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„Uns Landwirte bedrückt das gewaltig“

Kempten/Allgäu

„Uns Landwirte bedrückt das gewaltig“

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    Gesprächsrunde zur Landwirtschaft und Tierschutzskandal
    Gesprächsrunde zur Landwirtschaft und Tierschutzskandal Foto: Matthias Becker

    Die massiven Vorwürfe gegen Unterallgäuer Bauern wegen Tierquälerei haben tiefe Spuren hinterlassen: „Uns Landwirte bedrückt das gewaltig. Immer wenn ich in den Stall gehe, denke ich an eine Kamera“, sagt die Oberallgäuer Kreisbäuerin Monika Mayer. „Das ist ein verdammt mieses Gefühl. Denn der Stall ist kein Büro, er ist unser Lebensmittelpunkt.“

    Heimliche Videoaufnahmen des Vereins „Soko Tierschutz“ bei einem Milchvieh-Betrieb in Bad Grönenbach zeigen gravierende Misshandlungen von Kühen. Gegen neun Beschuldigte wird ermittelt (wir berichteten). Gegen einen zweiten Betrieb in der Gemeinde laufen nach einer anonymen Anzeige ebenfalls Ermittlungen, bei einem dritten Bauern hat die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen aufgenommen.

    Als Gäste der Redaktion betonen Kreisbäuerin Mayer, ihr Unterallgäuer Kollege Martin Schorer sowie der schwäbische Bauernverbandspräsident Alfred Enderle, dass die meisten Landwirte verantwortungsbewusst arbeiteten. Mayer fordert: „Wir brauchen wieder ein gesundes Vertrauen in die Tatsache, dass Bauern ureigenstes Interesse am Tierwohl haben.“ Die drei BBV-Vertreter wollen die mutmaßlichen Vorkommnisse bei dem Unterallgäuer Bauern nicht beschönigen. „Missstände müssen aufgeklärt und konsequent bestraft werden“, sagt Enderle. Doch rund um diesen Fall gebe es vieles, was den Landwirten schwer im Magen liegt. Wenn beispielsweise die „Soko Tierschutz“ dazu animiere, weitere Vorkommnisse zu melden, „ist das ein Aufruf zum Denunzieren“, sagt Schorer.

    Enderle wünscht sich generell, dass bei kritischen Beobachtungen erst das Gespräch mit dem Bauern gesucht wird. „Unsere Türen stehen fast immer offen.“ Bei echten Missständen müssten selbstverständlich die Behörden eingeschaltet werden.

    Die Hetze gegen den Unterallgäuer Landwirt im Internet, dazu zerstochene Reifen und eingeschlagene Scheiben: „Das ist unserer Demokratie nicht würdig“, ärgert sich Schorer. In der öffentlichen Diskussion würde sich der Unterallgäuer BBV-Obmann „weniger Haudrauf-Mentalität und mehr Realitätssinn“ wünschen.“ Eine kranke 650-Kilo-Kuh müsse man beispielsweise mithilfe einer Hüftklemme aufstellen, auch wenn das „kein schönes Bild abgibt“. Das heiße aber nicht, dass man ein krankes Tier mit der Klemme durch den Stall ziehen dürfe.

    Generell sei es ein Problem, „dass die meisten Menschen keinen Bezug mehr zur Landwirtschaft haben“, sagt Mayer. „Das Idealbild kleiner Höfe mit zehn Tieren ist einfach nicht realistisch“, sagt auch Schorer: „So können wir die Bevölkerung nicht ernähren.“ Der Trend zu deutlich größeren Betrieben habe vor vielen Jahren begonnen und sei nicht mehr umkehrbar. Schorer verweist auf Hawangen im Unterallgäu: „Da gab es nach dem Krieg 82 Milchbauern, jetzt sind es sieben.“

    Ohnehin hänge das Tierwohl nicht von der Zahl der Kühe ab: „Auch ein Betrieb mit mehreren hundert Tieren ist dank Melkroboter und Futterwagen gut zu führen. Man braucht halt ausreichend qualifizierte Mitarbeiter“, sagt Mayer. Doch die seien immer schwerer zu finden. Enderle nickt: „Es bringt nichts, die Zahl der Tiere zu begrenzen.“ Auch in einem Kleinbetrieb könne ein Bauer an sein Limit kommen, etwa durch Krankheit.

    Die BBV-Vertreter erläutern, dass es bei der Haltung von Kühen häufig darum gehe, gute Kompromisse zu finden. Enderle nennt ein Beispiel: „Die Tiere sind im Winter für eine bestimmte Zeit angebunden, im Sommer dürfen sie raus auf die Weide.“ Und Schorer merkt an: „Wenn ich die Kühe nicht ordentlich behandle, schade ich mir doch selbst. Schließlich verdiene ich mein Geld mit der Landwirtschaft.“

    Der Tierskandal im Unterallgäu hat auch eine Diskussion darüber ausgelöst, warum die Veterinärämter nicht besser besetzt sind, um Missstände schneller zu erkennen. Für Enderle ist es keine Lösung, die Zahl der Kontrolleure zu erhöhen. Stattdessen sollten Veterinäre „mehr Freiraum“ bekommen: „Sie werden mit Bürokratie überschüttet, müssen Ohrmarken kontrollieren und seitenweise Formulare ausfüllen.“ Für das Tierwohl sei damit nicht viel gewonnen. Die Veterinäre sollten stärker beraten und Partner der Landwirte sein, fordert Enderle.

    Mayer wünscht sich nun, dass die Verbraucher ihre Erschütterung über die Verstöße in Bad Grönenbach ummünzen in „ein Interesse daran, was der Bauer im Dorf macht, wie Landwirtschaft funktioniert“. Gerade jetzt sei es wichtig, dass Landwirte ihre Arbeit erklären, ergänzt Enderle. Aktionen wie der „Tag des offenen Hofes“ oder Angebote für Schulklassen müsse man ausweiten. Auch im eigenen Berufsstand gelte es zu trommeln, speziell beim Nachwuchs. Für dessen Motivation sei die aktuelle Situation Gift, sagt Enderle: „Da fragt sich mancher: Tue ich mir das an?“Bayern

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