Dass die eigene Bude am Anfang jeder erfolgreichen IT-Geschichte steht, scheint ein Gesetz zu sein. Steve Jobs und Steve Wozniak bauten den ersten Apple-Computer in einer Garage, Microsoft-Mitbegründer Paul Allen programmierte den ersten Windows-Code im Schlafzimmer – und Martin Reichle fing um 2010 an, über einen kleinen Online-Shop Arbeitskleidung aus seinem Wohnzimmer heraus zu verkaufen. „Ich will das gar nicht romantisieren. Das war furchtbar“, sagt Martin und grinst breit.
Du kannst heute nicht einfach Deine Produkte ins Internet stellen und darauf hoffen, dass die Kunden auf magischen Online-Pfaden den Weg zu Dir finden.Jan Koenigs
„Meine Frau und ich haben neben einem Haufen verpackter Kisten geschlafen!“ Spätestens als ein befreundeter Handwerker die heimelige Stube als Umkleide beanspruchte, war dem 39-Jährigen klar: Da muss etwas Eigenes her. 2012 gründete er das Label GenXtreme und stellte mit Jan Koenigs (heute Marketingleiter) seinen ersten Angestellten ein.
Heute ist Martin Chef von 26 Mitarbeitern, über 70.000 Handwerker beliefert sein Unternehmen regelmäßig mit neuen Sicherheitsschuhen, schnittfesten Hosen und Funktionsjacken. Grund für den Erfolg: Ein technisch irre ausgefeilter Online-Shop - made in: dem doch manchmal etwas verschlafenen Kaufbeuren!

„Du kannst heute nicht einfach Deine Produkte ins Internet stellen und darauf hoffen, dass die Kunden auf magischen Pfaden den Weg zu Dir finden“, erzählt Jan. GenXtreme analysiert jeden Einkauf, jeden Kunden, jeden Click: „Wenn jemand bei uns Kniepolster und eine Handwerkerhose bestellt, gehen wir davon aus, dass er eher Maurer oder Maler ist – und nicht Jäger. So bieten wir ihm auf unserer Shop-Seite die passenden Produkte an“, erklärt Jan.
München=Regen - Berlin=Sonne
Ein anderes Beispiel: Klickt ein Kunde aus dem regnerischen München auf die Website, lokalisiert das Unternehmen seinen Standort und die dazugehörigen aktuellen Wetterdaten. Also zeigt der Shop dem Münchner Kunden auf der Startseite eher Softshell-Jacken und Regenbekleidung an.
Besucht zur gleichen Zeit ein User aus dem sonnigen Berlin die Seite, weiß das Programm ebenfalls: Er surft aus Berlin, dort scheint die Sonne: Ihm werden also Shorts und Sicherheitssandalen angeboten. „Das ist schon ziemlich cool“, sagt Jan ein wenig stolz. In der ganzen Region gäbe es kein vergleichbares Online-Angebot.
Datenschützer sehen das naturgemäß weniger euphorisch. Sie warnen vor dem ‚gläsernen Kunden‘, vor gedankenlesenden Unternehmen. „Da ist natürlich etwas dran“, sagt Marketingleiter Jan offen. „Als Nutzer solltest Du Dir schon aussuchen, wo Du Deine Daten angibst. Wir zum Beispiel geben keine Kundeninfos weiter – und verarbeiten die Daten ausschließlich in Deutschland.“ Das ist bei anderen Online-Shops (*hüstel* Amazon *hüstel*) nicht so - und wer ganz analog im Kaufhaus mit Kunden- oder Payback-Karte einkauft, gibt genauso seine Daten preis.
Du findest in ganz Deutschland innovative Allgäuer. Nur im Allgäu findest Du wenige davon.Martin Reichle
„Der Kunde profitiert ja auch von diesem System“, erklärt Jan. „Wer eine neue Winterjacke haben will, der kann mit Werbung für Autos in dem Moment wenig anfangen“, sagt er und lacht. „Bei uns bekommt er: Winterjacken.“ Und das jetzt auch im eigenen Shop und Showroom in Kaufbeuren/Neugablonz. "Das ist die Zukunft", sagt Jan. Also die Verbindung von stationärem Handel - so ganz offline und zum Anfassen - und E-Commerce, also dem Verkauf im Netz. "Wer sich als Fachhändler präsentieren will, muss auch mal in den Laden gehen können, und gucken, ob die Hose größer oder kleiner ausfällt", meint der Marketing-Chef.
München? Berlin? Zürich? Kaufbeuren!

Die Macher von GenXtreme wollen aber nicht nur wachsen, nicht nur verkaufen: Sie wollen auch unsere Region voranbringen, das Allgäu für 'E-Commerce' fit machen. "Das ist der Hauptgrund, warum wir uns hier erweitert haben, statt in die Startup-Metropolen München oder nach Zürich zu ziehen", erzählt Martin. Er selbst hält regelmäßig Vorträge für die IHK, zeigt anderen Unternehmen, was sie in der weiten Welt des Online-Handels anders, vermutlich auch besser, machen können.
Daneben will GenXtreme gemeinsam mit der Stadt Kaufbeuren einen Co-Working-Space anbieten und anderen jungen Tech-Unternehmen Know-How weitergeben. Und natürlich auch davon profitieren - das größte Problem bei der Firmenzentrale 'Dahoim' sei die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern. "Du findest in ganz Deutschland innovative Allgäuer. Nur im Allgäu findest Du wenige davon", sagt Martin. Alte, verkrustete Strukturen und fantasielose Manager würden viele Cracks aus der Region vertreiben, meint der 39-Jährige.
Gute Kohle, guter Kaffee
Ganz nach US-Startup-Vorbild will GenXtreme jetzt Kreative und Innovative locken. "Wir wollen nicht nur ein 'gscheites' Gehalt bieten. Unsere Leute sollen sich hier auch wohlfühlen", sagt Jan. Statt Senseo-Brühe gibt's eine Espresso-Bar, statt grauer Büro-Wände bunte Poster, Aufsteller und NERF-Blaster, statt strikter Zeiten gibt's Home-Office. Dafür muss jeder halt auch mal im Lager aushelfen. So wie Marketing-Chef Jan und Geschäftsführer Martin auch. Ob er noch Kartons im Wohnzimmer aufbewahrt, wenn das Lager überquillt? Reichle grinst nur und huscht in sein Büro.