++++ Dieser Artikel stammt von 2017 aus dem Archiv von allgaeu.life +++
Es ist kurz vor 14 Uhr, als Charly zufrieden durchatmet. Der Saal füllt sich langsam, aber sicher. Trotz Sauwetter und Erkältungswelle. Um die 40 Senioren nehmen an den Tischen Platz, um sich von "ihrem" Charly den trüben Nachmittag aufhellen zu lassen.

"Der weiß, was wir hören wollen. Wenn er spielt, freuen wir uns jedesmal darauf", sagen zwei grauhaarige Damen und blicken erwartungsvoll zur kleinen Bühne. Dort hat der gelernte Fernmeldetechniker sein kleines Reich aufgebaut: das große zweimanuale Keyboard (Wersi XE 20) mit Pedalen sowie zwei Lautsprecher-Boxen.
Das Wichtigste hat er im Kopf: 150 deutsche Schlager gehören zu seinem Repertoire. Von Udo Jürgens bis Helene Fischer, von Freddy Quinn bis Andrea Berg. "Das ist meine Welt. Musik ist ja immer eine Geschmacksfrage", sagt Charly.

Dann schlägt er probeweise ein paar Akkorde auf der Tastatur an. Die Töne klingen kräftig aus den Lautsprechern. Auch das wäre geschafft. "Wenn die Orgel keinen Mucks macht, kommt man ins Schwitzen. Ist mir auch schon passiert", plaudert er aus dem Nähkästchen. Doch der Charly weiß sich stets zu helfen. Er ist ein Technik-Fuchs.
Seine erste Orgel hat er vor 40 Jahren in Einzelteilen anliefern lassen und selbst zusammengeschraubt. "Das hat ein Dreivierteljahr gedauert. Mich hat das Werkeln daran fasziniert. So wie andere eine Modell-Eisenbahn aufbauen", erzählt er. Als die Orgel fertig war, fehlte eigentlich nur eines: jemand, der sie spielt. Also nahm der Charly Unterricht und begann nach und nach auch mit Gesang. Heute kann er sich das anders gar nicht mehr vorstellen.

In seinem weißen Hemd im Landhaus-Stil und dem breiten Lächeln würde er wohl auch im Musikantenstadl eine gute Figur machen. Doch Charly ist auf den kleinen Bühnen zuhause. Seit fast 40 Jahren. Er spielt bei Geburtstagen, in Hotels, bei Sommer- und Pfarrfesten oder eben beim Senioren-Tanz. Ab und zu auch mal auf einer Hochzeit. Aber nicht mehr so oft. Denn die Hochzeiten sind heutzutage immer häufiger pompöse Inszenierungen. Mit eigenen Bands oder einem DJ. Oft sogar mit beidem.
Alleinunterhalter wie Charly tun sich da schwer. "Da kommen die unterschiedlichsten Gäste mit unterschiedlichen Wünschen. Wenn man die nicht alle erfüllen kann, ist das nicht gut für die Stimmung." Der Charly hatte schon bei seinen Anfängen in den 1970er Jahren keine Beatles oder Stones in petto. War nicht seine Musik. "Außerdem bin ich des Englischen nicht mächtig", erzählt er.
Muss ja auch nicht sein. Seine Zuhörer bevorzugen genau wie er deutsches Liedgut. Wichtiger als Interpret und Texte sind ihnen meist die Rhythmen: Rumba, Tango, Foxtrott. Und ab und zu auch mal eine Polonaise. Aber da muss die Stimmung auch wirklich passen, findet Charly: "Sonst ist es Zwangsanimation."
Die muss er im Altstadthaus zum Glück nicht anwenden: Schon nach wenigen Takten hält es seine Zuhörer nicht mehr auf den Sitzen. Fröhlich und beschwingt zieht es sie auf die Tanzfläche. Ihr Tempo ist nicht mehr ganz so hoch wie in früheren Jahren, aber der Spaß an Bewegung und Nähe ist ungebrochen. "Wenn der Charly spielt, ist das ein Lichtblick", sagt der 82-jährige Rudi und schwoft mit seiner Partnerin übers Parkett. Auch der Charly ist begeistert. "Hier tanzen die Leut' und machen richtig mit."
Keine Selbstverständlichkeit, wie er nach fast 40 Jahren als Alleinunterhalter findet. "Mit der Musik ist es wie mit einem Schnitzel im Wirtshaus. Obwohl es immer gleich gemacht ist, findest Du es an einem Tag saugut. Und am anderen Tag schmeckt's Dir einfach nicht."
Umso mehr genießt er den Auftritt im Altstadthaus: Die Senioren im Alter von 60 bis 90 Jahren bekommen von seinem musikalischen Schnitzel einfach nicht genug.