Wenn sich die Athleten ab der kommenden Woche bei der Nordischen Ski-WM packende Langlauf-Rennen liefern und von der Schanze Weitenrekorde jagen, werden die Fans nur am Bildschirm dabei sein können. Während 2005 noch Tausende Zuschauer die Weltmeisterschaft in ein Wintermärchen verwandelten, finden die Wettkämpfe jetzt unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – und für die Region geht die Wertschöpfung verloren. Dabei steckt der Tourismus ohnehin gerade in einer tiefen Krise.
2,7 Millionen Übernachtungen zählte Oberstdorf im Jahr – bevor Corona kam. Jetzt betragen die touristischen Umsatzverluste im Ort bis Mitte März bereits etwa 150 Millionen Euro, sagt Bürgermeister Klaus King. Da seien die nicht erzielten Umsätze im Rahmen der Ski-WM noch gar nicht eingerechnet. Der Rathauschef hat gerade gemeinsam mit Vertretern anderer bayerischer Urlaubsorte einen Brandbrief an Ministerpräsident Markus Söder geschrieben und eine Öffnungsperspektive für die Branche gefordert: „Beherbergungsbetriebe, Gaststätten, Einzelhandel und viele weitere Dienstleister gehen bei der WM weitgehend leer aus.“
Wie sich Weltcup-Veranstaltungen auf den Tourismus auswirken
80 Prozent der Besucher von Skisprung- und Langlauf-Weltcups in Oberstdorf wären grundsätzlich bereit, einen Urlaubsaufenthalt in dem Tourismus-Ort zu buchen. Das ist das Ergebnis einer Studie der Hochschule Erding, die die Gemeinde bereits vor drei Jahren in Auftrag gegeben hatte, um bei der Ski-WM erfolgreich für eine Reise in Deutschlands südlichste Gemeinde werben zu können. Doch die Effekte einer „Geister-WM“ haben die Wissenschaftler damals nicht untersucht. Bürgermeister King glaubt dennoch an einen positiven Effekt durch die Weltmeisterschaft: Er hofft auf den Werbewert der Fernsehübertragungen: „Gerade in einer Zeit mit wenig Sportveranstaltungen wird das Interesse der Menschen an der Ski-WM groß sein.“
Warum die WM ein Stück Normalität zurück bringt
So sieht das auch der Oberstdorfer Kurdirektor Frank Jost: „Wir setzen jetzt auf die mediale Wirkung, auf tolle Fernsehbilder und auf die langfristige und nachhaltige Wirkung der WM“, sagt der Tourismus-Chef. „Sicher haben wir uns alle eine WM mit Zuschauern gewünscht“, räumt er ein. Die direkte Wertschöpfung im Ort werde nur ein Bruchteil dessen sein, was eine „normale“ Weltmeisterschaft gebracht hätte, sagt Jost. „Aber Sportler, Medienvertreter und Helfer lassen auch Geld im Ort, das darf man nicht vergessen.“ Mit den WM-Gästen komme für Vermieter und Hoteliers auch ein Stück weit die Normalität zurück, sagt der Kurdirektor. „Viele Gastgeber freuen sich deshalb auf die Ski-WM.“ Auch die örtlichen Gastronomen und Wirte machen mit: Sie bieten Speisen zum Abholen und beliefern Ferienwohnungen und kleine Hotels.
Was ein Tagesgast im Allgäu ausgibt
Trotzdem fehlen Millionenbeträge, die Oberstdorf normalerweise einnehmen würde, wenn bei einer Ski-WM die Zuschauer in den Ort strömen. Nach einer Untersuchung des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr (Dwif) für das Allgäu gibt ein Tagesgast ohne An- und Abreise knapp 30 Euro aus, ein Übernachtungsgast lässt pro Nacht durchschnittlich 113 Euro liegen. Bei Großveranstaltungen sind die Werte noch höher. Zur WM 2005 kamen 350 000 Besucher. Damals wurde abends im Kurpark gefeiert, die Menschen fluteten den Ort, kauften ein und gingen abends in die Restaurants. Doch diese Effekte bleiben bei der WM 2021 aus.
Weil keine Fans kommen, mussten auch die Touristiker umdenken. Statt Informationsständen und einer Smartphone-App, haben die Mitarbeiter der Kurbetriebe jetzt Transparente zu einheimischen Traditionen und Brauchtum aufgehängt sowie Fahnen verteilt. „Wir präsentieren uns als gastfreundlicher, weltoffener und sportbegeisterter Ort“, sagt Jost. Doch vor allem die gut präparierten Loipen sollen ein Aushängeschild sein, sagt der Kurdirektor. „Mit unseren modernen und attraktiven Sportanlagen wollen wir das führende Zentrum für nordischen Skisport im Alpenraum werden.“