Wer Charlotte und Ludwig Piller nach diesem Auftritt nicht in sein Herz geschlossen hat, der hat keins. Eigentlich wollten sie und ihr Mann gar nicht kommen, sagt die 98-Jährige: Wer sollte sich wohl für ihre Geschichte interessiert? Trotzdem ließen sich die Memminger Eheleute – mit 80 Jahren das am längsten verheiratete Paar Deutschlands – überreden. Zum Glück. Denn gleich zu Beginn wird klar: Das ist nicht das Einzige, was an beiden einmalig ist.
Das zu Ende gehende Jahr war für Charlotte Piller und ihren Mann schlicht „der helle Wahnsinn“ – mit Mengen von Glückwunschpost, vielen Besuchern und Interviews. Denn zu feiern gab es nicht nur ihr Ehejubiläum: Ludwig Piller, ältester Memminger, beging obendrein seinen 105. Geburtstag. Nun also der Auftritt bei „Unsere Köpfe 2019“, dem Jahresrückblick unserer Zeitung im Memminger Kaminwerk.
Ich sehe schlecht, er hört schlecht. Wir sind ein tolles Paar.Charlotte Piller
Beide Eheleute waren zuvor gesundheitlich angeschlagen. Doch dies ist ihnen beileibe nicht anzumerken. Ludwig Piller, Kampfpilot und Ausbilder während des Zweiten Weltkriegs, streut manches Bonmot ein und erzählt, wie er sich schon als kleiner Junge „mit Drachen herumschlug“. Außerdem amüsiert er die Zuhörer mit Episoden aus seiner Kindheit auf dem Bauernhof, in denen ein „Wiener Rammler“ mit zirkusreifer Pinkel-Technik eine Rolle spielt. Charlotte Piller nimmt mit ihrer offenen Art und trockenem Humor das Publikum für sich ein: „Ich sehe schlecht, er hört schlecht. Wir sind ein tolles Paar.“ Einer von vielen Lachern beim Gespräch mit Moderator Helmut Kustermann. Eigentlich ist dieser Satz aber alles andere als ironisch – erlebt man die Eheleute auf der Bühne: Liebevoll, aber auch augenzwinkernd ergänzen sie gegenseitig ihre Geschichten.

Genau erinnert sich Charlotte Piller an einen Moment vor langer Zeit in einer Linden-Allee. „Er hat mich gefragt: Darf ich dich küssen?“, erzählt sie. „Ich war ein Gentleman“, wirft ihr Mann ein. Darauf dreht sie sich zu ihm: „Das bist du heute noch.“ Probleme mit dem Gehör und den Augen können dieser Zuneigung nichts anhaben – so wenig wie das dramatische Jahre vermochten. Denn kennengelernt haben sich Charlotte und Ludwig Piller kurz vor dem Zweiten Weltkrieg.
Ein Sonntagsspaziergang hatte die damals 16-Jährige und ihre Familie in ein Gartencafé geführt und „dann kamen zwei flotte Flieger“. Einer fragte nach dem freien Platz am Tisch und forderte die junge Frau zum Tanzen auf. „Ja“: Das sagte sie kurze Zeit später, im September 1939, auch am Altar. „Ich wusste, für mich als Flieger wird’s gefährlich“, erinnert sich Ludwig Piller. Mit der Heirat wollte er für den schlimmsten Fall vorsorgen, „damit sie wenigstens eine kleine Rente bekommt. Ein Andenken“.
Sein Versprechen im Krieg: "Mädchen, ich komm' wieder"
Dieses Schicksal blieb beiden erspart – wenngleich Piller mehr als einmal in einer Maschine mit Einschusslöchern zurückkehrte, abgeschossen wurde und in Gefangenschaft geriet: „Um einen Bruchteil bin ich für den Gegner immer zu schnell gewesen. Darum bin ich heute noch hier.“ Zum Abschied versprach er seiner Frau stets: „Mädchen, ich komm' wieder.“ Das hat er gehalten.
Um lange Trennungen zu überstehen, hatte das Paar ein Ritual: Jeden Abend spielte ein Soldaten-Radiosender das Lied „Lili Marleen“. Gegen zehn Uhr sei das gewesen, sagt Charlotte Piller: „Wir haben ausgemacht, dass wir uns dann am Himmel einen Stern oder den Mond suchen und ganz fest aneinander denken. Dadurch haben wir uns verbunden gefühlt.“
Der Looping: ein Krisenmoment
Seither hat das Paar manches gemeistert. Eigenheiten des anderen stecken beide gelassen weg. Charlotte Piller erzählt zum Beispiel, dass ihr Ludwig „in der Zeitung immer nur die Todesanzeigen vorliest und wer sich verbrennen lässt“. Ihr lakonischer Kommentar: „Ich wollte das früher nicht, aber langsam hat er mich soweit.“ In Gefahr geriet der Ehesegen allerdings, als Piller seine Frau auf einen Flug mitnahm – samt Looping: „Wenn du jetzt nicht aufhörst, lass’ ich mich scheiden.“ Freilich ist es bei der Drohung geblieben.
Am Ende des Gesprächs hält es die Zuhörer nicht auf den Stühlen. Sie verabschieden die Pillers mit Applaus im Stehen.