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Wann ist mein Kind handysüchtig - und was kann ich dagegen tun?

Experte aus der Region klärt auf

Ab wann ist mein Kind handysüchtig - und was kann ich dagegen tun?

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    Wenn Kinder oder Jugendliche stundenlang am Handy hängen oder bei Computerspielen kein Ende mehr finden, wird das oft zur Belastungsprobe innerhalb von Familien. Eltern sorgen sich, dass ihr Nachwuchs mediensüchtig ist. Doch es gibt Strategien gegen diese Abhängigkeit.
    Wenn Kinder oder Jugendliche stundenlang am Handy hängen oder bei Computerspielen kein Ende mehr finden, wird das oft zur Belastungsprobe innerhalb von Familien. Eltern sorgen sich, dass ihr Nachwuchs mediensüchtig ist. Doch es gibt Strategien gegen diese Abhängigkeit. Foto: Hans-Jürgen Wiedl, dpa (Archiv)

    Sie zocken stundenlang am Computere, führen Endlos-Chats am Handy und ziehen sich immer mehr zurück. Um den Medienkonsum ihrer Kinder sorgen sich auch im Allgäu Eltern. Doch ab wann wird von Sucht gesprochen? Wie lässt sie sich bekämpfen? Experte Niels Pruin gibt Antworten.

    Der Inhaber eines Handy-Reparaturdienstes erzählte uns, dass Jugendliche teils in Tränen ausbrechen und kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehen, wenn sie ihr Handy abgeben. Sind das Zeichen einer körperlichen Sucht?

    Pruin: In der Suchttherapie wird heute nicht mehr klassisch zwischen psychischer und körperlicher Abgängigkeit unterschieden. Vieles Psychische geht ins Körperliche über. Eine Suchterkrankung ist eine schwerwiegende chronische Erkrankung, die über einen längeren Zeitraum entsteht.

    Das lässt sich im genannten Fall nicht abschließend klären. Aber er sollte zu denken geben: Darf es sein, dass ein technisches Gerät so einen Zwang ausübt? Studien zeigen, dass schon der Anblick des eigenen Handys die Dopaminausschüttung, also unser Belohnungssystem, im Gehirn aktiviert. Wir empfinden Glücksgefühle und wollen mehr davon.

    (Lesen Sie auch: Mann steigt beim Wandern verlorenem Handy nach - und stirbt)

    Ab wann wird von Mediensucht gesprochen?

    Pruin: Entscheidend ist nicht die reine Stundenzahl, die der Betroffene am Bildschirm sitzt. Anzeichen für eine Abhängigkeit ist zum Beispiel der Kontrollverlust. Wenn jemand also nicht mehr steuern kann, wie viel er konsumiert. Oder wenn er trotz starker, negativer Konsequenzen - zum Beispiel dem Verlust von Freunden außerhalb der virtuellen Welt, Leistungseinbußen in der Schule oder negativen Veränderungen des gesundheitlichem Wohlbefinden - weitermacht.

    Wichtig ist die Frage: Warum muss er oder sie so häufig das Internet nutzen? Oft ist ein starker Drang damit verbunden, unangenehmes, wie Mobbing-Erfahrungen, Einsamkeit, Schulstress, mangelndes Selbstbewusstsein, nicht zu spüren oder zu verdrängen.

    Suchttherapeut Niels Pruin klärt über Mediensucht auf.
    Suchttherapeut Niels Pruin klärt über Mediensucht auf. Foto: Caritas

    Passiert das eher in der Großstadt als auf dem Land?

    Pruin: Das kann überall dort passieren, wo es eine gute Internetverbindung gibt.

    Haben die Corona-Lockdowns die Probleme verstärk?

    Pruin: Definitiv ja. Auch im ländlichen Raum wie dem Allgäu. Kinder und Jugendliche konnten nicht mehr ihr gewohntes Freizeitangebot nutzen. Sie entdeckten, dass sie ihre Grundbedürfnisse auch virtuell abdecken können - und dort sogar noch schneller. Das gilt auch für Erwachsene. Als Therapeut erlebe ich täglich Menschen, denen ein Bildschirm längst nicht mehr ausreicht. Die spielen online ein Computerspiel, lassen gleichzeitig einen Porno laufen, schauen Youtube-Filme oder schreiben über Whatsapp auf dem Handy.

    Ist Mediensucht eine anerkannte Krankheit? Zahlt beispielsweise die Krankenkasse eine Therapie?

    Pruin: Die Weltgesundheitsorganisation hat Computerspielsucht (Gaming Disorder) als Krankheit anerkannt. Entsprechende Therapien werden von den Kassen und Rentenversicherungsträgern übernommen. Eine Smartphone-Sucht ist dagegen keine anerkannte Krankheit. Aber die Grenzen sind fließend, da es unerheblich ist, welches Gerät letztlich genutzt wird. Das Handy ist das gefährlichste Gerät um eine Mediensucht zu entwickeln, da es mobil mit sich rumgetragen werden kann.

    Was können Eltern tun, deren Kindern sich nicht mehr von Handy oder PC lösen können und sich immer mehr abschotten?

    Pruin: Eltern, die rechtlich die Handyverträge abgeschlossen haben und diese häufig auch zahlen, dürfen Mediennutzungsregeln erstellen. Sie sollten aber auch erklären, warum es ihnen wichtig ist Regeln aufzustellen. Zum Beispiel: Ich sorge mich, wenn du den ganzen Abend am Handy hängst. Wichtig ist immer, das Gespräch zu suchen. Ansprechpartner beim Thema Medien,- und Internetsucht sind beispielsweise alle Caritas Suchtfachambulanzen, im Allgäu zum Beispiel in Kempten, Sonthofen, Memmingen, Kaufbeuren, Füssen oder Lindau.

    Wie gelingt es Ihnen, im Streit zwischen Eltern sowie Kindern und Jugendlichen um Mediennutzung zu vermitteln?

    Pruin: Zum Beispiel, indem wir gemeinsam mit der ganzen Familien einen Mediennutzungsvertrag diskutieren und erstellen. Darin ist geregelt, wie viel und wann Medienkonsum erlaubt ist. Auch für die Erwachsenen gibt es Pflichten: Zum Beispiel, dass sie nicht mehr mahnen und stören, wenn gerade Bildschirmzeit ist. Trotz möglicher Gefahren sollten wir die Technik nicht ständig verteufeln. Smartphones haben viele Vorteile wie Lern-Apps, Navigationssysteme und andere Funktionen, die vieles erleichtern. Computerspiele machen Spaß. Es geht darum, die richtige Balance zu finden ohne negativ beeinflusst zu werden.

    (Lesen Sie auch: Gehalt, Handy, Zukunftsängste: Junge Allgäuerinnen und Allgäuer berichten)

    Zur Person: Niels Pruin, 50, leitet das Fachgebiet Medien- und Internetsucht der Diözese Augsburg. Der Suchttherapeut, Sozialpädagoge und Buchautor ist Vorstandsmitglied im Verein „Aktiv gegen Mediensucht“, der in Kellmünz nördlich von Memmingen ansässig ist.

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