flasche Ibuprofen-Saft hat Nadine Walcher, Apothekerin aus Steinheim, gerade verkauft. Doch Nachschub vom Hersteller und Großhändler ist nicht in Sicht.

Engpässe bei Medikamenten:"Es hat mir vor jedem Notdienst gegraut"

„Es hat mir vor jedem Notdienst gegraut“, sagt die 35-Jährige. Nämlich vor der Situation, dass sie Eltern keinen Schmerzsaft mehr für ihr krankes Kind geben kann, weil er ausverkauft ist. Jetzt ist sie in dieser Situation.

Es gebe mehrere Gründe, warum es soweit gekommen ist, sagt Nadine Walcher. Einige Wirkstoffe für Medikamente werden etwa in China und in Indien hergestellt. Und Krisen wie Corona und der Ukraine-Krieg stören die weltweiten Lieferketten massiv. Es gab bis vor einigen Monaten drei Hersteller von Paracetamol-Schmerzsaft. Dann explodierten die Preise für die Zutaten, teilweise waren sie nur noch schwer zu bekommen. Eines der drei Unternehmen stellte daraufhin die Produktion des Medikaments ein.

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Nun gibt es noch zwei Hersteller, die es produzieren, aber kaum hinterherkommen. Denn gleichzeitig gab es eine starke Erkältungs- und Grippewelle. Weil der Paracetamol-Saft nicht mehr erhältlich war, stieg die Nachfrage nach Schmerzsaft von Ibuprofen. Und zwar so sehr, dass nun auch dieses Medikament knapp beziehungsweise gar nicht mehr erhältlich ist.

Wann die nächste Lieferung kommt, sei nicht absehbar, sagt Nadine Walcher. Deshalb überlegt die Apothekerin, im eigenen Labor selbst Schmerzsaft für Kinder herzustellen. Die Rezeptur dafür hat sie von einem Hersteller – „qualitätsgeprüft und allen Vorschriften entsprechend“.

Lieferengpässe: Eine Flasche Schmerzsaft kostet 20 Euro statt 3,14 Euro

Daraus ergeben sich aber Probleme, die nun sie als Unternehmerin betreffen: Eine Flasche, also 100 Milliliter Schmerzsaft herzustellen, sei zeitintensiv, dauere etwa eine halbe Stunde. Denn nicht nur die Hygienevorschriften müssen eingehalten, es muss auch jeder Schritt dokumentiert werden. Und so steigt der Preis für das Medikament: Eine Flasche Schmerzsaft vom Hersteller kostet den Kunden 3,14 Euro. Wenn sie selbst eine herstellt, etwa 20 Euro.

Gleich einen Liter anzumischen, würde sie etwa zwei Stunden kosten. Im Vergleich zur Herstellung einer einzigen Flasche ergibt sich daraus zwar eine Zeitersparnis. Allerdings ist das Medikament nur 90 Tage haltbar. Wird es in dieser Zeit nicht verkauft, bleibt die Apotheke auf den Kosten sitzen. Doch trotz des hohen Aufwands wird sich Nadine Walcher wahrscheinlich dafür entscheiden, in diesen Tagen selbst Schmerzsaft herzustellen. Denn die Patientenversorgung sei ihr sehr wichtig, „auch wenn ich nichts daran verdiene“. Das gehöre zum Berufsethos.

Viele Apothekerinnen und Apotheker stellten derzeit das Medikament selbst her. Deshalb besteht die Gefahr, dass auch die Zutaten dafür kurzfristig nicht zu bekommen sind. Nadine Walcher hofft aber, dass sich die Situation bald normalisiert. „Es heißt, im Herbst soll es besser werden.“

Nicht nur Schmerzsaft, sondern auch viele andere Medikamente seien derzeit nur schwer zu bekommen. Hat der Großhändler die Medizin nicht, müsse sie nach einem anderen Lieferanten recherchieren. Das koste Zeit. Und dann könne es auch sein, dass die Produkte teurer sind als üblich.

Apothekerin aus Steinheim hat schon Desinfektionsmittel selbst hergestellt

So etwas hat die Apothekerin aus Steinheim noch nicht erlebt. Die angespannte Situation habe mit Corona begonnen. Zuerst sei Desinfektionsmittel ausverkauft gewesen. Schon damals stellten sich Walcher und ihre Kolleginnen ins eigene Labor, um die Flüssigkeit selbst herzustellen. 100 Liter medizinischen Alkohols verarbeiteten sie zu Desinfektionsmittel, um die Nachfrage bedienen zu können.

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Noch ein weiteres Problem bahnt sich derzeit an: Apotheken würden sich gern einige Medikamente auf Vorrat anschaffen, beispielsweise Erkältungsmittel für den Winter, um schnell auf eine Krankheitswelle reagieren zu können. Das sei derzeit aber nicht erlaubt. Damit alle Apotheken eine Chance haben, solche Medikamente zu bekommen, sei es Großhändlern nur gestattet, sie in kleinen Mengen abzugeben, ungefähr so viel, wie pro Tag in einer Apotheke verkauft wird. Das funktioniert mal gut, mal weniger gut, sagt die 35-jährige Apothekerin. Und wenn es mal weniger gut klappt, kann es passieren, dass sie ein passendes Medikament nicht hat, wenn es benötigt wird. Dann wird sich Nadine Walcher wieder die Frage stellen: Selbst herstellen oder abwarten?

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