Konzerte und Theater

Wo bleibt das Publikum? Allgäuer Veranstaltungsbranche beunruhigt wegen zu wenig Besuchern

Leere Stühle bei Veranstaltungen? Ist derzeit ganz normal – wie beim Konzert von Sasha neulich in der Big Box.

Leere Stühle bei Veranstaltungen? Ist derzeit ganz normal – wie beim Konzert von Sasha neulich in der Big Box.

Bild: Benedikt Siegert

Leere Stühle bei Veranstaltungen? Ist derzeit ganz normal – wie beim Konzert von Sasha neulich in der Big Box.

Bild: Benedikt Siegert

Viele Veranstaltungen sind schlechter besucht als vor der Coronazeit. Wie sich Organisatoren den Besucherschwund erklären, und was sie dagegen unternehmen.
05.11.2022 | Stand: 18:38 Uhr

200 statt sonst bis zu 700 Gäste kamen zur Oper „Der Liebestrank“ in Marktoberdorf. Im Orchestergraben herrschte dichteres Gedränge als im Publikum. In der Kemptener Big Box ist die Lage ähnlich. Wie vielerorts bleiben die Reihen auch dort deutlich leerer als sonst. Um etwa 40 Prozent sind die Ticketverkäufe zwischen April und Juni im Vergleich zum selben Zeitraum vor Corona eingebrochen, sagt Sprecherin Lisa Kirner. Ähnlich geht es derzeit zahlreichen Veranstaltern im Allgäu – egal ob sie größere oder kleinere Säle bespielen, ob sie Musik, Theater, Comedy oder Kleinkunst anbieten. Woran das liegt? An der Angst vor Corona? An hohen Preisen für Tickets? Der Furcht vor einer noch höheren Inflation? Oder sind vielleicht auch die angebotenen Veranstaltungen die Ursache?

Ist Corona die Ursache für ausbleibendes Publikum im Allgäu?

„Kunden erzählen uns immer wieder von ihren Befürchtungen und kaufen Tickets mit einem gewissen Zögern“, sagt Kirner. Grund dafür seien unter anderem die Erfahrungen während der Pandemie, als es kurzfristige Regeländerungen gab, Konzerte ausfielen oder Karteninhaber selbst krank wurden. Kirner: „Die Kunden geben die Tickets von verlegten Veranstaltungen deshalb zurück oder kaufen sie erst gar nicht.“

Zu der Show von Popsänger Sasha Mitte Oktober etwa kamen gerade einmal 800 Menschen, Platz wäre für bis zu 3000 gewesen. Aber es gibt auch noch Veranstaltungen, die Monate vorher ausverkauft sind. Zum Beispiel, wenn Kabarettistin Monika Gruber Ende November nach Kempten kommt. Auch bei der Rockband „Böhse Onkelz“ war die Halle im September mit 7500 Feierenden bestens gefüllt.

Wer auftritt, spiele eine entscheidende Rolle, darin sind sich viele Veranstalterinnen und Veranstalter einig. Oda Lindner vom Podium in Kaufbeuren berichtet: „Gerade bei jungen oder unbekannteren Künstlern ist es weniger voll.“ Das sei eine neue Entwicklung für die Kleinkunstbühne. Denn kurz nach Ende des harten Lockdown seien alle Plätze besetzt gewesen – ebenso bei Öffnungen zwischen den Corona-Hochphasen. Weder Impfpasskontrollen noch Maske-Tragen haben das Publikum abgehalten. Auch jetzt sieht Lindner eine Erklärung für den Besucherschwund nicht in der Corona-Pandemie. „Die Leute wählen gezielter aus, wofür sie Geld ausgeben, weil im Moment alles teurer wird.“ Die Inflation ist laut Big-Box-Sprecherin Kirner mit ein Grund für die zurückgehenden Verkaufszahlen – gerade bei Menschen zwischen 30 und 50 Jahren.

Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen verkauft 25 Prozent weniger Tickets

Viele Künstlerinnen und Künstler sind trotz weniger Publikum zufrieden, sagt Kathrin Felle, Leiterin des Amtes für Kultur und Tourismus in Lindenberg und verantwortlich für die Kulturfabrik. „Nach dem Motto: Wir leben ja noch.“ Für sie fühlt es sich an wie ausverkauft, wenn 160 der 200 Plätze besetzt sind. Auch 70 Gäste seien ein Grund zur Freude. Felle: „Denn die, die kommen, sind ein tolles Publikum.“

Eine Einordnung, die auch Theaterleiter Benjamin Sahler vom Festspielhaus Neuschwanstein aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen kennt. „In der Szene kursieren bereits Sprüche wie: 50 Prozent ist das neue Ausverkauft.“ Im Füssener Festspielhaus gingen die Ticketverkäufe um etwa 25 Prozent zurück. Sahler vermutet, dass viele Leute aus Angst vor der nächsten Gas- oder Stromrechnung ihr Geld lieber zusammenhalten. Zahlreiche Häuser reagieren auf diese Entwicklungen mit Rabattaktionen. Freikarten und Verlosungen sollen zum Beispiel mehr Menschen in die Kulturfabrik in Lindenberg locken. „Außerdem geben wir der populäreren Schiene mehr Raum“, sagt Kathrin Felle. Gute Verkaufszahlen bei bekannteren Künstlerinnen und Künstlern gleichen weniger verkaufte Tickets bei „Nischenveranstaltungen“ aus.

"Keine Couchpotatoes": Veranstalter glauben an Begeisterung für Kultur im Allgäu

Auch im Kaufbeurer Podium ist man auf Spurensuche, sagt Oda Lindner: „Natürlich fragen wir uns, was wir noch tun können, wenn der Vorverkauf nicht so läuft, wie erhofft.“

Lisa Kirner von der Big Box sagt: „Leider liegt das Überleben unserer Branche nicht nur in den Händen von Veranstaltenden und Kunstschaffenden.“ Die politische Lage und konkrete Vorgaben seien Herausforderungen. Um im Gespräch zu bleiben lege das Big-Box-Team den Fokus mehr auf die Begleitung einzelner Veranstaltungen, zum Beispiel über Soziale Medien.

Oft hört man dieser Tage von einer Müdigkeit der Menschen. Ob Zuhausebleiben tatsächlich eine neue Gewohnheit aus Lockdown-Zeiten ist? Auch die Allgäuer Veranstaltungsbranche diskutiert darüber. Die Menge an Terminen überfordere nach mehr als zwei Jahren Corona freilich manchen, sagt etwa Oda Lindner vom Kaufbeurer Podium. Eine Kultur-Müdigkeit stelle sie aber trotz aller Herausforderungen nicht fest. Diesen Eindruck teilt auch Kathrin Felle von der Kulturfabrik in Lindenberg. Sie sagt hoffnungsvoll: „Ich glaube nicht, dass die Menschen alle zu Couchpotatoes geworden sind.“