An der Zapfsäule sind sie derzeit für Allgäuerinnen und Allgäuer unmittelbar spürbar: steigende Energiekosten. Der Krieg in der Ukraine ließ die Spritpreise in neue Höhen klettern, gleichzeitig mehrten sich Befürchtungen um die Versorgung mit Erdgas. Auch Firmen im Allgäu sorgen sich angesichts der Preise von Strom und Gas – aber auch um die Versorgungssicherheit.
„Auch wenn wir das im Moment nicht hören möchten: An russischem Gas führt derzeit kein Weg vorbei“, sagt Michael Lucke, Geschäftsführer des Allgäuer Überlandwerks (AÜW). Momentan komme sogar mehr Gas aus Russland als früher. Dies sei auf langfristige Verträge zurückzuführen. Doch nicht nur beim Erdgas sei Russland relevant. Auch 50 Prozent der in Deutschland verbrauchten Kohle stamme von dort. In Deutschland war Kohle im dritten Quartal 2021 der wichtigste Energieträger in der Stromerzeugung. „Die Frage ist, wie schnell man beides ersetzen kann“, sagt Michael Lucke mit Blick auf Kohle und Gas aus Russland. (Lesen Sie auch: Kann ein Stromausfall ganz Europa lahmlegen? Das sagt unser Betreiber Allgäu Netz dazu)
AÜW-Chef: Versorgung mit Strom und Gas "ist derzeit sicher"
Er gibt jedoch auch Entwarnung: „Die Versorgung mit Strom und Gas ist derzeit sicher.“ So sei auch ein hoher Anteil erneuerbarer Energien im Netz. Durch die Krise stiegen die Preise jedoch weiter an – solche Sprünge wie in den vergangenen sechs Monaten habe es noch nie gegeben: „Das ist auch für uns eine neue Erfahrung.“
Ein düsteres Bild zeichnet die Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben: „Die stark steigenden Strom- und Gaspreise haben sich mittlerweile zu einem weitreichenden Risiko entwickelt. Immer mehr IHK-Mitgliedsunternehmen berichten uns von den dramatischen Auswirkungen dieser Kostenexplosion“, hieß es nach der jüngsten Konjunkturumfrage, die noch vor dem Ukraine-Krieg stattfand. Andrea Thoma-Böck, Vorsitzende der IHK-Regionalversammlung Memmingen/Unterallgäu, fordert die Politik auf, schnelle Perspektiven für bezahlbare Energie zu entwickeln. (Lesen Sie auch: So bewahren Betreiber das Stromnetz in Europa vor einem Blackout)

„Das Ziel muss sein, die erneuerbaren Energien weiter und schneller auszubauen“, fordert AÜW-Geschäftsführer Lucke. „Je mehr wir davon im System haben, desto weniger wirken sich solche Krisen aus.“ Dafür müssten aber Genehmigungsprozesse radikal verkürzt werden. Deutschland brauche außerdem dringend eigene Terminals für LNG, „um unabhängiger von russischem Gas zu werden“, betont Lucke. Dieses in den flüssigen Zustand heruntergekühlte Erdgas kann per Schiff transportiert werden.
Rückkehr zur Atomkraft als Lösung?
Für den Ausbau von Stromtrassen aus Norddeutschland für regenerative Energien spricht sich Bernhard Ruffing aus. Der Geschäftsführer von Kolb Wellpappe in Memmingen ist zudem für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken. So könne man möglichen Stromengpässen vorbeugen. „Dies kann im eigenen Land eher sichergestellt werden als durch Zukauf von Atomstrom aus dem Ausland.“
Einer Diskussion über Kernkraft erteilt hingegen Lucke eine Absage. „Es ist zu früh, um über Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke oder eine Rückkehr zur Atomkraft nachzudenken.“ Das sei nicht zielführend – was man brauche, seien Sofortmaßnahmen.
Kunststofftechnik Bernt mit eigenen Blockheizkraftwerken
Auch beim AÜW sind konkrete Schritte geplant: „Wir steuern bereits gegen und verschieben nach Möglichkeit die Revisionen von Wind- und Wasserkraftwerken auf das nächste Jahr, damit wir nicht weniger Strom produzieren“, sagt Lucke. Zudem wolle man die erneuerbaren Energien ausbauen. Das machen immer häufiger Firmen selbst, um unabhängiger zu werden. (Lesen Sie auch: Überblick mit Checkliste: So bereiten Sie sich auf einen Blackout vor)
Einen großen Schritt in diese Richtung hat die Kaufbeurer Firma Kunststofftechnik Bernt getan: Sie betreibt zwei Blockheizkraftwerke und eine Photovoltaikanlage – und kann damit nach eigenen Angaben gut ein Drittel der benötigten Energie selbst erzeugen. Die Blockheizkraftwerke liefern beispielsweise auch die notwendige Wärme bei der Galvanik-Produktion.
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