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Rund 900 Menschen mit Behinderung haben im Allgäu keine Arbeit

Arbeiten mit Behinderung

„Ich kann nicht gehen, aber das sagt nichts über mich aus.“

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    Maurizio Trimaco verkauft Backwaren im CAP-Markt in Betzigau. Dort arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Das Modell funktioniert gut. Trotzdem tun sich viele Behinderte schwer damit, auf dem klassischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
    Maurizio Trimaco verkauft Backwaren im CAP-Markt in Betzigau. Dort arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Das Modell funktioniert gut. Trotzdem tun sich viele Behinderte schwer damit, auf dem klassischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Foto: Ralf Lienert

    John McFall hat nach einem Motorradunfall nur ein Bein, doch er könnte bald ins All fliegen. Der Brite ist der erste europäische Astronaut mit einer Behinderung. Die Europäische Weltraumorganisation hat den 41-Jährigen, der eine Prothese trägt, für eine Studie ausgewählt: Er soll helfen, die Schwierigkeiten zu erkennen und überwinden, die Astronauten mit einer körperlichen Behinderung bei der Arbeit im Weltraum haben. Probleme gibt es für Menschen wie McFall aber nicht nur bei der Arbeit im All, sondern auch der Erde.

    Selten trifft man in der klassischen Arbeitswelt auf Rollstuhlfahrerinnen, die am Bürotisch sitzen, Gehörlose, die als Handwerker arbeiten, oder Menschen mit geistiger Behinderung, die in Lokalen oder Geschäften bedienen. Doch es gibt Gegenbeispiele, wie etwa hinter der Brottheke beim CAP-Markt in Betzigau (Kreis Oberallgäu). Dort arbeitet Maurizio Trimaco. „Mir macht es sehr viel Spaß, mit den Kunden zu reden“, sagt er. Der CAP-Supermarkt hat laut Geschäftsführerin Regina Dietrich 32 Angestellte, etwa die Hälfte von ihnen hat eine Behinderung – so wie Maurizio. Trotz seiner geistigen Einschränkung arbeitet er genauso viele Stunden wie seine Kollegen ohne Behinderung und bekommt das gleiche Gehalt.

    Wie hoch ist die Arbeitslosenquote bei Schwerbehinderten?

    Die Arbeitslosenquote bei Schwerbehinderten lag in Bayern laut „Aktion Mensch“ vergangenes Jahr bei 11,5 Prozent – dreimal so hoch wie unter Menschen ohne Behinderung. Im Allgäu sind es 920 Schwerbehinderte, die laut Arbeitsagentur arbeitslos sind. Der Staat will es mehr Behinderten ermöglichen, eine Arbeit zu finden. Deshalb müssen in Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern mindestens fünf Prozent Behinderte arbeiten, so steht es im Gesetz.

    Nur 3,7 statt der geforderten 5 Prozent der Stellen sind im Allgäu nach Angaben der Arbeitsagentur mit behinderten Menschen besetzt. Unternehmen, die die Quote nicht erfüllen, müssen einen Ausgleich zahlen. Anna Birk, Leiterin der Inklusions-Fachstelle in Memmingen, bringt das Problem auf den Punkt: „Es ist einfacher für Firmen, sich freizukaufen, als sich damit zu beschäftigen, wie sie Menschen mit Behinderung in ihrem Betrieb einsetzen können.“ Jedoch sei es auch nicht immer einfach, einen Arbeitsplatz behindertengerecht zu gestalten.

    Thomas Feldkircher hat das selbst erlebt. „Als Kind wollte ich Koch werden, aber man hat mir schon von klein auf davon abgeraten, wegen der Gehbehinderung“, sagt er. Schon die Suche nach einem Job war für ihn schwieriger als für andere. Er sagt: „Wenn ich mich bewerbe, weiß ich ja nicht, ob das Unternehmen barrierefrei ist. Ich habe sehr viele Absagen bekommen, wahrscheinlich oft wegen meines Rollstuhls.“

    (Lesen Sie auch: Arbeiten auf Augenhöhe: So läuft der Betrieb in der Inklusionsfirma Irseer Kreis Versand)

    Menschen mit Behinderung stoßen auf viele Hürden

    Feldkircher arbeitet jetzt seit über acht Jahren bei der Arbeitsagentur. Er berät Arbeitgeber zu den Themen Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld sowie Altersteilzeitgesetz und ist stellvertretender Teamleiter. Der 32-Jährige betont: „Ich komme gern zur Arbeit.“ Ganz problemlos lief es anfangs jedoch nicht. „Es war mir ein großes Anliegen, dass die zwei schweren Türen, durch die ich täglich muss, automatisch aufgehen. Das hat eineinhalb Jahre gedauert.“

    Doch das größte Problem sind laut Feldkircher nicht schwere Türen: „Als erstes muss man mal die Vorurteile abbauen“, sagt er. „Ich kann nicht gehen, aber das sagt nichts über mich aus.“ Er wollte immer eine reguläre Arbeitsstelle, um selbst für sich sorgen zu können. Und er denkt, dass er in einer Werkstatt für Behinderte unterfordert wäre. Diese sind für einen Großteil der Behinderten der erste Anlaufpunkt. 2200 Menschen arbeiten laut Arbeitsagentur in einer der Werkstätten im Allgäu. Dort werden sie betreut und haben weniger Leistungsdruck. Aber sie haben auch keinen Anspruch auf Mindestlohn und sind oft auf Sozialhilfe oder Wohngeld angewiesen. Laut Anna Birk von der Memminger Inklusions-Fachstelle wollen auch nicht alle behinderten Menschen einen regulären Beruf ergreifen: „Es gibt Menschen mit Behinderung, die sich in den Werkstätten wohler fühlen als in einem Regelbetrieb, wo sie immer eine Sonderstellung haben“.

    Maurizio Trimaco möchte hingegen anderen Menschen mit Behinderung mitgeben: „Man sollte seinen Traum verwirklichen, das machen, was man wirklich will.“ Sei es Brötchen zu verkaufen, Arbeitgeber zu beraten oder ins All zu fliegen.

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