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"Nie darf man einen Menschen aufgeben" - Wie ein Brasilianer Drogensüchtigen im Allgäu hilft

Irsee im Ostallgäu

"Nie darf man einen Menschen aufgeben" - Wie ein Brasilianer Drogensüchtigen im Allgäu hilft

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    Der gebürtige Brasilianer Luiz Braz leitet die „Fazenda da Esperança“ („Hof der Hoffnung“) für Drogensüchtige in Irsee.
    Der gebürtige Brasilianer Luiz Braz leitet die „Fazenda da Esperança“ („Hof der Hoffnung“) für Drogensüchtige in Irsee. Foto: Mathias Wild

    Die Geschichte über seine Begegnung mit einem rechtsradikalen Drogenabhängigen erklärt wohl am besten, wie Luiz Braz, 35, tickt. Vor 15 Jahren verließ der Brasilianer seine Heimat, um für die weltweit tätige christliche Suchthilfe „Fazenda da Esperança“ Menschen in Deutschland zu helfen. Gleich bei seiner ersten Station in Berlin wurde ihm ein Süchtiger mit brauner Gesinnung als Zimmergenosse zugeteilt. „Wegen meiner Herkunft hat er mich nur ‚Ausländer’ und ‚Pack’ genannt. Das war heftig“, erinnert sich Braz.

    Der Brasilianer reagierte außergewöhnlich. Jeden Morgen, wenn der rabiate Nachbar das Zimmer verließ, machte er ihm das Bett und legte ihm ein Bonbon unters Kopfkissen. Wenn er zurückkam, war die Bettwäsche jedes Mal zerknüllt und das Bonbon weggeworfen, erzählt er. Ein halbes Jahr ging das so. Bis der Tag kam, an dem es Braz war, der ein Bonbon unter dem Kopfkissen fand – von seinem Zimmernachbarn. „Nie darf man einen Menschen aufgeben“, davon ist Braz überzeugt. Noch heute ist er mit seinem früheren Mitbewohner befreundet. Der ist mittlerweile clean, getauft, hat seiner früheren rechtsradikalen Gesinnung abgeschworen und leitet eine Einrichtung für lernbehinderte Kinder.

    Luiz Braz leitet den "Hof der Hoffnung" in Irsee

    Geduld, Gottvertrauen und die Gabe wie ein Fels in der Brandung: Diese Eigenschaften helfen Luis Braz auch bei seiner Mission im Allgäu. Dafür wird er jetzt mit der Silberdistel unserer Zeitung ausgezeichnet. Seit sieben Jahren leitet er in Irsee (Ostallgäu) den „Hof der Hoffnung“, der 20 männlichen Süchtigen oder ehemaligen Süchtigen aus ganz Deutschland eine vorübergehende Bleibe bietet.

    Wer auf dem Bauernhof ankommt, muss sein Leben neu ordnen: ohne Handy, Internet, Zigaretten und andere Suchtmittel. Dafür gibt es: Gebet, Natur, Gemeinschaft, feste Aufgaben.

    Jeder muss einen Beitrag für den Hof leisten. Sei es im Stall oder Gemüsegarten, beim Kochen, im Besuchercafé oder der Herberge mit 21 Schlafplätzen. Die Einrichtung lebt vom Engagement ihrer Bewohner und von Spenden. „Die Corona-Pandemie trifft uns hart, weil wir keine Gäste empfangen dürfen. Aber wir versenden weiterhin unsere Produkte wie Honig, Kerzen oder Kaffee und erhalten Unterstützung von Privatleuten“, sagt Braz.

    Luiz Braz leitet die Fazenda de Esperanca im Irseer Ortsteil Bickenried. Der 35-jährige Brasilianer kümmert sich um die Therapie von Drogen- und Alkoholabhängigen.
    Luiz Braz leitet die Fazenda de Esperanca im Irseer Ortsteil Bickenried. Der 35-jährige Brasilianer kümmert sich um die Therapie von Drogen- und Alkoholabhängigen. Foto: Ivan Chiquin

    Für die Männer auf dem Hof ist er wie ein Bruder. „Er strahlt Herzenswärme aus“, sagt Arthur (Name geändert). Der 30-Jährige aus dem Raum Augsburg lebt seit zwei Jahren auf Gut Bickenried, um von seiner Amphetamin-Sucht wegzukommen. Die ersten sechs Monate seien hart gewesen. „Dann habe ich angefangen, nicht mehr über Drogen nachzudenken, sondern über mich selbst. Ich habe mich neu kennengelernt.“ Jetzt will er eine Ausbildung zum Hörgeräteakustiker machen und im Allgäu ein neues Leben anfangen, wie er erzählt. Für Luiz Braz sind das tolle Neuigkeiten.

    Solche Momente bestärken ihn darin, als „Gottgeweihter“ zu leben. Als Mensch, der wie ein Mönch lebt. Ohne Besitz, fernab der Familie. Einem Orden gehört Braz nicht an. Statt eines Habits (Ordenskleidung) trägt er Jeans, Pullover und Turnschuhe. Äußerliches interessiert ihn nicht. Er widmet sich voll und ganz seiner Aufgabe, Süchtigen zu helfen. Mit ihnen jeden Morgen um 6.30 Uhr zu beten. Sie auf einen guten Weg zu bringen.

    Luiz Braz: "Ich fühlte mich leer"

    Weltweit gibt es 135 „Fazendas da Esperança“. Die erste Einrichtung gründete der deutsche Franziskanermönch Hans Stapel 1970 in Brasilien. Und zwar in der 120.000-Einwohner-Stadt Guaratniguetá, aus der Braz kommt.

    Durch Zufall kam der Grafiker Braz in Kontakt zur dortigen Fazenda. Er erhielt den Auftrag, T-Shirts für sie zu gestalten. Die Begegnung veränderte sein Leben: „Ich hatte damals zwar Job, Geld und eine Freundin. Aber ich fühlte mich leer. In der Fazenda wurde ich angenommen, wie ich bin.“ Bald arbeitete er an Samstagen als Freiwilliger mit. Als er gefragt wurde, ob er eine Fazenda in Deutschland aufbauen wollte, sagte er zu. So kam Braz nach Berlin und dann nach Irsee.

    Dort ist er nicht mehr wegzudenken. „Luiz und die Fazenda-Leute sind voll in unserer Gemeinschaft integriert. Sie besuchen die Gottesdienste, sind freundlich und helfen fleißig mit“, lobt der katholische Irseer Pfarrer Dr. Pius Benson. Für sein außergewöhnliches gesellschaftliches Engagement erhält Braz nun die Silberdistel unserer Zeitung.

    Das ist die Silberdistel

    • Auszeichnung: Mit der Silberdistel ehrt unsere Redaktion seit vielen Jahren Menschen aus der Region für ihr besonderes bürgerschaftliches Engagement. Der Preis besteht aus einer Urkunde und einer kunstvoll in Silber gearbeiteten Distelblüte, die eigens in der "Alten Silberschmiede" in Augsburg angefertigt wurde.
    • Vorschläge: Jede Leserin und jeder Leser kann Vorschläge für weitere Träger unserer Auszeichnung machen. Ansprechpartner finden sich in unseren Lokalredaktionen. (AZ)
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