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W. G. Sebalds "Heimkehr" nach Wertach als Hörspiel

Literatur aus dem Allgäu

W. G. Sebalds "Heimkehr" nach Wertach als Hörspiel

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    Eine Erzählung von W. G. Sebald wird zu einem plastischen Hörspiel: Die Regisseure Ralf Bücheler (links) und Johannes Mayr bei der Produktion von „Il ritorno in patria“.
    Eine Erzählung von W. G. Sebald wird zu einem plastischen Hörspiel: Die Regisseure Ralf Bücheler (links) und Johannes Mayr bei der Produktion von „Il ritorno in patria“. Foto: Matthias Willi

    „Es ist tatsächlich der Mensch eine perverse Spezies, eine um ihren gesunden Tierverstand gekommene Spezies.“ Dieses vernichtende Urteil stammt von W. G. Sebald. Der 1944 in Wertach geborene Schriftsteller, der nach einem Studium der Germanistik und Anglistik in Freiburg und dem schweizerischen Fribourg 1966 nach England auswanderte, wo er 2001 an den Folgen eines Unfalls starb, zweifelte daran, dass Menschen aus ihren Fehlern lernen. Seine pessimistische Sicht erläutert er in einem neuen Hörspiel, das die beiden aus dem Allgäu stammenden Regisseure Ralf Bücheler und Johannes Mayr erarbeitet haben. Es stützt sich auf die Erzählung „Die Heimkehr“ aus dem 1990 erschienenen Band „Schwindel. Gefühle“ von Sebald.

    Der Ausgewanderte

    Sie erzählt von einem Besuch des Ausgewanderten im November 1987 in seinem Heimatort Wertach. Doch anders als die Odysseus-Oper von Claudio Monteverdi, auf die der Original-Titel „Il ritorno in patria“ des Textes verweist, findet bei Sebald die Hauptfigur in der Heimat nicht die ersehnte Zuflucht nach langer Irrfahrt, sondern die Hauptfigur verlässt die Heimat wieder fluchtartig. Doch der Erzähler vermag der Erinnerung nicht zu entkommen. Die Heimat verfolgt ihn im Traum. Und der lässt in den Abgrund blicken.

    Die freche Bedienung

    Während W. G. Sebald in seinem Original-Text den zentralen Ort des Geschehens und seiner Erinnerungen mit „W.“ anonymisiert, benennt ihn das Hörspiel eindeutig. Längst ist der Schleier gelüftet, den der Autor noch zur Zeit der Entstehung vielleicht darüberzubreiten glaubte. Bei anderen Details freilich war er weniger zurückhaltend. So nennt er die Tiroler Stuben in Innsbruck, wo er auf der Fahrt nach Wertach, von Verona kommend, einen Kaffee einnimmt, und sich, nach einer leichten Kritik daran, einige Frechheiten von der Bedienung anhören muss. In dieser Szene weitet sich erstmals die Erzählung zum plastischen Hörspiel, lässt Figuren und Situationen wie auf einer Theaterbühne oder Filmleinwand unmittelbar erlebbar werden.

    Viel Feingefühl von August Zirner

    Immer wieder wird von nun an der stark gekürzte und manchmal auch gegenüber dem Original sprachlich etwas vereinfachte Erzähltext, den Schauspieler August Zirner mit viel Feingefühl für den Sebald’schen Sprachrhythmus leicht verständlich vorträgt, dramaturgisch geschickt durch solche Spielszenen aufgelockert. Dabei gewinnen nicht nur manche Figuren, die in der Erzählung erwähnt werden, an Plastizität. Auch eine ganz neue Figur wird eingefügt: Ein geheimnisvoller Wanderer, der in den Bus, der von Innsbruck nach Oberjoch fährt, einsteigt, und von da an immer wieder dem Erzähler an den überraschendsten Orten begegnet: etwa in der Kapelle in Krummendorf, auf dem Dachboden der Alpenrose in Wertach oder auf der Rückfahrt nach England.

    Der Wanderer Sebald

    Dieser Wanderer ist W. G. Sebald, der so in diesem Hörspiel selbst zu Wort kommt, an zentralen Stellen der Erzählung seine Gedanken über Heimweh, Vergänglichkeit und das Abgründige im Menschen äußern kann und damit die eigentliche Erzählung noch vertieft. „Seine Aussagen“, erklärt Regisseur Ralf Bücheler zu W. G. Sebalds eingebauten Äußerungen, seien überraschend aktuell: „Was er vor oftmals über 20 Jahren sagte, erscheint angesichts von Klimawandel, weltweiten Fluchtbewegungen und der Unausweichlichkeit, mit der wir Menschen die eigene Lebensgrundlage zerstören, überaus gegenwärtig.“

    Ein neues, meisterhaftes Werk

    So entsteht mit diesem Hörspiel aus einer meisterhaften literarischen Vorlage ein neues, ebenso meisterhaftes, aber durchaus eigenständiges Werk, zu dessen Gelingen viele renommierte Künstler beitragen, wie etwa die aus Oberstdorf stammende Schauspielerin Crescentia Dünßer oder der vor allem als Dramatiker und Librettist bekannt gewordene Tiroler Händl Klaus.

    Am Ende bleibt nur zu hoffen, dass der Mensch sich doch noch als lernfähig erweist und sich nicht Sebalds pessimistische, aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gewonnene Überzeugung bewahrheitet, wie er sie in diesem Hörspiel dem Erzähler offenbart: „Wenn wir einmal auf einer Schiene sind, dann fahren wir meist bis in den Abgrund hinein.“

    Hörspiel „Il ritorno in patria“ (Die Heimkehr) nach einer Erzählung von W. G. Sebald wird am Samstag, 24. Juli, um 20 Uhr im Schweizer Radioprogramm SRF 2 Kultur gesendet; der Podcast zur Sendung ist auch in Deutschland zugänglich.

    Informationen zum Hörspiel "Il ritorno di patria" im Internet.

    Lesen Sie auch den Beitrag zur Sebald-Forschung: "Experten machen Probebohrungen in W. G. Sebalds Werk".

    Lesen Sie auch den Beitrag über Biografisches zu Sebald: "Das Kreuz mit den Vornamen".

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