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Tierskandal - Dramatische Zustände in Stall im Oberallgäu - Landwirte gestehen

Tierschutz-Prozess in Kempten am Dienstag

Abgemagerte Rinder, entzündete Wunden: Oberallgäuer Landwirte gestehen

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    Wann die beiden noch ausstehenden Prozesse im Allgäuer Tierskandal verhandelt werden, ist derzeit nicht klar. Das Memminger Landgericht ist derzeit mit großen Prozessen ausgelastet.
    Wann die beiden noch ausstehenden Prozesse im Allgäuer Tierskandal verhandelt werden, ist derzeit nicht klar. Das Memminger Landgericht ist derzeit mit großen Prozessen ausgelastet. Foto: Julian Stratenschulte, dpa (Symbolfoto)

    Abgemagerte Rinder, entzündete Klauen, eiternde Wunden, deformierte Gelenke, verdreckte und beengte Ställe, das Trinkwasser von Kälbern gefroren - dieses Bild zeigte sich am Dienstag vor dem Landgericht Kempten. Dort muss sich ein Landwirt-Ehepaar mit seinem Sohn aus einem Ort im nördlichen Oberallgäu wegen des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz in insgesamt 107 Fällen verantworten. Obwohl sie bei etlichen Kontrollen der zuständigen Behörden auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam gemacht worden seien, habe sich wenig bis nichts geändert und sie hätten die andauernden Schmerzen und das Leid der Tiere aus wirtschaftlichen Interessen in Kauf genommen, heißt es in der 32-seitigen Anklageschrift.

    Am ersten Verhandlungstag räumten alle drei Angeklagten die Schuld ein. Sie erklärten die Situation mit zu schnellem Wachstum des Betriebs, finanziellen Problemen und starker Überforderung. 1987 hatte der heute 71-jährige Vater den Hof von seinen Eltern übernommen und baute ihn aus. "Das war über 30 Jahre lang ein Spitzenbetrieb bei der Tierzucht", ließ er über seinen Anwalt vor Gericht erklären. Der Sohn (33) machte unter anderem einen landwirtschaftlichen Studienabschluss und stieg vor einigen Jahren in Vollzeit in den elterlichen Betrieb ein.

    Oberallgäuer Landwirte vor Gericht: Familie mit Arbeit überfordert

    Um den Hof wirtschaftlich betreiben zu können, wurde die Zahl der Kühe von 180 auf fast 600 aufgestockt. Zu "Versäumnissen" und einer "Überforderung" sei es gekommen, als der Sohn im Mai 2019 einen schweren Autounfall hatte - ein Lkw hatte ihm die Vorfahrt genommen. Er erlitt erhebliche Schädelbrüche, lag mehrere Monate im Koma und es war nach Aussage der Mutter (69) unklar, ob ihr Sohn überhaupt überlebt und wenn ja, in welchem körperlichen und geistigen Zustand. Er blieb bis März 2020 arbeitsunfähig.

    Die Eltern und die überwiegend rumänischen Hilfsarbeiter hätten versucht, den Laden am Laufen zu halten - kamen aber mit dem Pensum trotz eines hohen zeitlichen Engagements offenbar nicht zurecht. Laut dem Vater spitzte sich die Situation im Sommer 2019 zu, als einige der Arbeiter entgegen Absprachen länger im Heimaturlaub blieben. Zudem geriet der Betrieb zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten - wohl auch, weil beispielsweise die Eltern einmal vergessen hatten, die Milchkühlung einzuschalten, die Milch dadurch verkeimte und den Landwirten nicht mehr abgenommen wurde.

    Weil auch die Bank keinen Kredit gewährte habe, konnten für die Rinder kein gutes Futter mehr gekauft werden - sie bekamen ausschließlich Silage und magerten so massiv ab, dass teilweise die Knochen hervortraten. Dennoch wurden sie offenbar immer noch dreimal täglich gemolken. Auch Rechnungen für Tierärzte konnten nicht mehr bezahlt werden.

    Chaotische Zustände auf dem Hof: Experten schockiert

    Eine als Zeugin geladene Amtstierärztin des Landkreises Oberallgäu schilderte die Historie etwas anders. Demnach fiel der Hof bereits 2016 auf, weil dort ungewöhnlich viele Kälber starben. Das führte zu weiteren Kontrollen. Seit Oktober 2019 gab es innerhalb eines halben Jahres insgesamt 14, weil sich die Zustände dramatisch verschlechtert hatten. Im Januar 2020 nahmen Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz auf, nachdem sich trotz mehrerer Nachkontrollen und Anordnungen durch Veterinär- und Landratsamt keine deutlichen Verbessererungen auf dem Hof zeigten. Allein im Januar 2020 wurden noch rund 200 Tiere vorgefunden, die dringend ärztlich behandelt werden mussten. Die drei Landwirte hätten sich zwar die Beanstandungen angehört, "aber wenig einsichtig gezeigt", sagte eine Amtstierärztin.

    Stallbereich für 27 Tiere gedacht - 42 waren aber drin

    Sie war als Zeugin am ersten Verhandlungstag ebenso gehört worden wie die ermittelnde Kripobeamtin und eine Mitarbeiterin des Veterinäramts. Alle sprachen von chaotischen Zuständen auf dem Hof. In einem Stallbereich, der für 27 Tiere ausgelegt war, befanden sich 42 - teilweise konnten sie wegen massiver Klauenverletzungen nicht mehr stehen und hatten laut der Experten "erhebliche Schmerzen". Nach den ersten Kontrollen mussten aufgrund ihres schlimmen Zustandes mehrere Rinder noch vor Ort eingeschläfert werden.

    Inzwischen hat der als GbR vom Vater geleitete Betrieb Insolvenz angemeldet. Der Hof wurde verkauft, die Eltern haben dort aber noch fünf Jahre Wohnrecht. Der Sohn macht inzwischen eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich. Allen drei Angeklagten ist es bereits untersagt, Tiere zu halten.

    Die Verhandlung wird am 14. Dezember fortgesetzt. Im Falle einer Verurteilung drohen den Angeklagten Geldstrafen oder auch eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren.

    Parallelen zum "Allgäuer Tierskandal" von 2019?

    Mit dem sogenannten "Allgäuer Tierskandal" vom Sommer 2019 hat der aktuelle Fall nicht direkt zu tun, bei dem drei Betriebe in Bad Grönenbach im Fokus standen. In zwei Fällen wurde nach Angaben der Justiz inzwischen Anklage erhoben. Die Verhandlungen fänden voraussichtlich im ersten Halbjahr 2022 statt, sagte Sprecher des Memminger Landgerichts. Wegen aktueller Mordverfahren habe sich der Termin nach hinten verschoben.

    Weitere Infos folgen.

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