Herr Gansert, Sie sind seit über 20 Jahren im Rahmen der Knaxiade in schwäbischen Kindergärten unterwegs und bringen Bewegungsspaß zu den Kindern. Sind die Kids von heute denn alle Sport- und Berwegungsmuffel?
Gansert: Nein. Aber die Kinder werden immer bewegungsärmer und motorisch schwäscher. Dafür können sie selbst meist gar nichts! Dennoch ist das Niveau teils wesentlich schwächer als früher, gerade im turnerischen Bereich.

Was sehen Sie als Ursache?
Gansert: Wir Erwachsene müssen darauf achten, dass Kinder ihren natürlichen Bewegungsdrang ausleben können. Kinder brauchen Platz zum Toben! In der Stadt geht das leider nicht so leicht wie auf dem Land. Umso mehr müssen wir auf ein vielvältiges Angebot achten. Wer Kinder zu früh an Fernseher, Smartphone und Faulenzen gewöhnt, schadet ihrer Entwicklung.
Weshalb?
Gansert: Bewegung gehört zwingend zu einer gesunden Entwicklung. Studien haben gezeigt, dass sich durch Sport- und Bewegungsspiele Motorik und Koordination erheblich verbessern. Dadurch sinken im Kindergarten beispielsweise die Zahl der Unfälle. Kinder, die ihren Körper einschätzen können, agieren wesentlich geschickter. Außerdem verbessert sich das Sozialverhalten von Kindern, wenn sie gemeinsam sportliche Herausforderungen meistern. Sie helfen sich untereinander, achten stärker auf den jeweils anderen.
Mit anderen Worten: Es lebe der Sport?
Gansert: Eindeutig ja. Ich würde mir wünschen, dass das noch viel mehr Eltern erkennen und mir ihren Kindern bewusst Spielen und Toben. Aber das ist längst nicht selbstverständlich. Ein Negativ-Beispiel: Im Urlaub in Italien habe ich kürzlich ein Ehepaar beobachtet, das den ganzen Tag über ins Handy starrte - anstatt sich mit den Kindern zu beschäftigen. Wie sollen's die Kinder da denn lernen?

An manchen Dingen können aber auch Eltern nichts ändern. Zum Beispiel viel befahrene Straßen auf dem Weg zur Schule...
Gansert: Das ist richtig. Ich kann verstehen, dass Eltern ihr Kind aus einer gewissen Sorge heraus lieber mit dem Auto zum Kindergarten oder zur Schule fahren. Aber oft ist auch Bequemlichkeit mit im Spiel. In der Summe führt das dazu, dass viele Kinder nicht mehr ausreichend laufen. Man kann ja beispielsweise auch sein Kind zu Fuß begleiten statt jeden Kilometer mit dem Auto zurückzulegen.
Reinhard Gansert (61) ist seit 1994 Projektleiter der Knaxiade. Diese "Olympiade ohne Wettkampfcharakter" entwickelte sich aus einer Idee des Turnbezirks Schwaben, der damit der Bewegungsarmut von Kindern schon im Kindergartenalter entgegensteuern wollte. Verschiedene Bewegungsspiele stehen auf dem Programm, wenn die Knaxiade an einem Kindergarten Station macht. Alle Kinder, die mitmachen, erhalten eine Urkunde und eine Medaille von der betreuenden Sparkasse. Motto: "Bewegung macht Spaß." Familienvater Gansert hat zwei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Worauf sollten Eltern also achten?
Gansert: Sie sollten die Freizeit aktiv mit den Kindern gestalten. Gemeinsam draußen zu spielen und zu toben, ist für alle eine Bereicherung. Ganz toll ist beispielswseise auch das Mutter/Vater-Kind-Turnen. Überhaupt halte ich viel vom Turnen: Es ist die "Kinderstube" des Sports.
Wie verhalte ich mich, wenn mein Kind zum Beispiel beim Balancieren sehr ängstlich ist?
Gansert: In so einem Fall ist es richtig, dem Kind zu helfen, damit es die Herausforderung besteht und dadurch Spaß und Selbstvertrauen bekommt. Ich würde allerdings davon abraten, von vornherein immer Hilfe zu geben. Ein Kind will und muss lernen, was es kann. Wir Erwachsenen sollten ihm diesen Freiraum gewähren und es nicht in Watte packen, was leider auch oft passiert.
Ab wann macht es Sinn, dass sich Kinder auf eine Sportart konzentrieren?
Gansert: Ich rate dazu, nicht zu früh damit zu beginnen, sondern mindestens bis zum Alter von zehn Jahren zu warten.