Zur Früherkennung kommender Corona-Varianten hält der Münchner Virologe Oliver Keppler ein Frühwarn-Monitoring in Deutschland für sinnvoll und ausreichend. Nicht sinnvoll ist aus Sicht des Wissenschaftlers dagegen eine Corona-Testpflicht an Flughäfen, wie sie jüngst für Einreisende aus China beschlossen wurde. "Das kann man machen, hilft aber nix; das geht eher in Richtung Aktionismus", sagte der Chef des Max von Pettenkofer-Instituts in München der Deutschen Presse-Agentur. "Ob eine neue Variante für die Immunität der deutschen Bevölkerung relevant sein wird, können wir nur mit einem mehrstufigen Monitoring-System erkennen."
Bayern Vorreiter bei Entwicklung von Corona-Frühwarnsystem
Das von dem Virologen empfohlene System hat drei Bestandteile: Laboranalysen der Patientenabstriche in Universitätskliniken, das Monitoring von Atemwegsinfekten in Arztpraxen und Abwasseruntersuchungen. "Diese Art von Frühwarnsystem hat in Deutschland bisher Bayern am intensivsten eingeführt", sagte der Leiter der Virologie an der Münchner Ludwig Maximilians-Universität. "Der erste Arm ist, bei allen Patienten, die in Universitätskliniken kommen, Abstriche zu nehmen. So können wir abschätzen, wie viele Sars-CoV-2-Infektionen wir haben und welche Varianten zu einem Zeitpunkt zirkulieren."
Der zweite Arm ist nach Worten des Mediziners die sogenannte syndromische Überwachung. "Deutschlandweit nehmen etwa 500 Praxen bei Patienten mit Atemwegsinfekten Abstriche und schicken diese an die Landesgesundheitsbehörden", sagte Keppler. "Dann wissen wir, welcher Anteil auf Influenzaviren, RSV, Sars-CoV-2 oder andere Infektionserreger auf dieses Krankheitsbild entfällt."
Abwasseruntersuchungen zur Infektionsüberwachung
Der dritte Arm des Frühwarnsystems ist das Abwassermonitoring. "Der Erreger stirbt im Abwasser zwar schnell ab, aber es bleibt genug Erbinformation übrig, um das Virus und seine Varianten zu analysieren", sagte Keppler. "Mit diesen drei komplementären Stufen der Infektionsüberwachung können wir rasch erkennen, ob es eine für unser Gesundheitssystem relevante Erreger-Entwicklung gibt, und dann angemessen reagieren."
Die Corona-Testpflicht für Einreisende aus China hingegen ist nach Kepplers Einschätzung überflüssig. "Wir haben weltweit immer noch viele Infektionen, in Deutschland würde ich schätzen 50.000 am Tag", sagte Kepler. "Wenn da jeden Tag tausend Menschen aus China einreisen, fällt das bezüglich der Infektionslast ja überhaupt nicht ins Gewicht."
Virologe: Neue Mutation aus China unwahrscheinlich
Manche seien besorgt, dass in China eine besonders gefährliche Variante entstehen könnte, weil das Land aktuell mit einer enormen Infektionswelle kämpfe. "Das trägt aber nicht einem wichtigen virologisch-immunologischen Aspekt Rechnung: Die chinesische Bevölkerung hat nach allem, was wir wissen, eine deutlich schlechtere Immunitätslage für diesen Erreger als wir."
Das Virus habe daher kaum Evolutionsdruck. "Respiratorische Viren müssen sich immer dann besonders anpassen, wenn der Wirt durch Impfung oder Infektion bereits einen immunologischen Schutzwall aufgebaut hat", sagte Keppler. "Diesen Anpassungsdruck hat der Covid-19-Erreger in China nicht in besonders hohem Maße."
Aber das liegt nicht an einer neuen Variante des Erregers sondern daran, dass die Immunität gerade auch in der älteren Bevölkerung niedrig ist." Dass gerade dort eine für Deutschland und Europa gefährliche Variante des Virus entstehen könnte, ist nach Kepplers Einschätzung eine Möglichkeit "eher theoretischer Natur".
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