Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Abschiebung trotz geglückter Integration?

Ukrainer im Westallgäu

Abschiebung trotz geglückter Integration?

    • |
    • |
    Vanda, Roman und Bogdan Doroshev (v.r.) sind in Augen der Flüchtlingshelferin Margot Sontag (Zweite v.l.) ein Musterbeispiel der Integration. Doch jetzt droht die Abschiebung.
    Vanda, Roman und Bogdan Doroshev (v.r.) sind in Augen der Flüchtlingshelferin Margot Sontag (Zweite v.l.) ein Musterbeispiel der Integration. Doch jetzt droht die Abschiebung. Foto: Ingrid Grohe

    Sie könnten Vorbilder sein. Vorzeige-Flüchtlinge sozusagen. Doch dafür taugen sie jetzt nicht mehr. Denn wie es derzeit aussieht, müssen Roman, Vanda und Bogdan Doroshev Deutschland verlassen. Obwohl sie niemandem auf der Tasche liegen, niemandem Probleme machen, Arbeit, Wohnung und Freunde haben. Dies ist die Geschichte einer rundum gelungenen Integration – mit womöglich tragischem Ausgang.

    Margot Sontag versteht die Welt nicht mehr. Vor zwei Wochen war sie nach Augsburg eingeladen. Im Namen des Vereins „Freunde statt Fremde“ nahm sie den Schwäbischen Integrationspreis entgegen. Mit einer Urkunde und 1.000 Euro belohnte das Sozialministerium die Westallgäuer Flüchtlingshelfer für ihr Engagement in Sachen Integration. Die Freude über den Preis ist Margot Sontag dieser Tage vergangen, denn aktuell zeigt sich der Freistaat von seiner anderen, harten Seite.

    Seit zweieinhalb Jahren begleitet Margot Sontag die Familie aus der Ukraine. Die Doroshevs waren ins Visier des Geheimdienstes geraten, als sie an Demonstrationen auf dem Maidan in Kiew teilnahmen. Anfang 2014 zog Roman Doroshev in der Flüchtlingsunterkunft in Scheidegg-Forst ein, drei Monate später kamen seine Frau und sein Sohn nach. Eineinhalb Jahre lang bewohnten sie zu dritt ein Zimmer – unter einem Dach mit Flüchtlingen aus Afghanistan, Nigeria, Syrien und Mazedonien. Die ausgleichende Art der Doroshevs hat der Hausgemeinschaft gut getan, sagt Margot Sontag.

    Sie haben alles richtig gemacht.Flüchtlingshelferin Margot Sontag

    Flugzeugbauingenieur und Bibliothekarin

    „Sie haben alles richtig gemacht“, betont die Flüchtlingshelferin und zählt auf: Ein Jahr lang arbeitete das Ehepaar als Ein-Euro-Jobber in der Scheidegger Prinzregent-Luitpold-Klinik – für 1,05 Euro Stundenlohn. Als der gelernte Flugzeugbauingenieur und die Bibliothekarin eine Arbeitserlaubnis erhielten und normal bezahlte Arbeit hatten, suchten sie sich eine Wohnung – das erlauben die Behörden, um Flüchtlingen die Integration zu erleichtern.

    Die Doroshevs zahlen zuverlässig Miete und Steuern, lernten vom ersten Tag an Deutsch und sprechen jetzt so gut, dass sie die Dolmetscherin nicht mehr brauchen. Bogdan hat nach zwei Jahren Mittelschule die Aufnahmeprüfung für die Realschule bestanden. Seine Klassenlehrerin bescheinigt dem 13-Jährigen Fleiß, Pflichtbewusstsein und eine Begabung für Mathematik und Sprachen; der hilfsbereite Junge hat schnell Freunde gefunden. Bogdan spielt Klavier, zu Weihnachten wünscht er sich eine Gitarre.

    Ermessen der Behörde

    Vor Kurzem kam der ablehnende Bescheid des Amts für Migration und Flüchtlinge: Roman Doroshev erhält in Deutschland kein Asyl. Das Verfahren für seine Frau Vanda läuft noch. Im Oktober hat die Tochter eines Mediziners eine Ausbildung zur Arzthelferin in einer Scheidegger Praxis begonnen – und musste sie jetzt abbrechen, denn auch sie hat unerfreuliche Post bekommen: Die Ausländerbehörde in Augsburg verweigert die Ausbildungserlaubnis – die im Integrationsgesetz durchaus vorgesehen ist und ein Stück weit im Ermessen der Behörde liegt. Diese hat sich gegen Vanda Dorosheva entschieden.

    Warum? Seit der Neufassung des Integrationsgesetzes im September erhalten abgelehnte Flüchtlinge für die Dauer ihrer Ausbildung eine Duldung. Genau das möchte die Ausländerbehörde bei Vanda Dorosheva verhindern, vermutet Rechtsanwalt Udo Sürer, der die Familie vertritt. „Es ist absurd, wenn ein Bundesland auf diese Weise ein Gesetz aushebelt“, kritisiert Sürer.

    Es ist absurd, wenn ein Bundesland auf diese Weise ein Gesetz aushebelt.Rechtsanwalt Udo Sürer

    Schon früh haben Vertreter der Wirtschaft in den Flüchtlingsbewegungen auch Chancen gesehen – vor dem Hintergrund, dass in Deutschland in vielen Bereichen Arbeitskräfte fehlen. Erst im September betonten Westallgäuer Unternehmer bei einem Besuch der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, wie wichtig verlässliche Rahmenbedingungen sind. Politiker wiederum heben regelmäßig hervor, dass Sprache und Arbeit die wichtigsten Voraussetzungen für Integration sind. Die Doroshevs sind der lebende Beweis dafür – das bestätigen deren Arbeitgeber. Keinesfalls will die Prinzregent-Luitpold-Klinik auf ihren versierten Hausmeister Roman Doroshev verzichten, und Dr. Thomas Kadzidroga hätte seine engagierte Auszubildende Vanda Dorosheva gerne behalten.

    Angst vor der Rückkehr in die Ukraine

    Roman und Vanda Doroshev, die die Ungewissheit während der vergangenen zweieinhalb Jahre tapfer ertragen haben, werden blass, wenn sie daran denken, dass sie jeden Tag abgeschoben werden könnten. Der 45-Jährige und seine 44-jährige Frau haben Angst davor, in die Ukraine zurückzugehen. So viel Angst, dass sie die Trennung von ihrer dort lebenden erwachsenen Tochter und deren zehnmonatigem Baby der Bedrohung vorziehen, der sie sich von Seiten des Geheimdiensts ausgesetzt sehen.

    Doch noch will Margot Sontag nicht akzeptieren, dass die Sache aussichtslos sein soll. Verzweifelt sucht sie nach einem Strohhalm: Härtefallregelung? Petition an den Landtag? Vorgestern hat die Vorsitzende von „Freunde statt Fremde“ die Glückwunschschreiben rausgekramt, die sie nach der Verleihung des Integrationspreises erreichten. In verbindlichen Worten gratulierten Landtagsabgeordneter Eberhard Rotter, Europa-Abgeordneter Markus Ferber und Bundestagsabgeordneter und Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller. Sie alle werden die nächsten Tage dicke Briefe aus dem Westallgäu erhalten. Denn nicht nur die Flüchtlingshelfer machen sich für die Doroshevs stark, auch deren Arbeitgeber, Lehrer und Schulleiter haben niedergeschrieben, warum sie die Familie hier behalten wollen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden