Oh, du Schreckliche? Wie man bei Corona-Streitthemen an Weihnachten die Ruhe bewahren kann, weiß Paulina Haberstock. Die Paar- und Erziehungstherapeutin aus Oy-Mittelberg verrät im AZ-Interview, wie Weihnachten trotz Corona und Impf-Debatte gelingen kann, wie man mit ungeimpften Verwandten umgehen sollte, der Familienstreit an Heiligabend dank einiger Tricks abgewendet wird - und welche Chance die Pandemie bei all dem auch bietet.
Frau Haberstock, an Weihnachten kommt es nicht selten zu Streitereien unter Familienmitgliedern. Warum eigentlich? Welche Konfliktpotenziale gibt es denn am Fest der Liebe?
Haberstock: Oh, viele. Die Probleme sind sehr individuell, weil man bei solchen Festen, ob es jetzt Weihnachten, Geburtstage oder Hochzeiten sind, etwas Besonderes erwartet. Es kann sein, dass es Themen gibt, die nicht ausgesprochen sind und die sich über das Jahr angesammelt haben und die dann gerade bei besonderen Anlässen explodieren. Das können Paarthemen oder Generationenkonflikte sein; es kann sein, dass es durch Erschöpfung und Müdigkeit zum Krach kommt und man was sagt, dass man später bereut.
Und jetzt auch noch die vierte Coronawelle. Wie soll da überhaupt Feststimmung aufkommen?
Haberstock: Ich denke, dass die Weihnachtszeit eine Chance ist, sich auf das Essenzielle im Leben zu besinnen. Sich bewusst werden, was wirklich zählt, was wertvoll im Leben ist, was einem Sinn gibt. Dazu habe ich vor Kurzem ein schönes Zitat von einem unbekannten Autoren im Internet gelesen, das lautet: "Das Geheimnis der Weihnacht besteht darin, dass wir auf unserer Suche nach dem Großen und Außerordentlichen auf das Unscheinbare und Kleine hingewiesen werden." Ich denke das sagt sehr viel aus, wie man sich selber auf Weihnachten einstimmen kann. Sich näherzukommen, sich gegenseitig wertzuschätzen und sich zu freuen, dass man zusammen sein darf. Und gleichzeitig auch die Mitmenschen nicht zu vergessen, die Trauer oder Sorgen haben.
Trotzdem sind Corona und zum Beispiel die Debatte um geimpft und ungeimpft durchaus Diskussionsthemen. Wie bewahrt man da den Hausfrieden an den Feiertagen?
Haberstock: Ja, was macht man, wenn man sich an Heiligabend am Tisch trifft? Wenn ich vor dem Treffen weiß, dass es Streitthemen gibt, die explodieren könnten, würde ich empfehlen, vorher auszumachen, dass diese Themen nicht angesprochen werden. Wenn man sich bewusst ist, dass das Treffen schwerer wird, würde ich es lieber kürzer, aber dafür angenehmer machen.
Ich würde versuchen, mich in Themen zu bewegen, die mich und meinen Gesprächspartner miteinander verbinden. Dabei hilft, sich vorher einen Spickzettel zu machen. Man kann zum Beispiel über schöne gemeinsame Erlebnisse oder Erinnerungen reden. Oder im richtigen Moment ein Spiel rausholen, einen Film ansehen oder gemeinsam musizieren. Manchmal ist es sinnvoll, wenn jemand die Aufgabe übernimmt und das Thema im richtigen Moment wechselt. Es ist wichtig, sich gedanklich darauf einzustellen, dass man ein friedliches Fest haben möchte und dass jeden Menschen mehr ausmacht als den Impfstatus. Das wird oft vergessen.

Das bedeutet, Sie würden kritische Themen wie Corona und Impfpflicht gar nicht erst ansprechen?
Haberstock: Ja. Man ist an Heiligabend gemeinsam mit der Familie da, um zu feiern und nicht, um irgendwelche Weltthemen zu klären. Diese Probleme wird man an dem Abend nicht lösen können.
Was kann man tun, wenn es jemanden in der Familie gibt, der partout bei dem Thema keine Ruhe gibt und unbedingt darüber reden will?
Haberstock: Wenn es zum Gespräch über unerwünschte Themen kommt: Das Ansprechen und sagen: "Bitte jetzt nicht. Wenn du das Thema besprechen willst, können wir uns später treffen und dann können wir uns über das Thema unterhalten." Man kann es so wenden, dass es viel wichtiger ist, tolerant und in Frieden miteinander zu sein anstatt sich gegenseitig zu bekämpfen. Wichtig ist, auf welche Art man miteinander kommuniziert.
Jetzt ist ein Familienmitglied nicht geimpft und kann deswegen nicht mitfeiern. Er oder sie reagiert deswegen ungehalten. Was kann man da tun? Einknicken und eine Ausnahme machen? Oder hart bleiben?
Haberstock: Ich denke, manche Menschen können sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen. Manche dagegen haben die Entscheidung freiwillig mit allen Konsequenzen getroffen. Wichtig ist, dass diese Menschen wissen, dass sich die Regeln nicht die Familie ausgedacht hat. "Auch wir alle müssen uns an die Spielregeln halten": So würde ich versuchen, das zu erklären. Man muss sich nicht gegenseitig beschimpfen, aber man kann sagen: "Wir würden dich so gern dabei haben, aber es geht leider nicht. Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr zusammen feiern können.“ Es hängt viel davon ab, wie etwas kommuniziert wird. Vieles erreicht besser den Gesprächspartner, wenn es ernst gemeint ist und ohne Wut aus dem Herzen kommt.
Ich würde Vorwürfe und Ironie weglassen und stattdessen sachlich bleiben, wenn es zum Gespräch kommt. Es gibt ja immer auch Alternativen, wenn man sich nicht treffen kann. Manche Familien machen es so, dass sie einen Laptop mit "Zoom" am Tisch haben.
Einmal durchatmen bitte: Wie man bei Streitthemen wie Corona die Nerven behält
Welche Tipps haben Sie, wenn man bei schwierigen Debatten die Kontrolle vor seiner Verwandtschaft verliert?
Haberstock: Es gibt Möglichkeiten: zum Beispiel eine Atemübung, bei der man tief einatmet und ganz langsam bis vier oder sechs zählt beim Ausatmen. Das muss niemand bemerken, kann einen aber zur Ruhe bringen. Man kann sich außerdem einen Ort vorstellen, an dem man sich wohlfühlt und sich damit aus der Situation rausholen.
Rückwärts zählen im Kopf hilft auch. Versuchen Sie mal von 100 oder 50 zurück zu zählen, glauben Sie mir, Sie können da sicher an nichts anderes denken. Manchmal hilft es auch, den Raum zu verlassen und zu versuchen, nichts rein zu interpretieren und das Gesagte nicht auf sich zu beziehen.
Aber manchmal ist es wichtig, Grenzen zu zeigen. Man muss nicht immer Kontrolle bewahren. Manchmal ist es dran, klar aber höflich zu sagen: "Ich möchte nicht über diese Themen reden, das verletzt mich“. Ich-Botschaften helfen da besser als nur diese „Du hast…“-Nachrichten.
Zum Abschluss: Welche Chancen bietet ein Weihnachten in Pandemiezeiten vielleicht auch?
Haberstock: Um sich das bewusst zu machen, hilft es, das Gute sehen, was sich in den letzten beiden Jahren verändert hat und was wir mitnehmen können. Ich zum Beispiel habe in meiner Praxis mit Freude gesehen, wie Menschen sich entschieden haben, neue Wege zu gehen. Viele Familien haben zusammen gebrochen und dann neu zusammen gefunden. Ich habe gesehen, wie viele Beziehungen durch die Krise schöner und ehrlicher geworden sind. Ich habe Eltern und Kinder gesehen, die gemeinsam lernen, achtsam zu sein. Manche Menschen sind authentischer geworden und stehen mehr zu ihren eigenen Werten.
Das Leben und Beziehungen zu unseren Mitmenschen haben mehr Wert bekommen als das, was man kaufen kann. Wir werden mehr berührt von Weihnachtsliedern, von der Natur, von den Geschichten unserer Mitmenschen. Wir schauen trotz Masken mehr und tiefer in die Augen anderer. Wir schätzen das Einfache, die täglichen kleinen Freuden. Wenn wir mit unseren Herzen wahrnehmen, was um uns rum passiert, kann das auch Weihnachten sein.
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