Milchbauern aus der gesamten Region haben sich am Mittwoch auf einem Kemptener Hof zu einer Kundgebung getroffen. „EU-weit Milchüberschüsse reduzieren statt einlagern“ lautete ihre Forderung, die auch der Titel einer bundesweiten Aktion des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) ist. Seit Anfang Mai touren die Landwirte durchs Land, um gegen eine Politik zu demonstrieren, die den Betrieben schade. Kempten war die neunte und letzte Station.
- Wie plakativ muss Protest sein, um gehört zu werden? Lesen Sie hier unseren Kommentar von Stefan Binzer.
Die Aktion begann mit 17 Traktoren, die im Korso um die Wiese des Milchbauern Markus Böckler fuhren. 16 von ihnen waren jeweils mit einer Flagge eines Bundeslandes ausgestattet, einer mit einer Europa-Fahne. Zum Halten kamen sie hinter einer Gruppe von etwa 40 Landwirten, die mit Transparenten gegen die Einlagerung von Milch in Form von Magermilchpulver, Butter und Käse protestierten. „Eingelagerte Milch baden die Bauern aus“ war darauf beispielsweise zu lesen. Der BDM hatte die Teilnehmerzahl wegen der Coronakrise begrenzt.
Weniger Milch wegen Corona-Krise verkauft
Weil der Milchabsatz wegen der Krise eingebrochen ist, bezuschusst die Europäische Union (EU) seit 1. Mai mit 30 Millionen Euro die Einlagerung von Milch. Das soll die Menge auf dem Markt reduzieren und so den Preis stabilisieren. Doch die Bauern, die gestern protestiert haben, sehen das ganz anders.
Als Bauernpräsident verkleidet
„Wir sind stinksauer“, sagte Manfred Gilch, bayerischer Landesvorsitzender des BDM. Aus den Krisen vergangener Jahre habe die Politik nichts gelernt. Und Böckler erinnerte an das Jahr 2016: Als damals die Milchquote weggefallen sei, habe man auch Milch eingelagert. Die Folge sei gewesen, dass die Preise mittelfristig stark fielen. Aktuell betrage der Milchpreis in Bayern zwar noch 34 Cent. Aber spätestens, wenn das Magermilchpulver auf den Markt komme, werde er sinken.
Bauern verkleideten sich bei der Kundgebung unter anderem als Peter Stahl, Vorsitzender des Milchindustrieverbandes, und Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Sie zogen ihren Kollegen symbolisch das Geld aus der Tasche. „Peter Stahl“ warf auf der Spitze einer zwei Meter hohen Pyramide aus Milchpulver-Säcken mit Geldschein-Imitaten um sich. Dann wurden etwa 200 Kilogramm der vier Tonnen Milchpulver in die Luft geblasen. „Landwirtschaftliche Existenzen werden verpulvert“, sagte Hans Foldenauer vom BDM.

Landwirt: "Volkswirtschaftlicher Schwachsinn"
„Es ist volkswirtschaftlicher Schwachsinn, etwas zu produzieren, das nicht benutzt wird“, sagte Bernhard Heger, der aus Peißenberg (Kreis Weilheim-Schongau) nach Kempten gekommen war. Stattdessen sollte man einfach weniger produzieren. „So wie es jeder andere Unternehmer auch machen würde.“ Denn dann steige auch der Preis wieder. Jeder Erzeuger in Europa sollte seine Produktion um drei bis fünf Prozent zurückfahren, forderte Landesvorsitzender Gilch. Dann würde der Literpreis auf dem Weltmarkt deutlich ansteigen, glaubt er. Langfristig fordere der BDM ein Milchmarkt-Management, das die Bauern einschließe.
Bauern sehen Zukunft wegen Agrarpolitik gefährdet
Böckler hat seinen Hof für die Aktion zur Verfügung gestellt, „weil ich gerne meine Zukunft in der Landwirtschaft hätte“. Dies sieht er wegen der Agrarpolitik jedoch gefährdet. Zumal die Kosten und Anforderungen ständig stiegen. Die Landwirte seien bereit, Vorgaben im Hinblick auf den Umweltschutz umzusetzen. „Aber dazu braucht man finanzielle Mittel.“ Abgesehen davon sehe man an der Coronakrise, wie wichtig es sei, Lebensmittel im eigenen Land zu produzieren und damit unabhängig zu sein.
Pulver gefährdet Autofahrer
Das bei der Demo mit einem Heugebläse in die Luft beförderte Pulver breitete sich so weit aus, dass die Polizei die Veranstalter nach einiger Zeit bat, die Aktion zu beenden, um die Sicht der Autofahrer auf der angrenzenden Bundesstraße nicht zu sehr einzuschränken. Die Kundgebung bildete den Abschluss einer bundesweiten Protestaktion des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter in acht Städten gegen einen Preisabsturz in der Branche wegen der Corona-Krise.
Bauernverband: Lagerung ist nicht verkehrt
Im Gegensatz zum BDM befürwortet der Bayerische Bauernverband (BBV) die private Lagerhaltung für Milchpulver, Käse und Butter. Der schwäbische BBV-Präsident Alfred Enderle sagte gegenüber unserer Redaktion, das sei ein schnelles Instrument, um die seit Beginn der Corona-Krise notgedrungen produzierten Überschüsse für einige Monate vom Markt zu nehmen und somit die Preise zu stabilisieren. Wegen der Pandemie seien auf dem deutschen Milchmarkt etwa 60 Prozent des Absatzes weggebrochen, auch der Export habe enorm gelitten. Die von der EU erlaubte und mit 30 Millionen Euro unterstützte Lagerung gelte maximal 180 Tage. Dies müsste reichen, um die Zeit zu überbrücken, bis der Absatz wieder einigermaßen normal läuft. Statt der befristeten Lagerhaltung der Milchprodukte die Milchmenge durch die Politik zu reduzieren, wie es der BDM fordere, hält Enderle für einen Irrweg. Dafür gebe es in der EU seit Jahren keine Mehrheit.