Draußen schwindet das Tageslicht, drinnen die Lebenszeit. Als es in Memmingen Nacht wird, vollstreckt in der Martinskirche der Tod seinen Auftrag. Mit einem letzten, durchdringenden Schrei vertraut sich Jedermann der Gnade Gottes an und alles Licht erlischt. Dann ist da im mächtigen Kirchenschiff nichts mehr als der hohe glasklare Gesang einer Frauenstimme und der Schein einer einzelnen Kerze. Bis auch sie ausgeht.
Mit einem starken Schlussakzent und lang anhaltendem Beifall endet nach etwa zwei Stunden die Inszenierung des Jedermann der Theatergruppe im Fischertagsverein unter Regie von Ralf Weikinger. Uraufgeführt wurde das Werk von Hugo von Hofmannsthal in der schwäbischen Fassung von Hermann Pfeifer am 18. April 1991 in der Memminger Frauenkirche, weitere Aufführungen folgten 1992, 1994 und zuletzt 1998. Nach 20 Jahren wagte sich die Theatergruppe nun wieder an das Großprojekt heran.
Wie intensiv rund 60 Mitwirkende seit Monaten darauf hingearbeitet und -geprobt haben, zeigt sich an diesem Abend: Den rund 30 Darstellern ist kaum anzumerken, dass sie das Stück erstmals spielen.

In der Rolle der Hauptfigur überzeugt vor 250 Zuschauern Holger Hoffmann: Fast ununterbrochen ist er auf der Bühne präsent - auf dem Weg des reichen Mannes vom selbstherrlichen, ausschweifenden Leben über die albtraumhafte Erkenntnis des bevorstehenden Todes bis hin zu Reue und Umkehr. Über all diese Stationen und Extreme hinweg gelingt es ihm, glaubwürdig zu bleiben: Anfangs als ebenso selbstgefällig wie selbstgerecht einherstolzierender Anzugträger. Später dann als einer, der mal haareraufend und hilflos, mal herrisch sein Los abzuwenden versucht.
Dumpfes Lärmen, Rauschen und melancholische Klänge
Doch es führt kein Weg zurück in die Wohlfühlzone. Das wird schnell klar: Aus scheinbar jedem Winkel der Kirche hallen unheimliche Rufe und während der prunkvollen Tischgesellschaft sorgen Tanzeinlagen der Gruppe von Birgit Reuter für wachsende Beklemmung. Denn diese Festgäste zeigen alles andere als einen fröhlichen Reigen. Dumpfes Lärmen, Rauschen und melancholische Klänge durchziehen die Musik, die Tänzer winden sich mit verzerrten Gesichtern, bewegen sich immer wieder ruckartig und hektisch. Damit lässt die Inszenierung dem Zuschauer die aufkeimende Unruhe und Angst im Inneren Jedermanns gewissermaßen vor Augen treten.
Die verschiedenen Tonlagen des Stücks bringen auch die musikalischen Beiträge zum Schwingen: Zu Beginn erfüllen etwa Fanfarenklänge und majestätisches Orgelspiel die Kirche und stimmen auf die existenzielle Tragweite des Themas ein, während sich später die Hoffnung auf Erlösung in Gesängen des Engelsterzetts und einer Solistin ankündigt. Einzelnen Auftritten verleiht beispielsweise der Einsatz von Schlaginstrumenten Nachdruck und Pathos - wobei ein zusätzlicher Paukenschlag teils gar nicht nötig ist.
Mundart als Sprache von Vertrautheit und Nähe
Denn wie Holger Hoffmann gelingt es vielen Darstellern auf beeindruckende Weise, den Text Hofmannsthals und die schwäbische Sprache Pfeifers zu verinnerlichen und etwas Authentisches daraus zu entwickeln. Durch die Mundart als Sprache von Vertrautheit und Nähe gewinnt das Geschehen etwas Emotionales, Unmittelbares. Eine Entscheidung, die sich bewährt: Bei Darstellern, die keine Mundartsprecher sind, griffen Weikinger und die Gruppe auf den Originaltext zurück, um gekünstelten Dialekt zu vermeiden.
Und die Theatergruppe beweist auch, dass in Pfeifers Fassung viel Humor steckt: etwa, wenn Jedermann sich augenrollend über „des saudomm Gschwätz“ seiner Mutter ärgert, die ihn warnt und zu Besserung mahnt. Oder wenn sein „Schätzle“, die Buhlschaft, dem bizarr agierenden Jedermann bescheinigt, er sei „it bacha heit“.
Diese Situationskomik bringt zwischendurch immer wieder die Leichtigkeit zurück. Ein Beispiel: Den predigtartigen Reden des Glaubens folgt als wohltuender Gegenpart ein Veitstanz des Teufels - übrigens in klassischer Variante: mit rotem Ganzkörperanzug samt Schwanz, Hörnern und Hufen. Er wütet, weil er sich der Seele Jedermanns sicher wähnte. Als er den „Brack“ im langen, weißen Hemd gen Erlösung schreiten sieht, entfährt es ihm: „Ja goht’s no?!“
Die allegorischen Figuren ausgenommen, kommt der Jedermann 2018 mit zurückgenommenen, modernen Kostümen aus. Eine wirkungsvolle Kulisse hat er mit der Martinskirche allemal.
Weitere Vorstellungen unter anderem am Samstag, 30. Juni, am 1.,4.,5.,6. und 7. Juli, jeweils ab 20.30 Uhr in der Martinskirche. Karten bei der Stadtinformation, (08331) 850-172, oder an der Abendkasse.