Die Polizei steckt in einem Dilemma: Einerseits arbeiten seit 2019 so viele Polizistinnen und Polizisten wie noch nie für das Präsidium Schwaben Süd/West mit Sitz in Kempten: es sind 1900. Andererseits haben die Beamten mehr zu tun als früher. Das hängt vor allem mit dem technischen Fortschritt zusammen.
Ein Beispiel nennt Holger Stabik, Pressesprecher des Polizeipräsidiums: Früher, als man mit Handys nur telefoniert und kurze Textnachrichten, also SMS, geschrieben hat, waren die Datenmengen auf diesen Geräten recht gering. Wurde das Mobiltelefon eines mutmaßlichen Täters ausgewertet, gab es für die Ermittler vielleicht eine Anrufliste und wenige Textnachrichten zu berücksichtigen. Heute ist das anders: Auf modernen Handys haben zehntausende Fotos, tausende Videos und ebenfalls zehntausende Text-Nachrichten auf verschiedenen Kommunikations-Apps Platz, etwa auf Whatsapp.
Smartphones bei der Polizei auswerten kostet viel Zeit
So ein Smartphone auszuwerten, kann mitunter „extrem viel Zeit“ kosten, sagt Markus Rasel, Ermittlungsbeamter der Memminger Inspektion. Das Handy eines Verdächtigen wird sichergestellt und landet in der Abteilung, die digitale Beweismittel sucht und analysiert. Dort werden sämtliche Daten eines Smartphones gesichert und in ein spezielles Computerprogramm geladen. Darüber können Ermittler sich dann unter anderem Fotos, Videos und Nachrichten ansehen und sie auswerten. Also überprüfen, ob eine Straftat bewiesen werden kann.
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Hat beispielsweise ein mutmaßlicher Drogenhändler sich mit jemandem über Textnachrichten zu einem Geschäft verabredet? Das Handy könnte die Antwort und damit einen Beweis liefern. Wenn durch diese Nachrichten ein potenzieller Käufer identifiziert werden kann, wird auch gegen ihn ermittelt. Dann wird eventuell dessen Handy sichergestellt – und die Arbeit beginnt von vorn. Es entstehen „Folgeverfahren“, sagt Markus Rasel.
Kinderpornografie in Whatsapp-Nachrichten: Polizei ermittelt gegen alle Teilnehmer
Einerseits sind also Straftaten die gleichen wie früher. Etwa Drogenhandel, Beleidigung, Betrug, Tötungsdelikte. Wegen anderer technischer Möglichkeiten steckt aber heute eine riesige Datenmenge dahinter, für deren Auswertung die Polizei viel Zeit benötigt, sagt die Kemptener Polizeipräsidentin Dr. Claudia Strößner. Werden durch die digitale Entwicklung mehr Straftaten aufgeklärt? Möglicherweise, antwortet Pressesprecher Stabik.
Mit Zahlen lasse sich das aber nicht belegen. Außerdem entstünden durch neue Technik auch neue „Kriminalitätsphänomene“, wie Stabik es nennt. Ein Beispiel nennt Bernhard Merkel, Leiter der Lindauer Kriminalpolizei: Immer wieder werden in Whatsapp-Gruppen Bilder oder Kurzvideos verschickt, die auf den ersten Blick vermeintlich lustig sind – aber im juristischen Sinne kinderpornografische Elemente beinhalten. Wird ein solches Motiv in eine Nachrichten-Gruppe verschickt und bekommt die Polizei das mit, wird nicht nur gegen den Absender ermittelt, sondern gegen alle Teilnehmer. Der Besitz solcher Inhalte ist „ein Verbrechenstatbestand mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr“, erläutert Stabik.
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Irgendwann wird Künstliche Intelligenz bei der Auswertung helfen
Nur noch in wenigen Fällen spielten digitale Daten heute keine Rolle mehr, sagt Claudia Strößner. Wenn es nicht gerade um sehr schwere Straftaten wie Mord gehe, könne es schon mal einige Wochen dauern, bis Geräte wie Handys ausgelesen sind. Solche Aufgaben würden teilweise an externe Unternehmen abgegeben, sagt Merkel. Wegen der sensiblen Daten müssten die Firmen hohe Standards erfüllen, um von der Staatsanwaltschaft Aufträge zu erhalten. Irgendwann werde Künstliche Intelligenz behilflich sein, die riesigen Datenmengen auszuwerten, sagt Polizeipräsidentin Strößner. Und sie hat noch eine gute Nachricht: Bis zum Jahr 2025 werde das Kemptener Präsidium insgesamt 200 zusätzliche Polizistenstellen bekommen.
Denn es gebe einen weiteren Grund, weshalb die Arbeit der Polizei zunehme: globale Krisen wie Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie, die Lage in Nahost. Solche Ereignisse wirkten sich oft bis ins Allgäu aus. Etwa durch Demonstrationen. Dafür müssten dann Polizisten abgestellt werden. Trotz all der Anforderungen und des Drucks permanenter Veränderungen, auf die jeder Polizist schnell reagieren müsse, habe sie bisher in keinem Abschiedsgespräch gehört, dass es jemand bereut habe, den Beruf ergriffen zu haben, berichtet Strößner. Jeder würde ihn wieder wählen. Und Stabik sagt: „Ich denke, für viele von uns ist es ein Antrieb, Menschen helfen zu können, etwas Gutes zu tun und auf der richtigen Seite zu stehen.“