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allgaeu.life-Prakti wirft Blick in Kemptener Gefängnis

Das passiert in der JVA

allgaeu.life-Prakti wirft Blick in Kemptener Gefängnis

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    So sieht eine Zelle in der JVA Kempten aus. Die Anstalt erstreckt sich über 4,47 Hektar und wurde in den Jahren 1999 bis 2003 laut städtischem Bauamt für eine Summe von 49,5 Millionen Euro erbaut.
    So sieht eine Zelle in der JVA Kempten aus. Die Anstalt erstreckt sich über 4,47 Hektar und wurde in den Jahren 1999 bis 2003 laut städtischem Bauamt für eine Summe von 49,5 Millionen Euro erbaut. Foto: Simon Bareth

    Mit einem mulmigen Gefühl melde ich mich an der Torwache der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Kempten. Gleich zu Beginn muss ich die Besucherregeln durchlesen und unterschreiben, dann werden mir Handy und Geldbeutel abgenommen und in ein Schließfach gesperrt. Und schon geht's mit Anstaltsleiterin Anja Ellinger und dem JVA-Beamten Falk Boguth hinter Schloss und Riegel. Klar, dass ich viele Fragen habe...

    Wie viele Gefangene sitzen derzeit in der JVA Kempten ein?

    Hier sitzen 311 Gefangene mit ganz unterschiedlichen Strafen und Nationalitäten. Einige sind in Untersuchungshaft, das sind hauptsächlich Menschen, bei denen Fluchtgefahr besteht, weil sie keinen festen Wohnsitz haben. In Strafhaft sitzt jeder, der im Allgäu bis zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Dort gibt es knapp 50 Prozent Ausländer, darunter viele Türken und Rumänen. Dazu gibt es keine Mindeststrafe, das heißt man kann auch bloß einen Tag wegen eines kleinen Bußgeldes einsitzen, das man nicht bezahlt hat.

    Was haben die Menschen hier für Straftaten begangen?

    Bis zu drei Jahre Haft sind vor allem Raub, Körperverletzung, Handel mit Betäubungsmitteln, gewerbsmäßiger Betrug (bis zum sechsstelligen Bereich). Außerdem können auch Häftlinge aus anderen Gefängnissen zuverlegt werden, damit sie sich hier in ihrer Heimat wieder integrieren können.

    Gibt’s Stress unter den Gefangenen?

    Ja, sogar mehrfach am Tag. Zuletzt hatten zwei Personen über drei Wochen hinweg nachts Lärm gemacht und wurden deshalb in „Einzelhaft“ genommen. Aber auch kleine Streitigkeiten und Raufereien kommen immer wieder vor, obwohl es natürlich auch dafür Strafen gibt.

    Gibt es eine große Drogenproblematik hier?

    Ja, definitiv. Schon beim Zugang werden hier über 42 Prozent positiv auf Drogen getestet. Zudem sind knapp 25 Prozent wegen Drogendelikten (Handel etc.) hier. Die Hauptdroge ist THC (Cannabis). Aber den Gefangenen wird auch geholfen, so können sie außerhalb der JVA Therapien besuchen und können dort auch einen Teil ihrer Haftstrafe verbringen. Das Ziel ist es, dass die Betroffenen nach den Therapien drogenfrei leben können.

    Wie wird den Menschen in der JVA sonst noch bei Problemen geholfen?

    Zunächst haben wir hier Psychologen, die direkt in der ersten Woche mit den Neuankömmlingen reden. Ansonsten kommen entweder die Gefangenen auf sie zu oder, falls der Psychologe merkt, dass etwas nicht stimmt, schreitet auch er ein und spricht mit diesen Personen. Hierbei wird vor allem auf Sexualstraftäter und Suizidgefährdete geachtet. Zudem darf auch auf die Vollzugsbediensteten zugegangen werden - falls es Dinge zu besprechen gibt, kann man auch mit diesen eine Lösung finden. Zudem bieten wir Anti-Gewalttraining, Therapien für Sexualstraftäter und Schuldentherapien an. Auch einen Mittelschulabschluss kann man hier nachholen, sich beruflich weiterqualifizieren und die Gefangenen mit ausländischer Herkunft können Deutsch- und Integrationskurse besuchen.

    Wer hier reinkommt, verbringt bis zu drei Jahre in der JVA Kempten.
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    Wie sieht der Tagesablauf der Gefangenen in der JVA Kempten aus?

    Um 6:00 Uhr werden die Gefangenen geweckt und anschließend werden die Hafträume aufgesperrt. Kurz vor 7:00 Uhr rücken die Beschäftigten in ihre Betriebe aus. Danach ist um 8:00 wieder allgemeiner Einschluss der Nichtarbeiter und nun gibt es Hofgänge, je nach Haus zu einer anderen Uhrzeit. Mittagessen gibt es zwischen 11:00 und 12:30 Uhr (An Simons Besuchstag gab es ein mit Käse überbackenes Schnitzel). Um 13:00 Uhr werden die Nichtarbeiter-Hafträume wieder zugesperrt. Diese sind für die Nichtbeschäftigten bis 16:30 Uhr zu, während die anderen bis 15:30 Uhr in den Hallen arbeiten können. Anschließend gibt es den einstündigen Hofgang für die Arbeiter. Um 18:00 Uhr werden die Hafträume zum letzten Mal für alle aufgeschlossen und ab 20:10 Uhr müssen sie sich in ihre Zellen zurückziehen, bis am nächsten Tag um 6:00 Uhr wieder alles von vorne beginnt.

    Wo kann man sich im Gebäude außer in den Zellen aufhalten?

    Wir haben hier viele verschiedene Abteilungen mit Gruppenräumen, Sonderräumen und Schulungsräumen. Zudem haben wir Tischtennisplatten, ein Schachfeld, eine Sporthalle, einen Kraftsportraum, eine Bücherei und einen Mehrzweckraum. Dort finden Gottesdienste, muslimische Gebete, Vater-Kind-Gruppen und Schachturniere statt.

    Können Gefangene hier arbeiten und gibt es einen Lohn?

    Ja, sie dürfen arbeiten, wenn sie das wollen, zum Beispiel in den Hallen, wo Kabeltrommeln und Leuchtstoffröhren hergestellt werden. Dort arbeiten derzeit knapp 100 Personen, zusätzlich gibt es noch die Küchenarbeit mit zwölf Beschäftigten, die jeden Tag für das Essen zuständig sind. Dazu haben wir noch die Wäscherei und Eigenbetriebe, zum Beispiel einen Maler. Diese Arbeiter bekommen einen Stundenlohn von durchschnittlich 1,65 Euro, was recht wenig klingen mag, aber dafür müssen sie keine Verpflegung und Miete zahlen. Wir haben natürlich auch Freigänger, die nur über Nacht hier im Gebäude sind und in der Früh zu ihrer Arbeit aufbrechen. Einer Person haben wir es ermöglicht, in Schicht zu arbeiten. Diese Menschen haben dann Arbeitsplätze in Firmen, mit denen man in Kontakt steht.

    Gibt es Probleme mit den verschiedenen Religionen?

    Die gab es vor allem früher beim Essen, wenn Muslime kein Schweinefleisch essen dürfen und die anderen Gefangenen den Muslimen das andere Fleisch weggegessen haben und für diese dann nur noch Schwein übrig war. Das hat so lange zu Problemen geführt, bis es Ausweise gab, auf denen das Essen fest je nach Religion eingeteilt war. Heute zeigen die Gefangenen den Ausweis vor und bekommen ihr entsprechendes Gericht ausgegeben.

    Zum Abschluss noch zwei Fragen an Frau Ellinger: Wie läuft Ihr Arbeitsalltag ab?

    Es gibt sehr viele Besprechungen, allein heute war ich schon bei drei verschiedenen. Das fängt am Morgen an und zieht sich über den ganzen Tag. In unserem Beruf braucht man die vielen Gespräche, um sich über alle möglichen Dinge auszutauschen. Das ist das A und O bei uns, so werden viele Probleme gelöst. Zudem haben wir Kontakt zu den Gefangenen, da gibt es Sprechstunden mit der Anstaltsleiterin, falls etwa jemand mit seinem zugeteilten Beamten nicht zurechtkommt. Außerdem gibt es pro Gefangenenhaus einen Vertreter, der den Anspruch hat, regelmäßig mit der Leiterin zu reden.

    Was waren Ihre Beweggründe für diesen Job?

    Als Anstaltsleiter sollte man in Bayern Jurist sein und das habe ich studiert, im Gegensatz zu Jugendgefängnissen, dort sind es Psychologen. Dazu kam noch, dass ich früher im Sozialamt tätig war und den Umgang mit Menschen in schwierigen Lebenslagen schon gekannt habe und mir das nichts ausgemacht hatte.

    Bei meinem Rundgang erlebe ich, dass die meisten Gefangenen mir sehr freundlich begegnen. Sie grüßen und hängen ohne Murren private Bilder (von Familienangehörigen usw.) ab, damit ich Fotos machen kann. Die Insassen selbst darf ich natürlich nicht knipsen, dafür verraten mir die freundlichen JVA-Beamten viele Details. Besonders spannend: Über den Hof sind Seile gespannt, die einen Ausbruchsversuch aus der Luft (zum Beispiel mit einem Hubschrauber) verhindern. Schockierend: Erst kürzlich wurde bei einem Rundgang eine selbstgebastelte Spritze entdeckt. Der Bibliothekar rechnet mir außerdem vor, dass ein Gefangener sieben Jahre brauchen würde, um alle Bücher der Gefängnisbibliothek durchzulesen. Fazit: ein spannender, nicht-alltäglicher Einblick - wenngleich ich auch sehr froh war, als ich wieder draußen vor den hohen Zäunen war.

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