Wenn es nach Hubert Aiwanger (Freie Wähler) geht, könnten im Allgäu alle Züge durch Wasserstoffzüge ersetzt werden. Elektrifizierung? Dauert zu lange, ist zu teuer, zu aufwendig. Sagt der Bayerische Wirtschaftsminister. Strom sei ohnehin derzeit zu knapp, müsse aus Atomkraftwerken importiert und in Bayern teils aus Gas hergestellt werden. „Dann ist das für mich der falsche Weg, überhaupt noch auf Strom zu setzen.“
Während wir mit Aiwanger am Freitag im Bahnhof Buchloe, Ostallgäu, darüber sprechen, steht drei Meter entfernt ein Wasserstoffzug auf den Schienen. Ziemlich leise hat er gerade Politiker und Pressevertreter von Kaufbeuren nach Buchloe gebracht. Premierenfahrt geglückt. Ab sofort wird er 30 Monate im Allgäu unterwegs sein.
Die neue Strecke des Wasserstoffzugs im Allgäu: Jeden Tag wird er je einmal auf diesen beiden Strecken unterwegs sein: Augsburg nach Füssen, das sind etwa 110 Kilometer. Dann wieder zurück nach Augsburg und von dort nach Peißenberg im Kreis Weilheim-Schongau, das sind etwa 70 Kilometer. Dann wieder ins Depot nach Augsburg.
Warum fährt der Wasserstoffzug für 30 Monate? Er soll unter Alltagsbedingungen getestet werden, sagt Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) in Buchloe. „Von den Ergebnissen dieses Tests wird es abhängen, ob wir den Einsatz von Wasserstoffzügen auf weiteren Strecken in Bayern vorgeben.“ Bis 2040 solle der Dieselbetrieb im bayerischen Schienen-Nahverkehr beendet werden.
Keine Elektrifizierung mehr? Während Aiwanger darauf verzichten könnte, ist Wasserstoff für Bernreiter nur ein Baustein alternativer Antriebe. Für ihn spielen auch Züge mit Akkus eine Rolle und die Elektrifizierung von Strecken. Geplant wird derzeit etwa, die Strecke von Ulm über Kempten und eventuell bis nach Oberstdorf per Oberleitung unter Strom zu setzen.
Ein Zug, der fast alles kann: Dass Verkehrsminister Bernreiter auf mehrere Energiearten für Züge setzt, wird deutlich, als er von seinem Plan erzählt: Im kommenden Jahr will Bayern den Auftrag für einen Zug ausschreiben, der mit Wasserstoff fahren kann, gleichzeitig einen Akku hat und auf dem Dach einen Stromabnehmer für elektrifizierte Strecken. Außerdem soll er mit der Neigetechnik ausgestattet sein, die es ermöglicht, dass ein Zug in Kurven schneller fahren kann. Solche Züge kann er sich für das Allgäu und andere Regionen Bayerns vorstellen.
Wann dürfen Fahrgäste in den Wasserstoffzug einsteigen? Ab August 2024. Bis dahin wird der Wasserstoffzug getestet. Sobald er die Zulassung habe, werde er im normalen Zugverkehr zwischen Augsburg, Füssen und Peißenberg eingesetzt, sagt Albrecht Neumann von Siemens Mobility. Das Tochterunternehmen von Siemens hat den Zug gebaut.
Wie ist es im Zug? Sehr leise. Ansonsten unterscheidet er sich für Laien nicht von einem anderen modernen Zug.
Wasser an der Scheibe: Auf der Fahrt von Kaufbeuren nach Buchloe läuft außen etwas Wasser an einer Zugscheibe herunter. Woher kommt das? Aus der Brennstoffzelle auf dem Dach, sagt Neumann. „Mehr Emissionen erzeugt das Fahrzeug nicht.“
Wie funktioniert der Zug? Auf dem Dach sind zwei Brennstoffzellen montiert und Tanks für den Wasserstoff. In den Brennstoffzellen wird aus Wasserstoff und dem Sauerstoff aus der Umgebungsluft Strom hergestellt. Er wird in eine Batterie geleitet, die unter dem Boden des Zuges sitzt. Aus ihr wird der Strom für den Antrieb geholt.
Woher kommt der Wasserstoff für den Testzug? Laut Siemens Mobility aus Österreich. Per Tankwagen wird er zum Zug gefahren.
Einige Zahlen: Mit einer Tankfüllung kommt der Zug 1000 bis 1200 Kilometer weit. Tankzeit: 15 Minuten. Sitzplätze: 120. Höchste Geschwindigkeit: 160 km/h.
Warum wird der Wasserstoffzug im Allgäu getestet? Die Initiative kam vom Freistaat, der mit Siemens Mobility vereinbart habe, das Allgäu mit seinen Höhenunterschieden als Testregion dafür zu nutzen. Dafür zahlt das Land monatlich eine Miete an Siemens.
Aiwanger und der Wasserstoff: Bayerns Wirtschaftsminister will massiv auf Wasserstoff setzen. Im Allgäuer Schienennetz „wäre ja noch viel zu elektrifizieren. Das würde eine jahrzehntelange Geschichte werden. Das überspringen wir doch am besten und nutzen gleich Wasserstoff. Fall erledigt.“ Und woher will er diesen Energieträger beziehen? Aiwanger: Einen Teil selbst erzeugen, den größeren Teil importieren.
Das sagen die Kritiker
Marcus Kühl, Stadtrat der Grünen in Kaufbeuren und Beauftragter des Fahrgastverbandes Pro Bahn für Kaufbeuren und Ostallgäu, ist dagegen, dass im Allgäu Wasserstoffzüge fahren. Damit würde es für Ober- und Ostallgäu keine umstiegsfreie Verbindungen nach München geben. Denn die Strecke ist ab Buchloe per Oberleitung elektrifiziert. Kühl befürchtet, dass solche Wasserstoffzüge in Buchloe anhalten – und die Fahrgäste umsteigen müssten. Denn: „Es ist vollkommen unwirtschaftlich, den teuer hergestellten Wasserstoff unter einer Oberleitung buchstäblich hinauszublasen.“
Seine Forderung: Die Hauptstrecke durchs Allgäu von Augsburg über Buchloe, Kaufbeuren, Kempten und Immenstadt nach Hergatz müsse elektrifiziert werden, „damit auch der Fernverkehr wieder eine Perspektive haben kann“. Auf den Nebenstrecken nach Füssen, Pfronten, Oberstdorf könnten sich laut Kühl Akku-Hybridzüge lohnen. „Der Wasserstoff ist zu wertvoll, um dort sinnlos verbraucht zu werden, wo es eine bewährte und im Betrieb wesentlich günstigere Alternative gibt: die Oberleitung.“