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Zerstörter Bach im Rappenalptal: Prozess ist eingestellt

Landgericht Kempten

Gericht stellt Strafprozess um Rappenalptal ein - Kritik von Naturschützern

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    Die Bauarbeiten am Wildbach im Rappenalptal bei Oberstdorf haben keine strafrechtlichen Konsequenzen für die Verantwortlichen.
    Die Bauarbeiten am Wildbach im Rappenalptal bei Oberstdorf haben keine strafrechtlichen Konsequenzen für die Verantwortlichen. Foto: Matthias Becker

    Der Prozess um die Zerstörungen im Rappenalptal im Allgäu wird vorläufig eingestellt. Darauf haben sich am Donnerstagmorgen das Kemptener Landgericht, die Staatsanwaltschaft und die Verteidiger der beiden Angeklagten geeinigt. Die beiden Alpmeister, die für die Baggerarbeiten am Rappenalpbach verantwortlich waren, müssen 20.000 Euro beziehungsweise 5000 Euro als Auflagen zahlen. Das Geld soll sich wie folgt aufteilen:

    • 10.000 Euro an den Bund Naturschutz Kempten/Oberallgäu,
    • 5000 Euro an das Kinderhospiz Bad Grönenbach,
    • 5000 Euro an die Stiftung Kulturlandschaft Günztal,
    • und 5000 Euro an die Staatskasse, da das Verfahren so teuer war.

    Wenn die Angeaklgten gezahlt haben, ist der Fall für sie endgültig erledigt.

    Schon vor der Eröffnung des Prozesses am Dienstag hatte Richter Christoph Schwiebacher vorgeschlagen, das Verfahren wegen geringer Schuld gegen Auflagen einzustellen. Die Staatsanwaltschaft aber hatte darauf bestanden, das Verfahren zu eröffnen. Nach einem langen ersten Prozesstag schlug der Vorsitzende Richter dann noch einmal vor, das Verfahren gegen den 59- und 64-Jährigen einzustellen. Bis Donnerstag hatten Verteidiger und Staatsanwalt Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Das Ergebnis: Alle Seiten waren einverstanden.

    Rappenalptal-Strafprozess in Kempten: Staatsanwalt pocht auf 20.000 Euro als Auflage

    Am Dienstag war vom Gericht noch vorgeschlagen worden, die Auflagen könnten 3000 beziehungsweise 10.000 Euro betragen. Damit wollte sich der Staatsanwalt am Donnerstagmorgen nicht zufrieden geben. Der Eingriff am Rappenalpbach sei zu massiv gewesen – ein kaum zu vergleichender Vorgang in einem Naturschutzgebiet. Kurz sah es so aus, als würde er einer Einstellung des Verfahrens nicht zustimmen. Dann aber sprach der Staatsanwalt davon, dass auch die individuelle Schuld der beiden Angeklagten beachtet werden müsse, nicht nur der große Schaden am Biotop.

    Sie hätten nicht aus bösem Willen heraus gehandelt, sondern um die Weiden am Bach vor Hochwasser zu schützen. Er hielt den beiden auch zu Gute, dass der Aktenvermerk des Landratsamtes, in dem ihnen mitgeteilt wurde, welche Arbeiten erlaubt sind, nicht eindeutig gewesen sei. In der Absprache mit einem Mitarbeiter des Landratsamtes sei zuvor von punktuellen Eingriffen die Rede gewesen. In dem Aktenvermerk aber sei das nicht mehr eindeutig gewesen. Das habe der Mitarbeiter am Dienstag vor Gericht selbst zugegeben. Ebenfalls für die beiden Angeklagte spreche, dass die Renaturierungsarbeiten schnell begonnen hätten.

    Verteidiger Robert Chasklowicz versuchte, die Auflage für seinen Mandanten auf 15.000 Euro zu reduzieren. Er zahle so einen Betrag nicht aus der Portokasse. Und er leide psychisch stark unter den Ereignissen. In diesem Punkt ließ der Staatsanwalt aber nicht locker. Richter Schwiebacher fragte also: Wenn es keine Einigung gebe, solle der Prozess dann fortgeführt werden? Nein, entgegnete Verteidiger Chasklowicz, sein Mandant sei mit den 20.000 Euro als Auflage einverstanden.

    Verteidiger: Die eigentlichen Verantwortlichen wurden nicht zur Verantwortung gezogen

    „Ich muss damit nicht zufrieden sein“, sagte Chasklowicz im Anschluss gegenüber unserer Redaktion. „Entscheidend ist für mich, dass ich meinen Mandanten nach wie vor für unschuldig halte, dass er sich nicht strafbar gemacht hat.“ Das Ärgerliche sei, „dass die – aus meiner Sicht jedenfalls - eigentlichen Verantwortlichen“, nicht zur Verantwortung gezogen worden seien. Damit meint der Anwalt zwei Mitarbeiter des Landratsamtes Oberallgäu. Die Zustimmung, das Verfahren einzustellen, sei rein zweckmäßig gewesen. Erstens, um seinen Mandanten zu entlasten, das Verfahren habe ihn „psychisch außerordentlich stark belastet“. Und: „Wir haben aber auch deshalb zugestimmt, weil er (sein Mandant, Anm. d. Red.) für den nicht völlig ausschließbaren Fall einer Verurteilung mit Kosten im weit sechsstelligen Bereich belastet gewesen wäre. Allein das Gutachten, das die Staatsanwaltschaft eingeholt hat, habe mehr als 100.000 Euro gekostet. Diese Kosten zahle nun die Staatskasse.

    Die Staatsanwaltschaft hatte dem 59-Jährigen und dem 64-Jährigen vorsätzliche Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete und vorsätzliche Gewässerverunreinigung vorgeworfen - schwere Umweltstraftaten, für die bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe drohen.

    Zum Auftakt des Prozesses hatten die beiden Angeklagten die Aussage verweigert.

    Die Anklage ging davon aus, dass die Vorsitzenden zweier Alpgenossenschaften nach einem Hochwasser 2022 umfangreiche Bauarbeiten an dem Wildbach veranlasst hatten. Damit hätten sie auch gegen eine Absprache mit einem Mitarbeiter des Landratsamts Oberallgäu verstoßen, der nur punktuelle Eingriffe genehmigt habe.

    Rappenalptal-Prozess: Umweltschützer kritisieren Entscheidung

    Doch ob die Männer tatsächlich bewusst gegen diese Vorgaben verstießen, war spätestens seit dem ersten Prozesstag am Dienstag fraglich. Zentrale Rolle in dem Strafprozess spielte - wie berichtet - ein Aktenvermerk dieses Amts-Mitarbeiters. Darin hatte er lediglich grob zusammengefasst, welche Arbeiten an dem Bach vorgenommen werden dürfen und den Vermerk dann den Genossenschaften geschickt. Mit den beiden Älplern direkt hatte er die Arbeiten zudem nicht abgesprochen, sondern lediglich mit dem Sohn eines der Männer.

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    Im Herbst 2022 wurde der geschützte Wildbach im Rappenalptal in Oberstdorf begradigt. Nun beginnen die Arbeiten zur Renaturierung des Rappenalpbachs.

    Konnten die Älpler den Vermerk also als eine Art Freibrief für die dann deutlich massiveren Eingriffe in das Biotop verstehen? Das Landgericht Kempten war schon früh dieser Meinung. Die Staatsanwaltschaft hatte trotzdem auf einen Prozess mit Beweisaufnahme bestanden.

    Bis sich die Natur im Rappenalptal von den massiven Eingriffen erholt hat, dürfen nach Meinung von Experten noch mehrere Jahre vergehen.

    Beim Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) stieß die Einstellung des Verfahrens auf Unverständnis. Es sei "äußerst bedauerlich, dass für einen der größten Naturfrevel in Bayern seit vielen Jahren kein Schuldiger ermittelt und zur Verantwortung gezogen werden konnte", meinte LBV-Geschäftsführer Helmut Beran. Von diesem Urteil dürfe keinesfalls eine Präzedenzwirkung ausgehen. "Bei einem derartig großen geplanten Eingriff in ein Naturschutzgebiet, hätte kein Aktenvermerk ausreichen dürfen, sondern es hätte vorher ein wasserrechtliches Verfahren durchgeführt werden sollen, so wie es der LBV nach den Vorfällen bereits gefordert hatte. Mit diesem Urteil werden nun nur die Verantwortlichkeiten zwischen Almbauern und Behörden hin und her geschoben." Scheinbar werde "eine der größten Naturzerstörungen in Bayern nur als ein Kavaliersdelikt behandelt“, so Beran.

    Flussuferläufer brüten auf Kiesbänken an Flüssen.
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    Der illegale Eingriff in den Fluss des Wildbachs  im Rappenalptal im Allgäu hat bundesweit Wellen geschlagen. Welche Tiere und Pflanzen von dem Eingriff betroffen sind.

    Der Fall Rappenalptal: Eine Chronologie der Ereignisse

    • 19. August 2022: Nach Starkregen werden Alpflächen neben dem Rappenalpbach meterhoch mit Gestein und Kies überspült.
    • 30. August 2022: Bei einem Vor-Ort-Termin besprechen ein Vertreter des Landratsamts Oberallgäu und der Sohn eines Vorsitzenden der Alpgenossenschaft am Bach, wie die Schäden beseitigt werden können. Am selben Tag verschickt der Mitarbeiter der Kreisbehörde einen Aktenvermerk über das Gespräch.
    • 26. September 2022: An diesem Tag beginnen die Bauarbeiten mit einem, ab 4. Oktober mit zwei Baggern. Dabei wird der Naturbach auf einer Länge von 1,6 Kilometern kanalisiert und damit massiv verändert.
    • 6. Oktober 2022: Die Alpgenossenschaft sendet dem Landratsamt per E-Mail Bilder von den Bauarbeiten. Am selben Tag fordert das Landratsamt die Alpgenossenschaft telefonisch auf, die Arbeiten sofort einzustellen. Das erfolgte nicht.
    • 25. Oktober 2022: Nach einem Ortstermin verhängt das Landratsamt erneut einen Baustopp.
    • 17. Juli 2023: Im Streit um die Kosten der Renaturierung des Bachs schließen Landratsamt und Alpgenossenschaft vor dem Verwaltungsgericht einen Vergleich. Der Freistaat erstellt ein Konzept für die Renaturierung des Wildbachs und bezahlt diese, die Alpgenossenschaft setzt auf eigene Kosten erste Arbeiten um. Die Kosten für die Folgemaßnahmen teilen sich beide Parteien.
    • 16. August 2023: Arbeiter beginnen am Rappenalpbach mit dem Rückbau - der auf 1,6 Kilometern Länge kanalisierte Bach wird von ihnen in den nächsten Wochen zurück in seinen ursprünglichen Zustand versetzt.
    • Dezember 2023: Die Staatsanwaltschaft Kempten erhebt gegen die zwei Vorsitzenden der Alpgenossenschaften am Bach Anklage wegen vorsätzlicher Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete und Gewässerverunreinigung
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