„Wir kommen an unsere Grenzen“, sagt die Waltenhofenerin Sandra Läufle. Ihre Tochter Svenja ist 21 Jahre alt und arbeitet eigentlich in den Allgäuer Werkstätten in Kempten, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Doch wegen der Corona-Pandemie darf die junge Frau derzeit nicht dorthin kommen. Das macht ihr zu schaffen. Svenja Läufle kann nicht sprechen, lebt in ihrer eigenen Welt. „Meine Tochter hat gerade keine sozialen Kontakte und kann sich nicht wie andere mit Handys oder Ähnlichem ablenken“, sagt Sandra Läufle. „Wir versuchen, immer positiv zu bleiben, und kümmern uns mit Herzblut um unser Kind. Trotzdem zieht sie sich immer weiter zurück und kratzt sich sogar auf.“
Von anderen Eltern hört Sandra Läufle Ähnliches. Die Staatsregierung hat das Betretungsverbot für Werkstätten für Menschen mit Behinderung vergangene Woche bis 10. Mai verlängert. Wie es danach weitergeht, ist noch unklar.
Allein in den Allgäuer Werkstätten sind 700 Menschen mit Behinderung beschäftigt. „Für die meisten ist das nicht nur ihr Job, sondern der Ort, an dem sie ihre Freunde treffen. Außerdem gibt es hier enorm viele arbeitsbegleitende Angebote wie Musik- oder Sportkurse“, sagt Geschäftsführer Michael Hauke. Besonders hart treffe es die über 100 Menschen in der Einrichtung, die seelische oder psychische Probleme haben. Andere verstünden nicht, warum sie nicht in ihr gewohntes Umfeld dürfen.
Hauke geht davon aus, dass sich die Situation bis 18. Mai nicht ändern wird. Zumal vor einer möglichen Öffnung viel zu tun sei, beispielsweise müsse der Fahrdienst entsprechend der Corona-Regelungen organisiert werden. Der Geschäftsführer könnte sich aber vorstellen, dass in einem ersten Schritt Mitte Mai die Mitarbeiter ihre Arbeit wieder aufnehmen dürfen, die bei ihren Eltern oder Angehörigen wohnen, Abstands- und Hygieneregeln beachten können und nicht an Atemwegserkrankungen leiden. Etwas später könnten jene folgen, die in Wohnheimen leben.
Kein Besuch
Auch für sie ist die Situation derzeit nicht leicht. Die Körperbehinderte Allgäu gGmbH beispielsweise betreut zehn Wohngruppen. Die Bewohner können nicht zur Arbeit und bislang durfte kein Externer die Räumlichkeiten betreten. Treffen mit dem Partner oder der Familie waren so kaum möglich, sagt Geschäftsführer Dr. Michael Knauth. Ein Lichtblick: Am Montag hat die Staatsregierung bekannt gegeben, dass das Besuchsverbot auch für Wohngruppen ab 9. Mai gelockert werden soll. Möglich ist dann der Besuch einer festen, registrierten Kontaktperson oder eines Familienmitgliedes mit fester Besuchszeit. Dazu müssen die Einrichtungen Hygienekonzepte vorlegen. „Das ist ein Schritt nach vorne“, sagt Knauth. Jetzt gelte es zu überlegen, wie eine praktische Umsetzung der Lockerungen aussehen könnte.
Ein Problem aber bleibt: „20 bis 30 Prozent unserer Bewohner gehören zur Hochrisikogruppe und noch gibt es für sie keine langfristigen Lösungen“, sagt Knauth. Er fände es gut, würden die Einrichtungen zusammen mit der Politik und den Behörden differenzierte Schutzkonzepte erarbeiten. „Es macht einen großen Unterschied, ob jemand bei einem Unfall eine Hand verloren hat oder mit einer Hirnschädigung auf die Welt gekommen ist.“ Auch die Betroffenen oder ihre Angehörigen sollten gefragt werden, wie viel Schutz sie überhaupt wollen, findet Knauth. Bislang hätten für alle die gleichen, allein von der Politik vorgegebenen Regeln gegolten.
Wenig Vorlaufzeit
Ein gemeinsam erarbeitetes Konzept würde auch die Lebenshilfe Kempten befürworten, sagt Sprecherin Anna-Lena von der Eltz. Zunächst gilt es jedoch zu überlegen, wie die neuen Lockerungen umgesetzt werden können. „In erster Linie freuen wir uns für die Bewohner, dass jetzt wieder Besuche möglich sind, denn die Situation ist für viele wirklich hart. Es ist aber schwierig, in nur wenigen Tagen ein Schutzkonzept dafür zu erarbeiten.“ Beispielsweise müssten extra Besuchszimmer eingerichtet werden. „Die Vorlaufzeit ist sehr kurz, aber wir probieren unser Bestes“, sagt von der Eltz.