„Mama, hilf mir, bitte, du musst mir helfen. Ich habe einen Unfall verursacht und eine Frau getötet. Ich bin bei der Polizei.“ Als Elke Bruns am vergangenen Donnerstag dieser Anruf erreicht, ist sie sicher, die Stimme ihrer Tochter zu erkennen. Wenn sie sich an die Situation zurück erinnert, kommen ihr auch jetzt noch Tränen, so real schien ihr die Verzweiflung ihres Kindes. Doch mittlerweile weiß die 60-Jährige, dass sie Betrügern aufgesessen ist.
Eine ganze Welle solcher Schockanrufe ist laut Polizei Ende vergangener Woche über das Ost- und Unterallgäu hereingebrochen. Am Telefon war meist ein angeblicher Polizeibeamter, der den Opfern erklärte, sie müssten eine hohe Summe bezahlen, um einen nahen Angehörigen vor einer Haftstrafe zu bewahren. Dass die Täter sich dabei oft auf einzelne Regionen fokussieren, hat einen Grund, sagt Kriminalhauptkommissarin Tanja Molocher: Dort, wo sich die Anrufe häufen, stünden meist schon Komplizen bereit, die Geld oder Schmuck bei den Angerufenen abholen sollen.
Eine Unterallgäuerin wurde Opfer von Schockanrufen und berichtet
Im Zuge dieser Welle gerät auch die Unterallgäuerin Elke Bruns an die Betrüger. Nachdem sie zunächst mit ihrer völlig aufgelösten vermeintlichen Tochter gesprochen hat, sagt ein angeblicher Polizist, man wolle ihr helfen. 25.000 Euro seien nötig, damit ihr Kind nicht ins Gefängnis müsse. Sie dürfe mit niemanden darüber sprechen, ihre Tochter habe eine Erklärung zur Schweigepflicht unterzeichnet.
Bruns’ 66-jähriger Mitbewohner bekommt laut ihrer Schilderung alles mit. Er ist es auch, der der Unterallgäuerin das Geld leihen soll. Als die Anrufer merken, dass noch jemand im Raum ist, schärfen sie beiden ein, dass sie mit niemandem reden sollen, um die Tochter nicht zu gefährden. Auf dem Weg zur Bank sollen sie per Mobiltelefon weiter in der Leitung bleiben. Ein gängiges Vorgehen, erläutert Molocher: „So soll verhindert werden, dass die Opfer doch noch jemanden anrufen.“ Aber die Filialleiterin der Bank wittert den Betrug und gibt ihnen keinen Kredit. „Als ich gemerkt habe, dass wir das Geld nicht bekommen, war ich einfach wütend und hilflos“, erzählt Bruns. Sie war noch immer überzeugt, dass sie ihrer Tochter beistehen muss. Doch wie kann das sein?
Schockanrufe im Allgäu: Ein Psychologe erklärt die Hintergründe
„Die Täter erzeugen bei ihren Opfern einen Handlungsdruck“, sagt Frank Lohmann, Leitender Psychologe des Kemptener Bezirkskrankenhauses. In kurzer Zeit bauten sie Szenarien auf, welche die Angerufenen emotional berührten: „In Stresssituationen kommen im Gehirn hochgradig automatisierte Prozesse in Gang.“ Diese seien im Menschen angelegt. Im vorliegenden Fall: Rette deine Nachkommen. Im Notfallmodus sei alles darauf ausgelegt, schnell und effizient zu handeln. Wenn dieses Programm laufe, sei das „reflexive Denken“, mit dem man zum Beispiel abwägt, ob etwas sinnvoll ist, nicht mehr verfügbar. „Man braucht dann jemanden von außen, der einen stoppt“, sagt Lohmann. So war es auch bei Bruns. Erst nach einem Telefonat mit ihrem Ex-Mann, der sich mit der echten Tochter in Verbindung gesetzt hatte, konnte sie die Lage richtig einordnen.
Damit solche Situationen, in denen das Gehirn in den Notfallmodus schaltet, gar nicht erst entstehen, ist Prävention laut Lohmann und Molocher ein entscheidender Faktor: „Das Wissen, dass solche Anrufe auch Betrug sein können, könnte den Prozess ganz am Anfang stoppen“, sagt Lohmann. Dazu ist laut Molocher viel Aufklärungsarbeit nötig. „Optimal wäre, wenn die Menschen automatisch überlegen, ob der Anruf echt ist, und auflegen.“ Aber auch dann sollte jeder Anruf bei der Polizei gemeldet werden. Wichtige Informationen seien, wann das Gespräch stattgefunden hat, welche Nummer auf dem Display stand, ob der Gesprächspartner männlich oder weiblich war, ob die Stimme alt oder jung klang und ob vielleicht ein Dialekt zu hören war. „Wir hoffen auf Fehler der Anrufer und jedes Detail kann helfen, damit wir an die Täter kommen“, sagt Molocher.
Polizei warnt vor Betrügern
- Die Polizei warnt vor Anrufbetrügern und rät: Wenn Sie zwei oder mehr der folgenden Fragen mit Ja beantworten können, rufen Sie die Polizei und wählen Sie die 110:
- Wurden Sie angerufen?
- Sollen Sie heute noch Geld übergeben?
- Hat sich der Anrufer als Familienangehöriger, Polizist, Arzt, Notar, Richter oder Ähnliches ausgegeben?
- Sollen Sie an eine unbekannte Person Geld übergeben?
- Sollen Sie etwas überweisen oder eine Geldwertkarte kaufen?
Lesen Sie auch: So schützen Sie sich vor Betrügern!