Europäischer Notruftag am 11. Februar

Bei der Feuerwehr gibt es "nichts, was eine Frau nicht auch könnte"

Anja Keller (24) ist eine von vier Frauen bei der Feuerwehr Simmerberg. Im Ernstfall ist sie innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit im Feuerwehrhaus.

Anja Keller (24) ist eine von vier Frauen bei der Feuerwehr Simmerberg. Im Ernstfall ist sie innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit im Feuerwehrhaus.

Bild: Daniel Boscariol

Anja Keller (24) ist eine von vier Frauen bei der Feuerwehr Simmerberg. Im Ernstfall ist sie innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit im Feuerwehrhaus.

Bild: Daniel Boscariol

Anja Keller aus Simmerberg ist seit 14 Jahren bei der Feuerwehr. Welcher Einsatz sie geschockt hat und in welchem Videofilm sie zu sehen ist.
11.02.2022 | Stand: 08:06 Uhr

Frauen bei der Feuerwehr? Das ist selbst im Jahr 2022 eine Seltenheit. Anja Keller aus Simmerberg ist eine der wenigen Feuerwehrfrauen im Landkreis Lindau. Die 24-Jährige aus Simmerberg ist bei der Feuerwehr, seit sie 14 Jahren. Ein Leben ohne kann sie sich gar nicht mehr vorstellen. Im Interview zum Europäischen Tag des Notrufs (11. Februar) gibt sie Einblick in den Alltag einer Feuerwehrfrau und verrät, wieso sie in einem Werbevideo mitspielt.

Frau Keller, der 11. Februar ist der Europäische Notruftag. Haben Sie schon mal die Notrufnummer 112 gewählt?

Anja Keller: Nein, ich selbst noch nicht. Aber ich habe schon eine Situation erlebt, in der andere das getan haben. Von meinem früheren Arbeitsplatz aus habe ich ein brennendes Motorrad gesehen. Ich bin dann mit dem Feuerlöscher raus und habe mit dem Löschen begonnen. In der Zwischenzeit hatten welche schon die 112 gewählt.

Als Feuerwehrfrau stehen Sie immer am anderen Ende der Alarmkette. Haben Sie Ihren Piepser im Alltag eigentlich immer dabei?

Keller: Nein. Wir haben bei uns in der Feuerwehr als Ergänzung zum normalen Melder auch eine Handyalarmierung per SMS – die finde ich oftmals praktischer. Wenn ich weiß, dass ich weiter wegfahre und ohnehin nicht rechtzeitig am Einsatzort sein könnte, lasse ich den Piepser auch zuhause. Und innerhalb von Simmerberg höre ich sowieso den Sirenenalarm.

Wo bewahren Sie den Piepser nachts auf?

Keller: Der steht nachts immer in der Ladestation im Schlafzimmer.

Können Sie da überhaupt ruhig schlafen? Schließlich kann jederzeit eine Alarmierung eingehen.

Keller: Ja, eigentlich schon. Natürlich steigt bei einer Alarmierung der Adrenalinpegel. Aber ich weiß ja, dass ich im Einsatz meine Kameraden habe. Ich habe auch immer eine Hose und ein T-Shirt griffbereit, damit ich mich im Ernstfall schnell anziehen und aus dem Haus kann.

Wenn dieser Ernstfall eintritt: Wie schnell sind Sie am Feuerwehrhaus in Simmerberg?

Keller: Mit dem Auto brauche ich keine zwei Minuten.

Sie sind mit 14 in Simmerberg zur Jugendfeuerwehr gegangen. Warum?

Keller: Mein Papa war auch bei der Feuerwehr. Mich hat die Feuerwehr deshalb immer schon interessiert, ich fand das einfach spannend. Als wir dann vor zehn Jahren nach Simmerberg gezogen sind, habe ich die Gelegenheit genutzt, um Anschluss und neue Freunde zu finden. Wieso also nicht bei der Feuerwehr?

Feuerwehr Simmerberg: Anja Keller lobt die große Kameradschaft

Was gefällt Ihnen an der Feuerwehr?

Keller: Ich mag den Umgang mit der Technik, packe gerne an und mag es, Menschen zu helfen. Der Zusammenhalt in der Feuerwehr ist einfach klasse. Es sind viele Freundschaften entstanden und wir machen auch privat viel zusammen.

Aber so ein Ehrenamt kostet doch auch verdammt viel Zeit...

Keller: Ja, aber das ist Zeit, die man gerne investiert. Der Montagabend ist für mich für die Feuerwehrprobe geblockt – und ich hatte noch nie das Gefühl, keine Lust darauf zu haben. Ich freue mich auf jede Probe und darauf, etwas Neues zu lernen. Wir beschäftigen uns zwar mit ernsten Themen, aber haben natürlich dennoch Spaß dabei.

Wofür sind Sie im Einsatz zuständig?

Keller: Ich habe im Einsatz keine feste Aufgabe. Das ergibt sich meist – von der Verkehrsregelung bis zur Atemschutzüberwachung.

Was versteht man unter Atemschutzüberwachung?

Keller: Wenn die Atemschutzträger in ein brennendes Gebäude gehen, geben sie über Funk ihre Laufwege durch sowie nach Abfrage, wie viel Druck ihre Sauerstoffflaschen noch haben. Die Überwachung zeichnet diese Angaben händisch auf einer Tafel auf. Das ist sozusagen die Versicherung des Trupps, dass man sie findet, sollte was passieren. Erinnert sie aber auch daran, wann sie den Rückzug antreten sollten, falls die Flaschen zu leer werden.

Welcher Einsatz hat sich so bei Ihnen eingebrannt, dass Sie ihn wohl nie mehr vergessen werden?

Keller: Der war in meiner Anfangszeit: ein tödlicher Motorradunfall auf der Alpenstraße. Damals habe ich mir geschworen, dass ich niemals den Motorradführerschein machen werde.

Die Feuerwehr Simmerberg hat 46 Aktive – davon vier Frauen. Das ist aber im Vergleich eine hohe Quote. Andere Feuerwehren haben weniger oder gar keine weiblichen Mitglieder. Wieso ist die Feuerwehr immer noch eine Männerdomäne?

Keller: Ich weiß es nicht – und ich verstehe es auch nicht. Ich glaube, viele Frauen trauen sich die Feuerwehr selbst einfach nicht zu. Dabei gibt es dort nichts, was eine Frau nicht auch könnte. Im Gegenteil: Wenn bei einem Brand oder Unfall eine Person betreut werden muss, tun sich Frauen meiner Meinung nach sogar leichter, weil sie besser auf andere zugehen können.

Merken Sie bei Übungen oder Einsätzen einen Unterschied zwischen Mann und Frau?

Keller: Nein. Die Ausbildung ist ja die gleiche, jeder hat den gleichen Wissensstand. Natürlich wollen mir die Männer ab und zu helfen, wenn ich mal was Schweres schleppen muss. Aber ich will ihnen dann genauso zeigen, dass ich es schon auch allein hinbekomme.

Ganz allgemein formuliert: Braucht die Feuerwehr mehr Frauen?

Keller: Unbedingt. Jeder Feuerwehr würde es gut tun, wenn sie mindestens eine Frau in ihren Reihen hätte. Frauen bringen frischen Wind und andere Stärken rein.

Anja Keller im Video der Kampagne "Helfen ist Trumpf" zu sehen

Sie sind im Zuge der Kampagne „Helfen ist Trumpf“ in einem Werbevideo des Landesfeuerwehrverbandes Bayern zu sehen. Wie kam es dazu?

Keller: Ich finde es wichtig, Werbung für unser Ehrenamt zu machen. Ich habe als Jugendliche schon mal bei einer bayernweiten Fotokampagne der Feuerwehr mitgemacht. Deshalb hatte unser Kommandant Christian Rädler gemeint, dass diese Kampagne wieder was für mich wäre. Ich habe mich dann auch beworben – allerdings nur für ein Fotoshooting. Da bin ich abgelehnt worden. Zwei Monate später habe ich eine E-Mail bekommen, dass sie mich für einen Videodreh wollen und eigentlich auch schon fest eingeplant haben. Ich konnte also gar nicht mehr absagen (lacht).

Was ist für ein gutes Feuerwehrmitglied wichtiger: ein ausgeprägtes Helfer-Gen oder ein ausgeprägter Gemeinschaftssinn?

Keller: Wenn ich mich entscheiden muss: der Gemeinschaftssinn. Wenn man im Trupp unterwegs ist, muss man auch sich gegenseitig achten und sich auf den anderen verlassen können. Aber eigentlich ist beides wichtig. Ohne Helfer-Gen geht man nicht zur Feuerwehr.

Können Sie sich ein Leben ohne Feuerwehr vorstellen?

Keller: Nicht mehr. Ich habe zwischendrin mal ein paar Jahre in Wangen gewohnt – und auch dort war für mich klar, dass ich zur Feuerwehr gehe. Das ist mein Hobby, das gehört zu mir. Ich habe in meiner Jugend schon viel ausprobiert und wieder aufgehört: Tennis, Reiten, Tanzen. Aber die Feuerwehr ist mir geblieben. Wenn man die richtige Einstellung mitbringt, ist das auch was fürs Leben.

Europäischer Tag des Notrufs: Das steckt hinter der Nummer 112

  • Das Europäische Parlament, der Rat der EU und die EU-Kommission haben im Jahr 2009 den 11. Februar zum Europäischen Tag des Notrufs erklärt, weil in diesem Datum (11.2.) die Notrufnummer 112 enthalten ist.
  • Der europaweite Notruf 112 wurde im Jahr 1991 zusätzlich zu den nationalen Notrufnummern eingeführt.
  • Die 112 wird auch in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern genutzt. Wer sie in den USA und in Kanada wählt, wird automatisch auf die dort gültige 911 umgeleitet.
  • Wer in Deutschland die 112 wählt, landet bei einer Leitstelle, welche dann je nach Notlage die Polizei, die Feuerwehr oder den Rettungsdienst verständigt.
  • Die Leitstelle Allgäu ist in Kempten. Im Landkreis Lindau gibt es 27 Feuerwehren.

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