Unter dem Motto „So wohnen wir morgen“ beschäftigt sich die Zeitschrift „Focus Spezial“ in ihrer aktuellen Ausgabe mit Architektur und Baukultur. Darin findet sich eine Liste der 278 besten Architekturbüros für Haus, Wohnung, Büro, Kulturbau und Garten. Dazu gehören auch zwei Allgäuer Büros: SoHo Architektur aus Memmingen (in den Kategorien Mehrfamilien- und Einfamilienhäuser) und das Büro Becker Architekten aus Kempten (in der Kategorie Einfamilienhäuser). Glücklich, aber auch überrascht zeigten sich die beiden Leiter, Alexander Nägele (SoHo, 46) und Michael Becker (47) über die Auszeichnung. Als durchaus problematisch sehen sie die aktuelle Entwicklung im privaten Wohnungsbau. Denn der Normierungswahn treibe die Preisspirale nach oben. Und das bereite nicht nur den Bauherren, sondern auch den Architekten Kopfzerbrechen.

Herr Nägele, Herr Becker, Ihre Büros zählen für „Focus Spezial“ zu den Top-Adressen im Wohnungsbau. Da kann man schon mal die Sektkorken knallen lassen, oder?
Nägele: Ja, es ist natürlich eine schöne Auszeichnung, die uns aber auch überrascht. Vor allem weil die meisten ausgezeichneten Büros aus den Metropolregionen kommen. Es zeigt, dass es im Allgäu durchaus starke Auftraggeber gibt, mit denen man qualitätvolle Architektur realisieren kann.
Becker: Klar schmeichelt es uns, dass das stete Streben nach qualitätvoller Architektur, und eben nicht nur das gelungene Einzelprojekt, auch etwas abseits der Metropolregionen als wertvoller Beitrag von den vermeintlich stärksten Kritikern erkannt wird.
Gibt es beim Hausbau ein Patentrezept?
Nägele: Nein, es geht immer um individuelle Lösungen. Jeder legt seinen Fokus auf etwas anderes. Der eine will eine ansprechende Hülle, beim anderen muss primär die technische Ausstattung passen. Ein anderer will, dass das Haus so wenig wie möglich Energie verbraucht, und einem anderen ist Barrierefreiheit wichtig. Generell muss der Grundriss stimmen.
Es zeigt, dass es im Allgäu durchaus starke Auftraggeber gibt, mit denen man qualitätvolle Architektur realisieren kann.Architekt Alexander Nägele
Becker:
Das sehe ich auch so. Ein großes Problem ist, dass die meisten Menschen einfach beim Hausbau von ihrer momentanen Lebenssituation ausgehen. Was aber ist, wenn die Kinder in zehn, zwölf Jahren ausziehen? Dann stimmt womöglich der Grundriss für die zurückbleibenden Eltern plötzlich nicht mehr.
Der Architekt muss also auch ein wenig Psychologe sein?
Nägele: Ich finde, ein guter Architekt sollte solche Dinge ansprechen. Und deshalb ist Vertrauen zwischen dem Bauherren und dem Architekten enorm wichtig.
Becker: Man muss als Architekt die psychologischen Bedürfnisse der Bauherren lesen können. Dabei geht es nicht um optische oder thermische Behaglichkeit, sondern vielmehr um eine emotionale Behaglichkeit, sprich: Was muss ich tun, damit er sich wohlfühlt?

Das Einfamilienhaus steht im Spannungsverhältnis zwischen individueller Selbstverwirklichung durch den Bauherren und topographische und behördliche Vorgaben. Wie gehen Sie damit um?
Nägele: Es gibt Kommunen, da ist so gut wie alles möglich – vom Flachdach bis zum Satteldach sozusagen. Diese Freiheit ist für mich aber auch sehr problematisch. Denn so entstehen, wie man landauf landab sieht, keine charmanten Orte, keine Quartiere mit Aufenthaltsqualität. Ich finde es wichtig, in Kontexten zu denken und zu arbeiten.
Becker: Ich denke, es ist sehr wichtig, auf die Qualität eines Ortes hinzuweisen. Wir Menschen haben die anarchische Tendenz, sich immer selbst zu verwirklichen. Wir haben aber auch eine baukulturelle Verantwortung. Das, was ein anderer hinbaut, muss ein anderer anschauen, ob er will oder nicht.
Was macht Ihnen bei der Konzeption eines Einfamilienhauses am meisten zu schaffen?
Nägele: Ein wichtiger Punkt ist, dass Normen wie beispielsweise Energieeinsparverordnung, Schallschutz oder Brandschutz immer mehr verschärft werden. Das führt dazu, dass die Baukosten ständig nach oben gehen.
Becker: Die Preisspirale geht ganz klar immer weiter weg vom realen Einkommen. Ein qualitatives Einfamilienhaus zu finanzieren, ist für eine normale Familie mit Doppelverdiener ohne Erbschaft eigentlich kaum mehr möglich.
Wenn der Geldbeutel nur knapp gefüllt ist, bleibt da die Baukultur notgedrungen nicht zusehends auf der Strecke?
Becker: Der Spagat zwischen individuellem Anspruch und der baukulturellen Verpflichtung jedes Bauherren wird jedenfalls schwieriger. In der Architektur sollte es ja eigentlich primär um Baukultur im Sinne der Gemeinschaft gehen. Doch immer mehr gerät sie in Konflikt mit schnelllebigen markt- und volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Nägele: Wir haben im Schnitt ein bis zwei Anfragen in der Woche. Qualitätvoll und günstig soll es meistens sein – und diese Vorgaben sind extrem herausfordernd.
Wie sieht denn die optimale Zusammenarbeit zwischen Bauherren und Architekten aus?
Nägele: Zwischen beiden sollte ein sehr hohes Vertrauensverhältnis bestehen. Erst dann kann gute Qualität entstehen.
Becker: Optimale Lösungen basieren immer auf der Wertschätzung und Vertrauensbasis von Bauherr und Architekt und beflügeln im Idealfall beide Seiten.
Ihre Philosophie auf den Punkt gebracht...
Nägele: Ich bin ein eher pragmatischer Optimist. Ich versuche immer im Dialog mit den Bauherren Spielräume auszuloten, Sachen auszuprobieren und mit verschiedenen Materialien zu arbeiten – und dabei aber den Gesamtbezug nicht aus den Augen zu lassen. Ein Architekt kann immer nur so gut sein, wie es der Bauherr zulässt.
Becker: Auch ich sehe mich als konservativen Architekten. Ich konzentriere mich aufs Weiterbauen, und schätze empirisch erfahrene Qualitäten, die wir subtil im Sinne der Moderne zusammen mit unseren Bauherren versuchen weiterzuentwickeln und dafür auch bereit sind, unkonventionelle Wege zu gehen. Im Idealfall sind Häuser zeitlos – und fügen sich im Sinne eines neuen Ganzen in einen Kontext ein.