Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Als Regaleinräumer im Supermarkt: "Guck mal, die Nudeln kommen!"

Corona-Angst?

Als Regaleinräumer im Supermarkt: "Guck mal, die Nudeln kommen!"

    • |
    • |
    Ein wenig verloren bin ich beim Regale-Einräumen ja doch. Zum Glück helfen Natascha Brosche und Elisabeth Gorr. (v.l.)
    Ein wenig verloren bin ich beim Regale-Einräumen ja doch. Zum Glück helfen Natascha Brosche und Elisabeth Gorr. (v.l.) Foto: Mathias Wild

    Die Allgäuer hamstern. Nudeln, Klopapier, Mehl, Dosentomaten - aber auch Trockenhefe und Cornflakes wandern so schnell über die Kassen, dass die Mitarbeiter nicht mit dem Auffüllen hinterherkommen.

    In meinem Stamm-Supermarkt in Kaufbeuren-Neugablonz sind die Regale zum Teil wie leergefegt. Ich möchte helfen und erfahren, wie die Stimmung ist. Wie gehen die Kunden mit den Mitarbeitern um? Und: Gibt es wirklich genug Toilettenpapier für alle? Auf meine Anfrage bei der Marktleitung ernte ich ein Grinsen: "Sie kommen mir ja gerade recht", sagt Chef Markus Hildebrand.

    Kaum fünf Minuten später: Im Praktikanten-Kittel und mit Cutter-Messer bewaffnet, arbeite ich im Bereich der Frühstücksflocken. Mein Versuch, den passenden Platz für Crunchy-Müsli-Choco&Nuts zu finden, scheitert. Dafür stehe ich meinen neuen Kollegen im Weg.

    "Heute können wir ein klein wenig durchschnaufen", sagt Marktleiter Hildebrand. Der erste Ansturm sei vorbei. An diesem Dienstagnachmittag füllen weit über die Hälfte seiner 96 Mitarbeiter Regale auf. Alle helfen mit. Die Kolleginnen aus der Backstube gleichermaßen, wie der Chef der Elektro-Abteilung, der viele Kilo Mehl ins Regal wuchtet.

    Den "Laden am Laufen" halten

    "Die letzten Tage konnten wir nur den 'Laden am Laufen' halten", sagt Hildebrand. Palettenweise ließ er am Samstag und Montag Spaghetti, Tagliatelle und Ravioli in die Verkaufsräume bringen. Trotzdem waren die Regale nach Minuten schon wieder leer. "Als hätten wir die Nudeln in ein Loch geworfen", beschreibt der 47-Jährige die Situation. "So etwas habe ich noch nie erlebt."

    "Wir sind beinahe überrannt worden", sagt auch Kassiererin Stefanie Saller. Ellenlange Schlangen an sieben Kassen, Menschen mit bergeweise Ware im Einkaufswagen. Die 40-Jährige koordiniert die Dienstpläne und Pausen des Kassenpersonals und musste in den vergangenen Tagen immer mehr Kolleginnen aus dem Markt abziehen, um die Kunden an den Kassen durchschleusen zu können. "Natürlich können wir die Regale dann nicht so auffüllen, wie es alle gewohnt sind."

    Und doch: Die meisten Supermarkt-Besucher reagieren verständnisvoll - sind während der Corona-Pandemie sogar einsichtiger. Nur wenige fallen aus der Reihe. Dafür aber heftig: Als das Brot am Samstag schon am Nachmittag ausverkauft war, hätten sich einige sogar lautstark beschwert. "Die Kolleginnen im Brothaus sind von ein paar Kunden regelrecht beschimpft worden", erzählt Stefanie Saller.

    Obwohl sie stundenlang im direkten Kontakt mit Menschen ist, Angst vor dem Coronavirus hat sie nicht. "Die Zeit, um mir darüber Gedanken zu machen, hab' ich doch gar nicht", sagt die 40-Jährige lächelnd.

    Schon jetzt arbeiten die Menschen an der Belastungsgrenze

    Mitarbeiter schützen, die Moral im Team oben halten, das ist jetzt das Ziel von Marktleiter Markus Hildebrand: Länger als 20 Uhr und zusätzlich am Sonntag werden die V-Märkte zunächst nicht öffnen. Diese Info bekam Hildebrand aus der Chefetage. Und er ist dankbar dafür. Schon jetzt arbeiten seine Kolleginnen und Kollegen an der Belastungsgrenze.

    Noch in dieser Woche sollen Desinfektions-Spender im Verkaufsraum aufgestellt werden. Eine Abgrenzung zum Kassenpersonal ist ebenfalls geplant. Denn weiterhin stehen die Kunden dicht an dicht an der Fleischtheke, beugen sich über die Kasse und lassen das Personal im Geldbeutel nach Kleingeld kramen. Social Distancing? Ganz offensichtlich Fremdwörter. Auch die Risikogruppe - Menschen über 60 - würden noch ganz normal einkaufen gehen, erzählt Hildebrand.

    Ich wurde mittlerweile höflich versetzt und darf Süßstoff ins Regal sortieren. Neben mir fragt eine betagte Dame eine weitere Helferin nach Bio-Dinkel-Mehl. Nach einer Wegbeschreibung (das Mehl befindet sich etwa eineinhalb Meter neben uns) antwortet die Frau mit "aha" und ich überlege, wann ich mich zum letzten Mal bei einem Supermarkt-Mitarbeiter bedankt habe.

    Wird im Neugablonzer V-Markt eigentlich rationiert? "Das machen wir noch nicht", sagt Kassiererin Stefanie Saller. "Aber wenn Kunden besonders viele Packungen Klopapier oder Mehl kaufen, fragen wir sie schon, ob sie das wirklich brauchen." Schließlich solle jeder etwas abgekommen.

    Hamsterkäufe: Kurzzeitig vergriffen war nur ein Produkt

    Das einzige Produkt, das im Neugablonzer Supermarkt kurzzeitig vergriffen war - neben Desinfektionsmittel - war übrigens Trockenhefe. "Das hätte ich mir vor Corona nicht vorstellen können", sagt Hildebrand. "Aber jetzt fangen die Menschen an, wieder selbst Brot zu backen."

    Während wir inzwischen im Lager schuften - manche mehr, ich weniger - erreicht eine neue Lieferung den V-Markt. "Guck mal, die Nudeln kommen", ruft Marktleiter Markus Hildebrand fröhlich. Klopapier und Pasta: Es sind Insider-Witze bei der Belegschaft. Galgenhumor? "Nein. Ganz entschieden: Nein. Wir haben genug auf Lager und jeden Tag kommt ausreichend Nachschub", sagt Hildebrand. "Auch Klopapier ist keine Mangelware!"

    Und dann ist meine Schicht vorbei. Sie war kurz. Ich darf zurück ins Home-Office, zu Frau und Kind. Tausende Allgäuer halten dagegen in Zeiten der Corona-Krise vor Ort 'den Laden am Laufen.' Sie pflegen, sie versorgen, sie schützen uns. Sie forschen und sie helfen. Und sie räumen Regale ein. Danke dafür.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden