„Bei uns war die Welt lange in Ordnung. Illegale Prostitution gab es vor Corona vereinzelt, von einem kriminellen Milieu wie in den Großstädten konnte in Kempten aber nicht die Rede sein. Doch seit zwei Jahren breitet sich das Problem im ganzen Allgäu aus“, sagt Kim Volk-Halat. Sie betreibt das Haus 74/76 in Kempten – eine legale Prostitutionsstätte. Wie ihre Kollegen Karin Cimen (Studio Allgäu M 10) und Gustl Duffner (Villa Allgäu/Lustoase) ist sie zunehmend wütend. Denn in den Augen der Geschäftsleute gehen die Behörden nicht konsequent genug gegen die illegale Prostitution vor.
Während der Pandemie mussten die legalen Einrichtungen über Monate geschlossen bleiben, Bordelle dürfen noch immer nicht öffnen. Die aktuellen Corona-Regeln immer aktuell im Newsblog.
Sogenannte Prostitutionsstätten allerdings, bei denen die Frauen nur Kontakt zu ihren jeweiligen Kunden haben, können seit dem Sommer wieder Gäste empfangen. Dazu gehören auch die Häuser in Kempten. „Aber als wir wegen Corona schließen mussten, gab es innerhalb kürzester Zeit haufenweise illegale Angebote im Internet“, sagt Cimen. Und das sei noch immer so.
Illegale Prostitution im Allgäu: Zahlen steigen massiv
„In Bezug auf die illegale Prostitution hat es in den vergangenen zwei Jahren einen erheblichen Sprung gegeben“, bestätigt Polizeisprecher Holger Stabik. 2017 wurden im Allgäu neun Verstöße registriert, 2020 waren es 34, im vergangenen Jahr 71. „Dabei dürfte die Dunkelziffer weitaus höher liegen“, sagt Stabik. Eine gewisse Häufung sei in Memmingen und im Unterallgäu zu beobachten. Dort zählte die Polizei im Jahr 2021 insgesamt 42 Vergehen. „Wir kennen das Problem und reagieren – sowohl proaktiv als auch auf Mitteilung.“
Aus Sicht der Betreiber der Kemptener Häuser schreiten die Behörden allerdings nicht konsequent genug ein. „Wir haben uns richtig reingehängt und sehr viel recherchiert. So konnten wir der Polizei und dem Ordnungsamt ganze Listen mit Adressen weitergeben“, sagt Volk-Halat. „Wir haben quasi die Arbeit der Beamten gemacht. Aber passiert ist wenig bis gar nichts“, moniert Cimen.
Puff in Kempten: Strenge Regeln für Betreiber
Die Kemptener stören sich weniger an der Konkurrenz – „damit muss man umgehen können“, sagt Duffner. „Aber wir müssen uns an Regeln halten, die andere umgehen, ohne dass es Konsequenzen hat.“ Der Gebührenrahmen für die Erlaubnis für eine Prostitutionsstätte bewegt sich laut Stadt Kempten je nach Verwaltungsaufwand zwischen 500 und 50.000 Euro. „Die Frauen brauchen außerdem einen Prostitutionsausweis und einen Gesundheitsnachweis“, sagt Duffner. Und die Häuser müssten ein Hygienekonzept vorweisen. In den Zimmern und Apartments, die die Frauen bei den Betreibern mieten, gebe es Sicherheitsknöpfe, über die ein Sicherheitsdienst verständigt werden kann. Zudem herrsche Kondom-Pflicht. „Das sind alles Dinge, die im illegalen Bereich wegfallen.“
In den Wohnungen oder Hotels, in denen illegal gearbeitet werde, seien fast immer Zuhälter vor Ort, sagt Volk-Halat. Den Gästen sei oft nicht bewusst, dass sie sich in Gefahr begeben. „Auch im legalen Bereich kriegen wir mittlerweile regelmäßig Anfragen von Frauen, die unsere Räume mit Männern beziehen möchten.“ Das gehe gar nicht. „Wir achten darauf, dass bei uns selbstständige Frauen arbeiten.“ Dass nicht doch ein Zuhälter dahinter steht, könne nie ganz ausgeschlossen werden, „aber man kriegt schnell mit, wenn die Frauen wie Ware gebracht und abgeholt werden“, sagt Duffner. Vielen Kunden sei das egal. Umso wichtiger sei ein hartes Einschreiten der Behörden.
Allgäuer Polizei: "Nehmen die Sache ernst"
„Wir nehmen die Sache ernst“, sagt Polizeisprecher Stabik gegen die Vorwürfe. Das Problem sei allerdings, dass die Angebote im Internet an sich nicht strafbar seien. „Um handeln zu können, müssen wir einen wasserdichten Verstoß nachweisen und dafür müssten wir die Frauen inflagranti erwischen.“
Es sei möglich, seitens der Polizei Scheintreffen zu vereinbaren, und das werde auch gemacht. „Dafür brauchen wir aber auch das Personal.“ Nur die Frauen zu bestrafen, die oft aus der Not heraus handelten, sei außerdem nicht das Kernproblem. „Uns wäre auch wichtig, an die Hintermänner zu kommen.“ Dafür müssten die Prostituierten kooperieren. Stabik sagt aber auch: „Wenn wir beispielsweise zeitgleich Hinweise auf häusliche Gewalt und illegale Prostitution bekommen, hat die Gewalt Priorität.“
Die Stadt Kempten antwortete auf Nachfrage unserer Redaktion lediglich, das Ordnungsamt gehe den zunehmenden Hinweisen auf illegale Wohnungsprostitution gemeinsam mit der Polizei nach.
Wo ist Prostitution erlaubt?
- Nur in Städten mit mehr als 30.000 Einwohnern ist legale Prostitution überhaupt möglich, sagt Polizeisprecher Holger Stabik.
- Im Allgäu gibt es erlaubte Prostitution ausschließlich in Kempten – und auch dort ist sie lediglich in wenigen Straßen zulässig. Der Einzugsbereich der Kemptener Häuser reicht daher laut Betreiber Gustl Duffner über das gesamte Allgäu bis nach Augsburg, München und Österreich.
- Außerhalb der erlaubten Bereiche, also im Sperrbezirk, ist Prostitution illegal.
- Wird eine Prostituierte das erste Mal beim Arbeiten in einem Sperrbezirk erwischt, handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit. Erst beim zweiten Vergehen liegt laut Stabik eine Straftat vor. Diese kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe von bis zu 180 Tagessätzen geahndet werden.
- Bei der Ausübung von Prostitution handelt es sich laut dem Gesundheitsministerium in der Regel um eine „körpernahe Dienstleistung“. Für die Frauen gilt derzeit genau wie für die Kunden die 3-G-Regel.
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