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Wirtschaft im Allgäu erlebt Dämpfer: Was die Branchen ausbremst

"Manche Unternehmen erleben Vollbremsung"

Allgäuer Wirtschaft erlebt Dämpfer - Unternehmen erklären die Gründe

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    Die Allgäuer Wirtschaft ist von der rückläufigen Auftragslage teils betroffen.
    Die Allgäuer Wirtschaft ist von der rückläufigen Auftragslage teils betroffen. Foto: Alexander Kaya

    Die erfolgsverwöhnte Allgäuer Wirtschaft gerät ins Stocken. Diese Einschätzung ist derzeit häufiger von Expertinnen und Experten zu hören. Klartext sprach beispielsweise Maria Amtmann, Leiterin der Arbeitsagentur Kempten-Memmingen bei der Vorstellung der Juni-Zahlen. In diesem Monat waren 900 Menschen mehr arbeitslos als im Vorjahr. „Da merkt man deutlich die andauernde konjunkturelle Schwäche. Das sind Nadelstiche, die sich summieren“, brachte sie die Stimmung auf den Punkt. Wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass der Landmaschinenhersteller AGCO/Fendt aufgrund sinkender Nachfrage für drei Standorte Kurzarbeit angemeldet hat. Die Nachfrage sei weltweit zurückgegangen. Doch wie sieht es bei anderen Arbeitgebern und Branchen aus?

    • Industrie: Die Ostallgäuer Maschinenfabrik Otto Bihler mit Sitz in Halblech und über 1100 Mitarbeitern hat laut Geschäftsführer Mathias Bihler wegen lang andauernden und großen Projekten „momentan noch eine gute Auftragslage“. „Jedoch sehen wir eine Zurückhaltung unserer Kunden aller Größenordnungen – die Auftragseingänge sind rückläufig. Somit wäre es möglich, dass auch bei Bihler in einzelnen Bereichen ab Januar 2025 Kurzarbeit nötig wird“, teilt Bihler mit. „Der Bedarf für unsere Technologie ist vorhanden, jedoch zeigen sich alle Kunden aufgrund der politisch imitierten Regularien verunsichert und halten Investitionen zurück.“ Sorge bereitet ihm, dass sich etablierte deutsche Unternehmen vom Standort Deutschland abwenden. „Grundsätzlich sind wir aber immer positiv und nutzen die Chancen der momentanen Zeit bestmöglich.“ Weiterhin suche das Unternehmen Fachkräfte in unterschiedlichen Bereichen und bildet 80 Azubis aus. „Weil uns das Thema so wichtig ist, gilt auch für dieses Jahr wieder eine Übernahmegarantie für die Auszubildenden. Hier lassen wir uns nicht verunsichern, sondern bieten Stabilität und Sicherheit.“

    Der Fachkräftemangel wird seit Langem in vielen Branchen beklagt. Das Unternehmen Grob mit Sitz in Mindelheim versucht, dem entgegenzuwirken: Das Personal des neuen Werks in Indien wird auch in Deutschland und den USA eingesetzt. Vor allem in den Bereichen IT und Engineering. Zwar habe das Unternehmen nicht mit einem Auftragsrückgang zu kämpfen. Doch unterbrochene Lieferketten und die Rohstoffknappheit seien herausfordernd, teilt Emely Merkle, Unternehmenssprecherin, mit. Bei dem Familienunternehmen mit 8800 Mitarbeitern weltweit, würden sich die gestiegenen Preise für Stahl und Aluminium bemerkbar machen. Auch die weltpolitische Lage habe Grob im Blick. Das Erstarken der rechten Parteien in Europa könnte etwa dazu führen, dass es einen Rückgang der internationalen Zusammenarbeit und so zu Handelsbarrieren komme.

    „Wir verzeichnen aktuell einen steigenden Auftragseingang, doch die Investitionszurückhaltung vieler Unternehmen ist noch spürbar“, sagt Dr. Tobias Richter, Geschäftsführender Direktor der Multivac-Group in Wolfertschwenden (Kreis Unterallgäu). Nach wie vor belasten hohe Energiepreise die Industrie. „Herausforderungen für unsere Branche sind zudem der Fachkräftemangel sowie steigende Anforderungen durch Bürokratie und Regulatorien, etwa die Datenschutz-Grundverordnung (DSVGO), das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die EU-Mindestbesteuerung.“ Was die insgesamt unsichere Weltlage angeht, seien derzeit konkrete Auswirkungen nur schwer vorherzusagen. „Die Entwicklung kann jedoch zu Verunsicherung führen, etwa in Bezug auf die Beziehung der USA zu China. Eine Destabilisierung der Eurozone könnte das Vertrauen in den EU-Binnenmarkt schwächen.“ Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, investiere Multivac in Aus- und Weiterbildung.

    Bei Bosch in Blaichach (Kreis Oberallgäu) sehe man die Herausforderungen „vor allem in der andauernden Transformation zur nachhaltigen Mobilität, einhergehend mit einem mangelnden konjunkturellen Rückenwind“. Bosch rechnet für 2024 nur mit einem globalen Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent und gehe von einer stagnierenden Fahrzeugproduktion und einem weiterhin schwachen Maschinenbaumarkt aus. „Die enormen Herausforderungen unserer Zeit können wir nur bewältigen, wenn wir als Gesellschaft zusammenstehen und wesentliche Werte wie Vielfalt, Respekt, Chancengerechtigkeit und die Teilhabe aller aufrechterhalten.“ Auch Bosch habe trotz der Herausforderungen und „notwendiger Anpassungsmaßnahmen durch den Strukturwandel“ Bedarf an berufserfahrenen, hoch qualifizierten Fach- und Führungskräften.

    • Handwerk: „Wir erleben vor allem in der Baubranche eine gewaltige Vollbremsung. Das bereitet uns große Sorge“, sagt Hans-Peter Rauch, Präsident der schwäbischen Handwerkskammer. Betroffen seien neben Hoch- und Tiefbau-Firmen auch einzelne Gewerke rund um das Thema Haus, also Fliesenleger, Elektriker oder Sanitäranbieter. „Manche haben zum Glück noch alte Aufträge abzuarbeiten. Aber es kommen teils schlichtweg keine neuen dazu“, sagt Rauch. Privatleute, aber auch Kommunen oder Firmen seien speziell im Hoch- und Tiefbau sehr zurückhaltend. „Die warten ab, wie sich die Märkte entwickeln.“ Die globalen Entwicklungen, etwa die Wahl in den USA, spielten eine untergeordnete Rolle: „Wir brauchen endlich eine verlässliche Wirtschaftspolitik in Deutschland, dann brauchen wir nicht auf andere Länder zu schauen.“
    • Tourismus: Es fehlt derzeit an der allgemeinen Aufbruchs-Stimmung, sagt Julia Zwicker. Sie ist Geschäftsführerin des Panoramahotels Oberjoch und Vorsitzende der IHK Regionalversammlung Kempten und Oberallgäu. Schon seit der Pandemie bemerke die Branche einen Dämpfer. Der stärkste Konkurrent sei aktuell das Ausland: Die Preise hätten im Allgäuer Tourismus in den vergangenen Jahren zugelegt. Der Urlaub in der Region sei teurer geworden. Und das ziehe Gäste teils in günstigere Gebiete im Ausland. Insgesamt merke man bei den Urlaubern einen verhalteneren Konsum. „Das Unbeschwerte fehlt“, sagt Zwicker.
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