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Interview: Bayerns Wirte-Chefin: „Dann verlieren wir die Hälfte unserer Gasthöfe“

Interview

Bayerns Wirte-Chefin: „Dann verlieren wir die Hälfte unserer Gasthöfe“

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    Angela Inselkammer ist Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes. Sie setzt sich vehement für die Senkung der Mehrwertsteuer ein. Unser Bild entstand in ihrem Restaurant in Aying.
    Angela Inselkammer ist Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes. Sie setzt sich vehement für die Senkung der Mehrwertsteuer ein. Unser Bild entstand in ihrem Restaurant in Aying. Foto: Ulrich Wagner

    Frau Inselkammer, Sie müssten als bayerische Hotel- und Gaststätten-Präsidentin zufrieden mit den politischen Früchten Ihrer ehrenamtlichen Arbeit sein. Denn ab Januar soll der Mehrwertsteuersatz für Speisen, die in Restaurants verzehrt werden, von 19 auf sieben Prozent fallen. Wie haben Sie den großen Lobby-Erfolg erstritten?

    Angela Inselkammer: Ich bin keine Lobbyistin.

    Sie sind sogar eine der erfolgreichsten Lobbyistinnen Deutschlands. Was sind Sie dann, wenn Sie keine Lobbyistin sind? 

    Inselkammer: Ich sehe mich als Erklärerin und Vermittlerin gegenüber der Politik. Ich leiste einen Dienst für die Demokratie und den Erhalt unserer Wirtshauskultur.

    Einen Dienst für die Demokratie?

    Inselkammer: Ich bringe den Verantwortlichen immer wieder nahe, wie ernst die Lage der Hotel- und Gaststättenbranche ist. Wirtshäuser kämpfen ums Überleben. Wir müssen alles daran setzen, unsere familiengeführte Gastronomie am Leben zu erhalten. Unsere Wirtshäuser machen das Leben erst lebenswert. Sie stiften als Orte der Begegnung Identität. Doch all das ist gefährdet. Schließlich wollen wir in unserer reichlichen Freizeit nach dem Radeln oder Wandern einkehren und nicht belegte Semmeln aus dem Automaten ziehen. 

    Wie ernst ist die Lage der Branche? Beschleunigt sich das Wirtshaussterben? Restaurants sind doch oft bis auf den letzten Platz besetzt.

    Inselkammer: Im fünften Jahr in Folge sind die Umsätze in der Gastronomie aber deutschlandweit zurückgegangen. Zuletzt sind die Umsätze im Mai gegenüber dem Vormonat bundesweit um 2,2 Prozent eingebrochen, der heftigste Rückgang seit dreieinhalb Jahren. Und im vergangenen Jahr stieg die Anzahl der Pleiten in der Gastronomie deutlich stärker als in der gesamten Wirtschaft.  

    Das klingt dramatisch.

    Inselkammer: Wenn wir die Bedingungen für unsere Gastronomiebetriebe nicht massiv verbessern, beschleunigt sich das Wirtshaussterben: Dann verlieren wir die Hälfte unserer Gasthöfe.

    Die Hälfte, wirklich?

    Inselkammer: Ja, die Hälfte. In Bayern gibt es 33.000 Hoteliers und Gastronomen, in deren Betrieben 447.000 Frauen und Männer tätig sind. Dabei beschäftigen zwei Drittel der Betriebe maximal fünf Mitarbeiter. Und 87 Prozent der steuerpflichtigen Betriebe machen im Jahr weniger als 500.000 Euro Umsatz. Das zeigt: Die kleinen, familiengeführten und authentischen Wirtshäuser prägen das bayerische Lebensgefühl. Deswegen kommen so viele Menschen gerne nach Bayern. Wenn wir die Hälfte dieser Gastgeber verlieren würden, werden wir sehr lange unter der Situation leiden. 

    Diese Zusammenhänge scheinen Sie insbesondere Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mit großem Erfolg vermittelt zu haben, sonst hätte er sich bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin nicht so nachdrücklich für die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie eingesetzt.

    Inselkammer: Ich bin Ministerpräsident Markus Söder sehr dankbar, dass er die Argumente der Gastronomiebranche verstanden hat. 

    Hat er die Argumente sofort verstanden?

    Inselkammer: Es hat eine Zeit lang gedauert.

    Mussten Sie Druck machen?

    Inselkammer: Nein, ich habe keinen Druck gemacht, sondern Herrn Söder die schwierige Lage unserer Branche erklärt. So hat Herr Söder die Lage der Gastronomie verstanden und sich früh in der Corona-Zeit für unsere Belange eingesetzt, als die Mehrwertsteuer schon einmal vorübergehend von 19 auf sieben Prozent abgesenkt wurde.

    Das Gespräch mit Angela Inselkammer fand in ihrem Haus in Aying statt. Sie zählte Argumente auf, die für eine Senkung der Mehrwertsteuer sprechen.
    Das Gespräch mit Angela Inselkammer fand in ihrem Haus in Aying statt. Sie zählte Argumente auf, die für eine Senkung der Mehrwertsteuer sprechen. Foto: Ulrich Wagner

    Dann haben sie nach Ihrer Lesart erfolgreich die Politik beraten.

    Inselkammer: Ich mache diese Arbeit mit Herzblut, weil ich weiß, mit welch hohem Engagement Familien um ihre Gastronomiebetriebe kämpfen. Mir nutzt mein Einsatz persönlich nichts. Ich kämpfe für die systemrelevanten Gastronomie-Betriebe. Wenn die Hälfte aufgegeben hat, ist es zu spät. Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass es Gegner der Mehrwertsteuer-Senkung für die Gastronomie gibt.

    Es gibt sogar prominente Gegner. Der führende deutsche Ökonom Clemens Fuest kritisiert, die dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie sei ein finanzpolitischer Fehler. Das Ifo-Institut hat ausgerechnet, dass in Frankreich nach einer Senkung der Mehrwertsteuer die Gastronomen nur etwa zehn Prozent an die Kunden weitergegeben haben. Ist das also ein Wahlgeschenk Söders?

    Inselkammer: Ich kann die Argumente von Herrn Fuest und des Ifo-Instituts nicht nachvollziehen. Wir wollen mit Herrn Fuest reden. Bislang gibt es noch keinen Termin. Es geht bei der Senkung der Mehrwertsteuer nicht um Finanz-, sondern um Wirtschafts- und Sozialpolitik. 

    Das müssen sie erklären.

    Inselkammer: In diesem Fall verzichtet der Staat auf einen Teil der Mehrwertsteuer-Einnahmen aus der Gastronomie, um einen wichtigen Wirtschaftszweig zu erhalten. Unsere Betriebe kämpfen ums Überleben. Wir müssen aber auch investieren und modernisieren, um attraktiv zu bleiben. Das können sehr viele Betriebe aktuell schlichtweg nicht, weil die Margen zu klein sind. Die Gastronomie ist das Herz vieler regionaler Wirtschaftskreisläufe, vor allem was das Handwerk und was Lebensmittelproduzenten betrifft. Wir haben übrigens in der Hotellerie schon einmal bewiesen, dass der Verzicht auf Mehrwertsteuer dem Staat am Ende nutzt. 

    Spielen Sie auf die umstrittene Möwenpick-Steuer an? Die FDP hatte sich einst für die Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent für Hotel-Übernachtungen starkgemacht, zuvor aber von der Hotelgruppe Möwenpick eine ordentliche Spende erhalten. 

    Inselkammer: Die Wahrheit ist: Fünf Jahre nach der Absenkung der Mehrwertsteuer war das Steueraufkommen in der Hotellerie schon höher als zu dem Zeitpunkt, zu dem noch 19 Prozent zu bezahlen waren. An die Adresse von Herrn Fuest sage ich: Wenn Betriebe investieren, mehr Leute einstellen und am Ende höhere Steuern zahlen, ist das auch finanzpolitisch sinnvoll. Der Staat muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass junge Menschen einen Gastronomie-Betrieb übernehmen wollen, weil sie eine gute Zukunft für sich sehen. All diese Argumente zieht Herr Fuest nicht in Betracht. Im Übrigen siedeln sich Industrie-Betriebe nur dort an, wo die Lebensqualität für ihre Mitarbeitenden hoch ich. Und das ist dort der Fall, wo es eine intakte Gastronomie-Landschaft gibt. 

    Söder versteht sie besser als Fuest.

    Inselkammer: Söder hält Wort, auch wenn der Wind jetzt stärker gegen eine Absenkung der Mehrwertsteuer ab Januar 2026 weht. Ich finde es unmöglich, wenn sich in anderen Bundesländern mit Verweis auf Milliardenausfälle bei der Mehrwertsteuer Widerstand bildet.

    Könnte die Senkung der Mehrwertsteuer noch auf der Zielgeraden scheitern?

    Inselkammer: Die Senkung muss kommen. Wenn die Senkung auf sieben Prozent nicht kommt, gäbe es einen Kahlschlag in der Gastronomie. Dann stellen viele Wirte den Betrieb ein. Die Hotel- und Gaststättenbranche ist eine riesige Wirtschaftskraft in Bayern mit rund 450.000 Erwerbstätigen und fast wieder 11.000 Auszubildenden, ein Plus von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wir werden jetzt als Verband die Ansichten einzelner Gastronomen öffentlich machen. Damit können wir diese unselige Argumentation vom Tisch bekommen, die Senkung der Mehrwertsteuer sei ein Geschenk, vor allem für McDonald‘s.

    Das geht auf Angaben der Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch zurück, die ausgerechnet hat, dass allein McDonald‘s so jährlich durch die Mehrwertsteuer-Senkung um rund 140 Millionen Euro entlastet würde.

    Inselkammer: Ich verstehe dieses Rechenbeispiel nicht, zahlt McDonald‘s doch bisher auf rund 60 Prozent des Umsatzes nur sieben Prozent Mehrwertsteuer, weil die Kunden das Essen mitnehmen und außerhalb der Restaurants verzehren. Nur weil auch McDonald‘s profitieren könnte, ist die Reform an sich doch nicht falsch. Was hat Foodwatch überhaupt gegen McDonald‘s? Wir können froh sein, dass wir diese Schnell-Restaurants haben. Übrigens zahlen auch diese Restaurants Steuern und schaffen Arbeitsplätze. 

    Sollte die Mehrwertsteuer am 1. Januar gesenkt werden, feiern die Gastronomen dann ein großes Fest?

    Inselkammer: Nein! Das würde den falschen Eindruck vermitteln, der Gastronomie gehe es ohnehin schon gut und jetzt bekomme sie obendrauf noch ein dickes Geschenk. Die Wahrheit ist vielmehr: Viele Wirtinnen und Wirte halten dieses Jahr überhaupt noch durch, weil sie davon ausgehen, dass am 1. Januar die Mehrwertsteuer gesenkt wird und sie wieder Geld in Investitionen und Beschäftigte stecken wollen. Das wollen 74 Prozent unserer Mitglieds-Unternehmen machen, haben sie in einer Umfrage unseres Verbandes angegeben. In einer anderen Umfrage haben 84 Prozent der Betriebe eingeräumt, dass sie nicht mehr investieren können, weil ihnen kein Geld übrig bleibt. 

    Angela Inselkammer argumentiert leidenschaftlich, als sie mit der Kritik von Ifo-Präsident Clemens Fuest an der geplanten Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie konfrontiert wird.
    Angela Inselkammer argumentiert leidenschaftlich, als sie mit der Kritik von Ifo-Präsident Clemens Fuest an der geplanten Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie konfrontiert wird. Foto: Ulrich Wagner

    Reicht die Mehrwertsteuer-Senkung, um die Gastro-Krise zumindest einzudämmen?

    Inselkammer: Ja, definitiv. Auch wenn es sicherlich weiterer Reformen bedarf. Die Politik muss die Branche von bürokratischen Vorschriften befreien und sie muss das Regelwerk für die Wochenarbeitszeit, wie versprochen, lockern. Es muss möglich sein, flexibler zu arbeiten. Und wenn Beschäftigte nur zwei Tage die Woche in einem Gasthof tätig sind, muss es ihnen gestattet sein, je zwölf Stunden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu arbeiten, weil sie das wollen, wenn sie für die beiden Tage eine Betreuung für ihre Kinder haben. Eine solche Lockerung wäre nur gerecht gegenüber Menschen, die im Homeoffice arbeiten und sich ihre Zeit oft frei einteilen können. Die Wochenarbeitszeit-Regelung kommt hoffentlich auch am 1. Januar. Darauf setzen die Gastronomen.

    Hier haben Sie Söder wieder als Verbündeten.

    Inselkammer: Ja, und es steht so auch im Koalitionsvertrag, denn es hilft nicht nur unserer Branche, sondern der gesamten Wirtschaft.

    Doch der Mindestlohn steigt auf Druck der SPD weiter.

    Inselkammer: Was unsere Betriebe belastet. Das macht mich wirklich grantig.

    Warum macht sie das grantig? Der Mindestlohn wird von 12,82 auf 13,90 und dann auf 14,60 Euro nach oben gehen. Das müssen Gastronomie-Betriebe doch ohnehin aufbringen, wenn sie rare Arbeitskräfte anlocken wollen.

    Inselkammer: Wir können jedem Talent eine Heimat bieten. Damit meine ich auch Menschen, die keine Ausbildung haben, oder diese abgebrochen haben. Solche Beschäftigten starten ihre Karriere mit Hilfsarbeiten und arbeiten sich nach oben. Manche holen die Ausbildung nach und schaffen es bis zum Restaurant-Leiter. Es ist fatal, wenn wir mit diesen Mindestlöhnen die Einstiegs-Barrieren für solche Menschen zu hoch ansetzen. Es muss auch für die Betriebe alles wirtschaftlich darstellbar sein.

    Apropos Geld: Wird ab 1. Januar, wenn die Mehrwertsteuer gesunken ist, der Restaurantbesuch um einige Euro günstiger?

    Inselkammer: Ich wünsche mir, dass jeder Wirt sein Essen kalkuliert. Nur so kann er erfolgreich wirtschaften. Wir schauen uns in unserem Bräustüberl in Aying immer die Preise ähnlicher Betriebe an. Die Gäste müssen die Preise eines Wirts akzeptieren. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent verschafft uns die Möglichkeit, uns wieder in Preisregionen aufzuhalten, wo wir und unsere Gäste sich wohlfühlen.

    Die Gäste fühlen sich sicher wohler, wenn die Preise sinken. Wird Essengehen endlich günstiger?

    Inselkammer: Ich kann das schlecht für alle Wirte sagen. Manche haben die Preise erhöht, andere zögern noch und halten durch. Wirte, die ihre Preise erhöht haben, mögen sie vielleicht wieder etwas senken. Das muss jeder Wirt selbst entscheiden. Wir haben Ende 2024 eine Umfrage bei über 4000 Betrieben gemacht und gefragt, was sie tun, wenn die Mehrwertsteuer gesenkt wird. Die Antworten sind sehr aufschlussreich: Es geht um wirtschaftliche Stabilisierung, Modernisierung und Mitarbeiter. Über zwei Drittel aller Betriebe in der Umfrage arbeiten kurz- und mittelfristig an Preissenkungen. Diese müssen aber auch möglich sein.  

    Bayerns Wirte-Chefin Inselkammer versteht nicht, was die Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch gegen McDonald‘s hat.
    Bayerns Wirte-Chefin Inselkammer versteht nicht, was die Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch gegen McDonald‘s hat. Foto: Ulrich Wagner

    Doch manche Wirte verlangen stolze Preise. In einem Gasthaus am Münchner Viktualienmarkt etwa kostet eine halbe Bier 6,70 Euro und ein Wurstsalat 17,90 Euro. Haben einige Wirte das Rad überdreht und schaden der Gastronomie?

    Inselkammer: Noch einmal: Wenn die Gäste solche Preise nicht akzeptieren, kann sich ein Wirt das nicht leisten. In diesem Fall scheinen die Gäste das zu akzeptieren. Ich kenne aber viele Gastronomen, welche die Preise weit unter ihren Notwendigkeiten ansetzen. Sie verlangen zu wenig. 

    Manche Gäste protestieren auf ihre Weise gegen zu hohe Preise in der Gastronomie. Sie lassen die Vorspeise weg, essen Fleischpflanzerl statt früher ein Schnitzel oder einen Zwiebelrostbraten und gönnen sich nur ein Bier.

    Inselkammer:  Da muss sich eine Wirtin oder ein Wirt überlegen: Will ich diese Reaktion meiner Gäste oder setze ich die Preise etwas runter, auch wenn sie nicht sauber kalkuliert sind? Dann trinkt der Gast womöglich wieder zwei statt einer Halben. 

    So machen Sie das in ihrem Bräustüberl in Aying, wo die Halbe 3,50 Euro und der Wurstsalat 9,20 Euro kostet. Geht doch. Warum langen andere Wirte so kräftig zu?

    Angela Inselkammer verrät, wann Gäste wieder zwei statt einer Halben trinken.
    Angela Inselkammer verrät, wann Gäste wieder zwei statt einer Halben trinken. Foto: Ulrich Wagner

    Inselkammer: Bei uns funktioniert das gut. Aber wir haben auch über 100.000 Gäste im Jahr. Viele bestellen dann doch ein zweites Getränk. Mancher Wirt nimmt uns diese Preise übel. Mein Sohn leitet die Ayinger Brauerei. Er sagt immer: Mama, wir müssen die Preise so gestalten, dass die Gäste sich freuen, unser Bier zu trinken. Die Gäste müssen eine Freude haben, eine zweite Halbe oder noch einen weiteren Schoppen Wein zu trinken und nicht auf die Idee kommen, sich zu zweit ein Glas zu teilen. Essen und Trinken darf kein Luxus werden. Bei Preisen wie in unserem Bräustüberl ist der Wirt darauf angewiesen, dass der Platz vier bis fünf Mal am Tag neu besetzt wird. Sonst funktionieren solche Preise nicht.  

    Der ein oder andere wird sich Ende dieses Jahres sicher Speisekarten genau anschauen und die Preise vergleichen, wenn Anfang 2026 die Mehrwertsteuer sinkt. Wenn Wirte das Essen dann nicht etwas günstiger anbieten, könnten sie Kritik auf sich ziehen.

    Inselkammer: Die Menschen sollten sich lieber überlegen, wo es noch Wirtshäuser gibt und wo sie finanziell auf der Kippe stehen. Es geht nicht um das Vergleichen von Speisekarten, sondern um die Existenzfrage, ob Gastronomie-Betriebe dank der Mehrwertsteuer-Senkung weiter bestehen können. Wir müssen unsere familiengeführten Dorfwirtshäuser mit aller Macht am Leben erhalten. 

    Diese Wirtshäuser haben große Probleme, Arbeitskräfte zu bekommen. Was muss ein Gastronom in der Region hinlegen, um eine gute Köchin oder einen guten Koch für sich zu gewinnen?

    Inselkammer: Mindestens rund 3500 Euro – und das netto. Wir bezahlen gut in unserer Branche. Wenn ich sehe, wie viel mein Enkel in einer Unternehmensberatung verdient und wie lange er dafür arbeiten muss, kann die Gastronomie mithalten. Wer fleißig ist, verdient bei uns gutes Geld. 

    Die Arbeitszeiten in der Gastronomie werden zum Teil angenehmer für Mitarbeitende.

    Inselkammer: Restaurants öffnen zunehmend nur noch fünf, wenn nicht gar vier Tage die Woche. In letzterem Fall könnten künftig bei einer wöchentlichen Betrachtung der Arbeitszeit Beschäftigte dann drei Tage pro Woche frei haben, wenn sie an vier Tagen etwa rund 40 Stunden arbeiten. Jetzt bräuchten wir nur noch deutlich mehr Fachkräfte aus dem Ausland.

    Doch Visa werden immer wieder nur nach einem langen bürokratischen Hin und Her erteilt.

    Inselkammer: Das ist unglaublich. Wir werfen in Deutschland alles in einen Topf, nämlich Flüchtlinge und Menschen, die bei uns arbeiten wollen. Wir müssen es Menschen aus dem Ausland viel leichter machen, in Deutschland arbeiten zu können. Bislang müssen Interessenten nachweisen, welche Ausbildung sie haben, inwiefern sie die Lehre fertiggemacht haben und ob diese mit unserer vereinbar ist. Das sind zu hohe Hürden. Am Ende müssen die potenziellen Arbeitskräfte noch ein Visum beantragen, was noch einmal viel Zeit verschlingt. 

    Muss die Politik rasch handeln?

    Inselkammer: Wenn ich in der Regierung säße, würde ich die Verantwortung für Mitarbeiter aus dem Ausland auf die Schultern der Unternehmer laden. Die Gastronomen müssten sich dann darum kümmern, dass die Beschäftigten aus dem Ausland ausreichend verdienen und eine Wohnung bekommen. Wenn das alles nicht mehr gewährleistet ist und Mitarbeitende keinen anderen Arbeitgeber in Deutschland finden, müssen sie wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. In den 60er-Jahren hat das mit den vielen Gastarbeitern gut funktioniert. 

    Suchen Sie auch Fachkräfte aus dem Ausland?

    Inselkammer: Ich würde gerne mehr Frauen und Männer aus dem Kosovo einstellen. Die können alles und sind super, haben aber in der Regel keine vergleichbare, in Deutschland eingeforderte Ausbildung. Ich habe große Probleme, solche Kräfte aus dem Kosovo zu mir nach Aying zu holen. Wenn ich einen Antrag stelle, heißt es immer, das Kontingent für Arbeitskräfte aus dem Kosovo sei schon erfüllt. Mehr gehe nicht.

    Angela Inselkammer würde gerne mehr Arbeitskräfte aus dem Kosovo einstellen. Doch sie stößt in Deutschland auf Widerstand.
    Angela Inselkammer würde gerne mehr Arbeitskräfte aus dem Kosovo einstellen. Doch sie stößt in Deutschland auf Widerstand. Foto: Ulrich Wagner

    Dabei ist der Arbeitskräftebedarf immens.

    Inselkammer: In der Gastronomie benötigen wir sechsmal so viele Menschen, um den gleichen Umsatz wie im Einzelhandel zu erzielen. Wir brauchen viele Menschen, die für Menschen arbeiten. Dazu brauchen wir dringend Mitarbeiter aus dem Ausland. Bei uns in Aying arbeiten Menschen aus über 20 Ländern. Das ist eine Bereicherung. Wir könnten als Ayinger Brauerei zehn Wirtshäuser neu starten, wenn wir ausreichend Arbeitskräfte hätten. Doch wir finden keine Wirte mehr. 

    Irgendwer muss das Bier ausschenken und Schnitzel braten.

    Inselkammer: So ist es. Doch selbst wenn es uns gelingt, dringend benötigte Kräfte aus Nicht-EU-Ländern zu uns zu lotsen, brauchen wir bezahlbare Unterkünfte für sie. Immer wieder wende ich mich in der Sache an die politisch Verantwortlichen und fordere: Wenn Unternehmer Wohnungen für Arbeitskräfte bauen lassen, sollten sie eine finanzielle Förderung bekommen, etwa durch eine schnellere Abschreibung. Gastronomen und Hoteliers haben oft noch Grundstücke. Sie bauen schnell und günstig. Dadurch würden in Deutschland hunderttausende Wohnungen frei, wenn Beschäftigte in unserer Branche in Firmen-Unterkünfte umziehen könnten. 

    Wollen Sie in Aying zusätzliche Wohnungen bauen?

    Inselkammer: Die Pläne dafür sind fertig. Ich würde gerne 32 Mitarbeiter-Appartements bauen. Doch das kostet mich über vier Millionen Euro. Das kann ich nicht finanzieren. In Österreich läuft das besser: Dort wird der Bau von Mitarbeiter-Unterkünften finanziell in vieler Hinsicht gefördert. Und wir sollten in Deutschland die Bau-Normen um rund ein Drittel runterschrauben. Dann könnten wir wesentlich günstiger bauen. 

    Bekommen Sie noch ausreichend Fachkräfte oder müssen Sie – wie zum Teil in der Branche – Prämien von bis zu 1500 Euro für die Vermittlung eines Mitarbeitenden zahlen und zusätzlich 2000 Euro rausrücken, wenn die Kraft länger als ein halbes Jahr bleibt?

    Inselkammer: Es ist unglaublich, was in dem Sektor alles passiert. Ich setze auf eine Mitarbeiter-Kultur, also darauf, dass meine Beschäftigten es Bekannten empfehlen, bei uns zu arbeiten. Bei uns würde ein Mitarbeiter 200 Euro bekommen, wenn er eine neue Kraft zu uns holt. Bei uns hat das aber noch keiner in Anspruch genommen. Das spricht für unsere Mitarbeiter-Kultur. Zu einem coolen Arbeitgeber kommen Menschen von allein. 

    Und ein cooler Wirt sollte digital auf allen Kanälen vertreten sein. 

    Inselkammer: Das ist eine Überlebensfrage für Gastronomen. Sie müssen sich auf die Digitalisierung einlassen und ihre Daten für die KI zur Verfügung stellen. Dabei helfen wir ihnen als Verband. Die Wirte brauchen eine Webseite. Die Künstliche Intelligenz muss in der Lage sein, Wirtschaften zu finden. Sonst können Gastronomen nicht überleben. Menschen fragen heute ChatGPT, wo man auf ihrer Fahrstrecke gut essen kann. So finden viele Menschen heute das passende Wirtshaus. 

    Angela Inselkammer, 66, ist Geschäftsführerin des Brauereigasthofs Hotel Aying, einem Unternehmen mit rund 200 Beschäftigten einschließlich des Bräustüberls und der gleichnamigen Brauerei. Ihr Mann Franz Inselkammer, Senior-Chef des Unternehmens, starb im September 2024 mit 88 Jahren. Nach ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau und der Mitarbeit im familieneigenen Brauereigasthof übernahm Angela Inselkammer 1994 die Leitung des Unternehmens. Ihre Karriere beim Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Bayern begann die Unternehmerin als stellvertretende Vorsitzende des Berufsbildungsausschusses. Von 2010 bis 2016 war sie erste Vizepräsidentin des Verbands, bevor sie 2016 zu dessen Präsidentin gewählt wurde – ein Amt, das Angela Inselkammer bis heute ausübt. Sie trete in diesem Jahr für eine weitere und damit vierte Amtszeit an, verriet die Gastronomin unserer Redaktion. Damit würde Angela Inselkammer die Organisation drei weitere Jahre leiten. Im vergangenen Jahr wurde die Frau aus Oberbayern auch zur Vize-Präsidentin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes gewählt. 

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