Es gibt Redakteure, die sind wie alte Jungfern bei der Geburtstagsfeier. Erst sagen sie "ach nee, danke, für mich nicht". Dann überredet man sie zum ersten Tropfen – und eine Stunde später ist die ganze Flasche Erdbeerschaumwein leer. So ist das auch bei meinen Kollegen und dem Fasching. Der einzige, der völlig begeistert ist, dass wir uns an diesem Nachmittag verkleiden, ist der Kollege aus dem Sport. Denn er hat frei und wir Arbeit.
Der Chef sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Eigentlich. Seine Töchter lieben es, sich als Eiskönigin zu verkleiden. Er nicht. Schade. Na denn. Welcher andere knallharte Nachrichtenhund ist bereit, sich öffentlich lächerlich zu machen?
Den ganz großen Preis zieht in diesem Fasching, wer als Einhorn geht. Das liegt mega im Trend. Ehrlich, im Internet liefert das 395 000 Treffer. Also, wer hat das Zeug zum magischen Fabelwesen? Die Damen im süßen Kostüm, die Herren im Helden-Outfit? Also bitte, das war vielleicht früher so. Heutzutage darf Frau auch mal düster und Mann auch mal niedlich sein. Niedlich wie ein Einhorn. Man muss den Männern nur gut zureden.
So offenbart Kollege Ulrich Weigel, dass er eine blonde Perücke besitzt. Eine Mittagspause später sitzt die auf seinem Kopf, gespickt mit bunten Haarsträhnen aus dem Billigladen. Seine Stirn ziert ein Einhorn, das kurz zuvor noch ein gerolltes Papier und Alufolie war. Über sein Gesicht verläuft ein Regenbogen. Und das Haupt ziert die kitschigste aller Plüsch-Kronen. Uli das Einhorn lässt jedes Fillypferd vor Neid erblassen.
Kollege Werner Kempf will eine lokale "Me-Too-Selbsthilfegruppe" für gemobbte Faschings-Verweigerer gründen und droht, die Kaffeemaschine zu zerstören, falls wir auch ihn verkleiden möchten.

Der Franz, der kann’s von ganz allein. Bei den Kommentaren langt er schon mal zu. An der Spielzeuggitarre auch. Mit Vokuhila-Perücke, Spiegelbrille und Netzhemd wird Franz Summerer, stellvertretender Leiter der Lokalredaktion, zum Rockstar. Kein Problem für ihn, schließlich steht er privat als Laienschauspieler auf der Bühne. Und da er völlig freiwillig mitmacht, bekommt er das beste Kostüm. Franz schrubbt an seiner Spielzeuggitarre alles von Deep Purple bis Led Zeppelin. Doch er ist enttäuscht. Gar keine Schminke. Das bricht sein Schauspielerherz. Franz, alter Haudegen, wir merken uns das für’s nächste Jahr.
Leichtsinnige Offenbarung
Junge Kollegen haben bei Faschingsaktionen traditionell keine Wahl. Erst recht nicht, wenn sie mit der Showtanzgruppe jahrelang jeden Ball beglückten. Liebe Stefanie Dürr, es war sehr leichtsinnig, uns das zu verraten. Die meisten hätten das schamlos ausgenutzt und unsere Volontärin, die eigentlich gar keinen Fasching mag, im Zuge der Ausbildung für diese Geschichte zwangsrekrutiert.
Aber wir doch nicht. Sie hatte theoretisch die Möglichkeit, sich zu weigern. Aber sie hat sie nicht genutzt. Was vielleicht am Kostüm lag. Unsere Jüngste bekam das elegante Barockkostüm. So schlüpft sie in ein besticktes Chiffonshirt und bindet sich einen Gürtel um, an den haufenweise grüne und blaue Mülltüten aufgefädelt sind und einen bauschigen Rock bilden.

Die langen Haare werden mit Haarklammern nach oben gesteckt, eine gekaufte Maske tut ihr Übriges. Steffi schreitet im Konferenzraum majestätisch auf und ab.
Agnes Hierl reckt dort eine Stunde später den Mittelfinger beherzt in die Luft. Rein dienstlich, versteht sich. Sie ist die Einzige, dir vorher genau weiß, wie sie verkleidet wird. Da mehrere Kollegen frei haben, bleiben nur Agnes, Werner und Michael fürs große Finale übrig.
Eine E-Mail entscheidet. Wer macht uns den Paul Stanley? Wer streckt als Sänger der Kultband Kiss die Zunge aus dem bemalten Gesicht? Agnes war Manns genug. Mit Theaterschminke, Perücke, Hundehalsband und schwarzen Klamotten wird sie zum Schocker.
Lesen Sie nächstes Jahr im Fasching, was die Oberallgäuer "Me-Too-Selbsthilfegruppe" von unserem Kaffeekonsum hält, warum Sportkollege Ronald Maior seinen Jahresurlaub schon im Februar verbrät und wie sich Michael Mang als Eiskönigin macht.