Einsamkeit kann jeden treffen. Den Studenten, der nach einem Umzug keinen Anschluss findet, genauso wie die erfolgreiche Managerin, die in der Rente plötzlich feststellt, dass sie abseits vom Beruf keine Bindungen aufgebaut hat. Manchmal wird Einsamkeit teils auch bewusst gesucht und als positiv wahrgenommen. Beispielsweise von einem Eremit oder einem Bergsteiger, der als erster einsam auf dem Gipfel sein möchte. Laut Expertinnen und Experten gibt es jedoch immer mehr Menschen, für die chronische Einsamkeit ein ernst zunehmendes Problem darstellt. Dazu haben auch die Einschränkungen während der Corona-Pandemie beigetragen, die persönliche Begegnungen auf ein Minimum reduzierten.
Altenseelsorger: "Einsamkeit ist ein Tabu-Thema"
„Soziale Kontakte leben von Routine. Wenn diese abhandenkommt, fällt es vielen Menschen schwer, sie wieder zu aktivieren“, sagt Frank Sindl, psychologischer Psychotherapeut am Bezirkskrankenhaus Kempten. „Aus empirischen Befunden wissen wir, dass anhaltende Einsamkeit einen bedeutsamen Risikofaktor für eine Vielzahl von psychischen oder somatischen Erkrankungen darstellt, indem sie die Anfälligkeit erhöht“, sagt Sindl. Ähnlich sieht es Altenseelsorger und Buchautor Gerhard Sprakties („Happy Aging statt Anti-Aging“). „Einsamkeit ist ein Tabu-Thema. Der Einsame posaunt ja nicht heraus, dass er einsam ist.“ Auch viele junge Leute seien betroffen. „Manche stellen erstaunt fest, dass sie zwar viele Bekannte auf Social-Media haben. Aber niemanden, der wirklich für sie da ist, wenn sie in Not sind.“ Wichtig sei es, die Eigeninitiative zu stärken: „Leben findet draußen statt.“
Minister Holetschek sitzt an der "Ratschkasse"
Zur Vorbeugung startete das bayerische Gesundheitsministerium nun die Aktion „Licht an. Damit Einsamkeit nicht krank macht“. Zum Auftakt stand Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) in einem Supermarkt in Buxheim (Kreis Unterallgäu) an einer sogenannten „Ratschkasse“. Dort können sich Bürgerinnen und Bürger beim Bezahlen mit geschulten Angestellten in aller Ruhe unterhalten. „Es gibt viele Menschen, die sich einsam fühlen und denen jemand zum Reden fehlt. Die Supermarktkasse kann für sie eine gute Gelegenheit sein, ins Gespräch zu kommen“, erläutert Holetschek. Ähnliche Angebote, wie beispielsweise ein „Schwätzbänkle“ in Erkheim (Landkreis Unterallgäu), gibt es in immer mehr Städten und Gemeinden. „Natürlich wird dadurch allein für Betroffene nicht alles gut. Es geht darum, ein positives Zeichen zu setzen und ein Bewusstsein für die Frage zu schaffen, wie wir als Gesellschaft miteinander in Beziehung treten und ansprechbar bleiben wollen“, sagt Sindl. Auch ein Small-Talk unter Nachbarn könne ein erster Schritt sein, um den Teufelskreis Einsamkeit zu durchbrechen. Hat sie bereits zu einer psychischen Erkrankung geführt, sollte hingegen unbedingt professionelle Hilfe hinzugezogen werden.
Gesundheitliche Folgen drohen
„Fachleuten zufolge können gerade einsame Menschen verstärkt an Angstzuständen, Depressionen oder Schlafproblemen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck oder Schlaganfall erkranken“, begründet Holetschek die Initiative. Auch das Risiko, ein Suchtverhalten zu entwickeln und insbesondere Drogen, Tabak oder Alkohol zu konsumieren, steige.
Menschen, die nach der Corona-Pandemie unter Einsamkeit leiden, rät Sindl dazu, sich selbst zu hinterfragen: „Was hat mich vor der Pandemie positiv stimuliert? Welche Kontakte waren mir wichtig? Welche habe ich verloren?“ Oftmals lohne es sich, sie wiederaufzunehmen. Oder sich getreu den eigenen Werten neue Bindungen zu erschließen. „Dem einen kann Sport in einer Gruppe helfen, dem anderen die Teilnahme an einem Bildungsangebot oder ehrenamtliche Aktivität.“
Für Buchautor Sprakties kann auch der Glaube eine Rolle dabei spielen, gestärkt aus der Krise zu kommen. „Es lohnt sich mit offenen Augen durchs Leben zu gehen.“ Als Beispiel nennt er eine alte Dame, die nach dem Tod ihres Partners lange Zeit unter der Einsamkeit litt. Bis sie eines Tages einem Mann begegnete, der ein ähnliches Schicksal durchlebte. „Die beiden haben sich auf dem Friedhof kennengelernt – und wurden miteinander glücklich.“
Hilfe für Menschen in seelischen Krisen und Angehörige gibt der Krisendienst Bayern kostenlos und rund um die Uhr unter der Rufnummer: 0800 / 655 3000.