Wenn das so weitergeht, sollten sich die Betreiber der Gaststätte im Kemptener Eisstadion ernsthaft eine Umbenennung überlegen. Wie wäre es mit „Canossa“? Wie die Burg in Oberitalien, die es im elften Jahrhundert durch den Bitt- und Bußgang des deutsch-römischen Königs Heinrich IV. zu Papst Gregor VII. Bekanntheit erlangte.
Auch wenn die aktuelle Situation beim Eishockey-Bayernligisten ESC Kempten weit entfernt ist vom Prädikat „weltgeschichtlich“, so erinnert der 60 Meter lange Weg von der Umkleidekabine des ESC bis zur Pressekonferenz im Clubheim für den Trainer des ESC doch immer öfter an den berühmt-berüchtigten „Gang nach Canossa“. Harald Waibel fleht zwar noch nicht um Absolution, doch ähnlich wie sein Vorgänger Brad Miller tut sich auch der 50-jährige Pfrontener schwer, seinen mit ESC-Schals und -Trikots bekleideten „Gläubigen“ zu erklären, was eigentlich unerklärlich ist.
ESC Kempten verliert Heimspiel gegen Peißenberg mit 3:6
Immerhin: Waibel ist der einzige, der sich äußert nach der zweiten Niederlage im zweiten Spiel der Aufstiegsrunde. Vom Vorstand lässt sich nach den Spielen niemand sehen und auch von Kapitän Eric Nadeau gibt es keine verwertbaren Aussagen. Der 48-jährige Routinier hatte dem Zeitungsreporter beim Gang in die Kabine noch zugesichert, zu einem Gespräch zu kommen. Doch auch nach 15 Minuten Wartezeit blieb die Kabinentür verschlossen, was auch daran liegen könnte, dass Nadeaus Gesichtsverletzung wenige Minuten vor Spielende mehr Pflege bedurfte als erwartet.
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Bei Trainer Harald Waibel war es eine Melange aus Verärgerung, Frust und Selbstschutz, als er versuchte, die 3:6-Heimniederlage gegen den EHC Peißenberg zu analysieren. Schon als Gästetrainer Stefan Ihsen von einem verdienten Erfolg seines TSV sprach, dabei die herausragenden Qualitäten seines (an diesem Tag 30 Jahre alt gewordenen) Torhüters Korbinian Sertl herausstellte und vor allem die mannschaftliche Geschlossenheit innerhalb seines Teams lobpreiste, nickte Waibel nicht nur anerkennend, sondern signalisierte damit auch, dass die Seinen einmal mehr wichtige Tugenden des Eishockey-Spiels haben vermissen lassen. Waibel sparte erneut nicht mit Kritik, sprach von viel zu vielen individuellen Fehlern und dem Unvermögen seiner Spieler, enge Spiele auch mal zu ihren Gunsten zu entscheiden. Das alles hatte Waibel bereits nach der Hauptrunde angemahnt, bei der Mannschaft fand er dafür anscheinend kein offenes Ohr.
ESC Kempten leistet sich zu viele individuelle Fehler
„Eng“ war auch dieses Spiel. Die gut 500 Zuschauer sahen eine ausgeglichene und hart umkämpfte Partie, in der – beim Stand von 1:2 – zwischen der 18. und 53. Minute 35 Minuten lang kein Tor fiel. Waibel konnte nicht zufrieden sein mit den Darbietungen seiner Offensivkräfte. Zu selten wurde geschossen, zu unkonzentriert wurden selbst hochkarätigste Chancen ausgelassen. „Was soll ich denn da machen?“, fragte Waibel sich nicht nur in der Pressekonferenz, sondern schon zuvor im Schlussdrittel. Er nahm eine Auszeit, versuchte, seine Spieler noch einmal zu pushen mit der Ansage „Macht jetzt das 2:2 und dann brennt hier der Saal.“
Was ESC-Trainer Harald Waibel "fuchsig" macht
Kurze Zeit später gelang Raphael Gosselin tatsächlich der lang ersehnte Ausgleich, und die Stimmung war auch ohne Saalbrand für kurze Zeit feurig-heiter. Das Aufflammen dauert aber exakt 35 Sekunden, ehe die Feuerwehrler aus Peißenberg mit ihrer eiskalten Chancenverwertung die Kemptner Glut schnell wieder löschten. Und um im Bild zu bleiben: Kemptens Sturmreihen händigten den Gästen aus Oberbayern noch freundlich die Feuerlöscher aus. Sie machten haarsträubende Fehler und leisteten sich vollkommen unnötige Strafzeiten – was Waibel fuchsig machte: „Wir berauben uns selbst jeder Möglichkeit, das Spiel zu gewinnen.“
Und tief frustriert legte er nach: „Wenn wir diese Fehler nicht abstellen, werden wir kein Spiel der Welt gewinnen.“ Es sind keine guten Aussichten für die Fans des ESC Kempten für den Rest der Aufstiegsrunde. Es sei denn, die Mannschaft zeigt, wie schon nach mehreren Rückschlägen in dieser Saison, eine entsprechende Reaktion. Nächste Chance: am kommenden Freitag in Peißenberg.