Er nimmt Platz auf dem zerschlissenen Ledersessel. Der freundliche, junge Mann aus der Kinder-Rateshow „Dingsda“ und der Radiosendung „Pop nach 8“ ist zu einem nicht minder freundlichen älteren Herrn geworden, einem profunden Kenner der Rock-, Pop- und vor allem der schwarzen Soulszene.
Er, Fritz Egner, hatte sie alle vor dem Mikrofon: Stevie Wonder, Madonna, Keith Richards. Dem respektvollen wie charmanten Fragesteller öffneten sich die Stars in besonderer Weise. Seine Einblicke in die Branche teilte die Moderatoren-Legende beim Allgäuer Literaturfestival im brechend vollen Bahnhof Waltenhofen-Oberdorf (Oberallgäu) mit knapp 100 Musikfans. Dabei sparte er nicht mit Kritik am Musikgeschäft.

Die Initialzündung war ein Konzert mit James Brown im New Yorker Apollo-Theater, in das Egner - er war damals 18 - eher zufällig reinschlitterte. Was er da erlebte, ließ ihn nicht mehr los und zum Missionar für die schwarze Musik werden. Egner fährt einen Video-Schnipsel ab mit einem wild schreienden, spurtenden, in den Spagat fallenden und zugleich mit dem Mikrofon jonglierenden Brown. Einer Rhythmus-Maschine. Was treibt einen Musiker zu solchen Höchstleistungen? Tina Turner hätte es einmal so formuliert: „Wir haben ums Überleben gesungen.“ Welche Wahl hatten schwarze US-Musiker in Zeiten von Armut und Rassendiskriminierung?
Eine Umarmung von der verschwitzten Diana Ross
Egners Highlights sind seine Garderoben-Storys. Diana Ross bat ihn direkt nach einem Konzert zum Interview in ihre Gemächer. Schicht für Schicht legte sie ihre Bühnenklamotten ab und so langsam, gestand Egner, gingen ihm dabei die Fragen aus. Am Ende ergatterte er eine Tonaufnahme für seine Sendung „Fritz und Hits“ und eine innige Umarmung von der verschwitzten Diana Ross im hautengen Body. Und immer wieder James Brown, bei dem Egner in London an die Garderobentür klopfte. Er trat ein und glaubte, die Bügelhilfe säße vor ihm - mit Lockenwicklern und ohne Zähne. Jetzt wurde ihm klar, warum der Manager ihm zuvor nach Kleber für Browns Gebiss fragte. Fürs Fansein könne das ganz schön desillusionierend sein.
Seine Interviews, betont Egner, führte er stets in eigener Regie und ohne Auftrag seines Arbeitgebers, dem Bayerischen Rundfunk. Um dabei die Kontrolle und die Rechte an den Antworten behalten - und sie zu verwerten. Zum Beispiel in seinem Buch „Mein Leben zwischen Rhythm and Blues“, aus dem er kurz vorliest. Schnell legt er es beiseite und widmet sich einem lebendigen Gespräch mit dem unaufdringlichen Fragesteller Dr. Thomas Kraft, dem Initiator des Literaturfestivals. Mit 67 Jahren ist der Interviewer und Zeitzeuge Egner heute selbst der Interviewte.
Es ist ein kontrolliertes Geschäft geworden, dem die Leidenschaft fehlt.Fritz Egner über die heutigen Format-Radiosender
Enttäuscht zeigt sich Egner vom formatierten Radio mit seinen aufgesetzten Witzen wie von der Musik der Gegenwart: „Es ist ein kontrolliertes Geschäft geworden, dem die Leidenschaft fehlt.“
Egner bedauert: Unangepasste Charaktere sterben aus
Ein Ray Charles oder ein B.B. King würden heute nicht mehr groß rauskommen, solche unangepassten Charaktere seien nicht mehr vermarktbar. „Jede Sängerin bringt gleich ihr eigenes Parfüm, ihre Fashion Line, Schuhe heraus.“ Viel Geld zu verdienen auf schnelle Art und Weise verhindere aber oft die Kreativität. Dem könne man sich entziehen, indem man sich selbst im Internet vermarktet. Aber auch das sei schwer, da gäbe es viele gute Talente und es verlaufe sich.
Fast dankbar blickt Egner zurück: „Wir waren konkurrenzlos, man hat uns eine Insel gegeben mit unserer seltsamen Musik.“ Er legte im Radio nicht auf, was er musste, sondern was ihm auch selbst gefiel. Das tut Egner heute noch ab und zu - wie zuletzt am Vatertag im BR mit Kumpel Thomas Gottschalk.
Das Allgäuer Literaturfestival läuft noch bis 3. Juni.
Termine: Leonard-Cohen-Abend mit Gert Heidenreich und anderen im Ottobeurer Kunerth-Museum (31. Mai, 19.30 Uhr); Ursula Poznanski (1. Juni, 19 Uhr, Gymnasium Buchloe), Willi Winkler (2. Juni, 18.30 Uhr, St. Martin in Memmingen), Isabel Bogdan (3. Juni, 19 Uhr, Post in Irsee)