In das Vogelzwitschern im Fichtenwald mischen sich aufgeregte Kinderstimmen. 20 Buben und Mädchen springen von ihren Holzhockern auf. Mit einer Gymnastikübung beenden sie ihren Morgenkreis: „Beugen, strecken, rundumdrehen. Vier Mal klatschen, stampfen, stehen.“ Spätestens jetzt sind alle wach und fit für einen neuen Tag im Waldkindergarten Purzelbaum in Fechsen, einem Ortsteil von Marktoberdorf.
Mit Rucksäcken auf den Schultern und Hüten auf dem Kopf marschieren die Kinder ins Innere des Waldes. Sie haben viel vor: „Sandeln“, „auf die große Baumwurzel klettern“, „Fichtenzapfen sammeln“, „hinter der Hütte verstecken“ fallen als Stichwörter für das Vormittagsprogramm. Unter den Kindergärten im Allgäu nimmt der vor 18 Jahren eröffnete „Purzelbaum“ einen besonderen Platz ein: Er ist der älteste Waldkindergarten einer Stadt oder Gemeinde in der Region. Mittlerweile gibt es eine ähnliche städtische Einrichtung in Neugablonz. Zudem betreiben im Allgäu etwa zehn Freie Träger Waldkindergärten. Zum Beispiel in Buchenberg, Kempten, Ottobeuren, Röthenbach, Oberstdorf oder Bad Grönenbach.
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„Die Nachfrage ist in den vergangenen Jahren definitiv gestiegen. Viele Eltern sehen Waldkindergärten als nachhaltige und naturverbundene Alternative zum ,normalen’ Kindergarten“, sagt Wolfgang Wieder von der Marktoberdorfer Stadtverwaltung.
Waldkindergarten: So läuft ein Vormittag ab - Was Kinder dort in der Natur lernen
Doch wie funktioniert ein Waldkindergarten? „Wir sind so gut wie immer draußen. Auch bei Regen und Schnee“, erzählt „Purzelbaum“-Leiterin Csilla Hampel. „Die Kinder lernen in und mit der Natur zu spielen. Sie haben Platz, können sich frei entwickeln – und sind alle begeistert.“ Die beiden Notunterkünfte – ein alter Bauwagen und ein neues Holzhaus – betreten die Kinder so gut wie nie. Lieber toben sie im Freien. Wenn es regnet, wird schon mal eine Plane zwischen Bäumen gespannt oder die Kinder versammeln sich in einem früheren Bushaltehäuschen aus Holz. Insgesamt 40 Buben und Mädchen im Alter von drei bis sieben Jahren besuchen den „Purzelbaum“, wo sie von sieben Erzieherinnen betreut werden. Zahlreiche weitere Kinder stehen auf einer Warteliste.
Entstanden ist der Waldkindergarten Marktoberdorf aus der Not heraus. Weil im Ortsteil Leuterschach 2003 nicht jedes Kind einen Platz bekommen konnte, reifte die Idee, einen Kindergarten im städtischen Wald zu schaffen. „Das Konzept stammt aus Skandinavien, wo es solche Einrichtungen schon seit den 1970er Jahren gibt. Wir dachten: Das probieren wir jetzt auch aus. Der Stadtrat gab schließlich grünes Licht“, erinnert sich Wieder. Für ihn geht der Ansatz voll auf: „Die Kinder entwickeln sich super. Mal ehrlich: Rechnenlernen mit Tannenzapfen macht doch mehr Spaß als mit einem Rechenschieber“, nennt er als Beispiel.
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Doch längst nicht alle Eltern begeistern sich für das Modell. Beispiel Mauerstetten. In der Ostallgäuer Gemeinde stand vor Kurzem ebenfalls die Eröffnung eines Waldkindergartens im Raum. Doch letztlich meldeten sich bei einer Umfrage der Gemeinde zu wenig Interessenten, sagt Bürgermeister Armin Holderried (Parteilos). „Die Kinder sind fast das ganze Jahr draußen. Da müssen die Eltern schon voll dahinter stehen. Das muss man mögen, auch als Erzieher oder Erzieherin.“ Diesen Rückhalt habe es nicht gegeben. Letztlich, glaubt Holderried, seien Waldkindergärten „eher etwas für ein spezielles Klientel“.
„Aktiv und naturverbunden“
Auch Wieder weiß, dass Waldkindergärten nicht jedermanns Sache sind. Doch er warnt vor Pauschal-Urteilen: „Oft wird das so in die esoterische Ecke gestellt. Damit hat das bei uns null zu tun. Die Eltern der Kinder sind einfach aktiv und naturverbunden.“ Dass die Aufenthalte im Freien den Kindern gut tun, davon ist Kerstin Beckmann überzeugt. Sie hat vor zwei Jahren mit ihrer Mutter Albina einen Waldkindergarten mit mittlerweile 30 Plätzen in Kempten eröffnet. „Die Kinder sind nicht nur sehr ausgeglichen, sondern auch fast nie krank.“
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