Fast täglich kommen Geflüchtete im Allgäu an. Inzwischen befinden sich in Schwaben nahezu so viele Flüchtlinge wie die Stadt Memmingen Einwohner hat: 43.965 sind laut Regierung von Schwaben registriert. Kreise und Kommunen kommen mit der Unterbringung kaum hinterher. In den Gemeinden regt sich Widerstand, es kommt zu heftigen Protesten. So ist die aktuelle Lage.
- Protest: Vor allem von Landratsämtern geplante Unterkünfte führten zu Protesten in Kommunen. In Westendorf (Kreis Ostallgäu) wurde bei einer Aktion gegen eine geplante Container-Anlage für 50 Menschen die Ostallgäuer Landrätin Maria Rita Zinnecker (CSU) in Häftlingskleidung und in Handschellen dargestellt. Im Unterallgäuer Tussenhausen, wo bereits ein Zelt steht, beerdigten auf dem Gelände einer geplanten Asylunterkunft Unbekannte symbolisch mit einem Sargdeckel den Dorffrieden. In Burgberg (Kreis Oberallgäu) streiten Gemeinde und Landratsamt wegen eines geplanten Zeltes.
- Unterkünfte: Für Kreise und Städte wird es schwieriger, Unterkünfte zu finden. In Kempten soll jetzt das Gelände der ehemaligen Artillerie-Kaserne belegt werden. Das Innenministerium favorisiert offenbar eine Flüchtlingsunterkunft „in Leichtbauweise“ auf dem Areal, der Freistaat würde diese errichten. Turnhallen sollen nur im Notfall genutzt werden. In Lindau ist dies aber bereits geschehen, dort wurde die Halle der FOS/BOS von Geflüchteten bezogen. In Marktoberdorf trifft dies auf die Turnhalle der Berufsschule zu. Auf dem Parkplatz des Landratsamtes in Marktoberdorf soll ein Zelt entstehen. Kritik kommt vom dortigen Bürgermeister Dr. Wolfgang Hell: Eine weitere Unterkunft sei den Bürgern nicht mehr zu vermitteln. Vielerorts stehen bereits Zelte, etwa in Dietmannsried und Immenstadt. Im Unterallgäu werden wegen der anhaltenden Zuwanderung (wöchentlich bis zu 50 Personen) weitere Notunterkünfte in Form von Thermohallen geplant.
- Brandbrief: Ende August hatte der Unterallgäuer Landrat Alex Eder (Freie Wähler) einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben. Darin schilderte er die Probleme – zum Beispiel bei der Unterbringung von Geflüchteten. Eder ging auch auf Lösungsansätze ein. Eine Forderung: Die Liste der sicheren Herkunfts- und Drittstaaten auszuweiten. Der Landrat hat inzwischen eine Antwort erhalten. Er habe das Gefühl, dass die von ihm und Kollegen geäußerten Sorgen beim Bundeskanzler angekommen seien, sagt der Kreischef. Die politischen Beschlüsse, zum Beispiel Abschiebungen zu beschleunigen, seien aber nur ein erster Schritt. Einen Willen „zur Veränderung der Bundespolitik“, könne er jedoch nicht herauslesen. Der Bund argumentiere außerdem, dass seine Möglichkeiten begrenzt seien. Er erwarte aber gleichzeitig, dass die Kommunen bei der Aufnahme und Integration unbegrenzte Möglichkeiten haben. „Das ist unlogisch“, resümiert Eder.
- Ukraine: Mit über einer Million Menschen machen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland laut Statistischem Bundesamt den größten Anteil an Geflüchteten aus. Im Ostallgäu sind in der Region derzeit die meisten Menschen aus diesem Land untergebracht (1782). Kaufbeurens Oberbürgermeister und Vorsitzender des Schwäbischen Städtetags, Stefan Bosse, kritisierte, dass Ukrainerinnen und Ukrainer Bürgergeld erhalten. Aus seiner Sicht sei das eine der Hauptursachen dafür, dass nur ein kleiner Teil auch arbeitet. In Kaufbeuren gehen 27 Prozent der Ukrainer einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach. Für die übrigen Kreise und kreisfreien Städte im Allgäu lässt sich diese Quote nicht ermitteln – Daten liegen nicht vor. Lena Knitz widerspricht Bosse.Sie ist gebürtige Ukrainerin, kümmert sich in Kempten um Flüchtlinge. Eine Mehrheit der Ukrainer wolle einen Job. Ein Problem: die Sprache.
- Prognose: Laut Regierung von Schwaben habe sich die Zahl der ankommenden Geflüchteten leicht verringert. So waren seit Anfang November 559 Neuankünfte im Ankerzentrum Schwaben zu verzeichnen. „Bis zum Monatsende rechnen wir mit insgesamt 800 bis 900 Neuankünften.“ Das sei weniger als die Hälfte der Ankunftszahlen der beiden Vormonate.
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