Rückzug nach 36 Jahren

Deutschlands dienstältester OB sagt ade

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36 Jahre lang war Ivo Holzinger Oberbürgermeister der Stadt Memmingen. Jetzt tritt der SPD-Politiker ab.

Bild: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

36 Jahre lang war Ivo Holzinger Oberbürgermeister der Stadt Memmingen. Jetzt tritt der SPD-Politiker ab.

Bild: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

Ivo Holzinger regierte 36 Jahre lang im Memminger Rathaus. Jetzt endet seine Amtszeit. Von einer düsteren Prognose ließ sich der dienstälteste Oberbürgermeister Deutschlands nicht beirren.
17.10.2016 | Stand: 12:32 Uhr

Es ist ein Triumph, den Ivo Holzinger an diesem 4. Juli 2010 feiern darf. Mit Macht hatten seine politischen Gegner versucht, den langjährigen Memminger Oberbürgermeister wenigstens einmal in die Stichwahl zu zwingen. Doch selbst bei fünf Gegenkandidaten gelingt es ihm, gleich im ersten Wahlgang die 50-Prozent-Hürde zu überspringen. Holzinger schüttelt viele Hände an diesem Abend, er bekommt feuchte Augen. Die Stunde des Triumphs ist gleichzeitig der Startschuss für die letzte Etappe im politischen Leben des SPD-Politikers. Bei der nächsten OB-Wahl am 23. Oktober darf er aus Altersgründen nicht mehr antreten. Der dienstälteste Oberbürgermeister Deutschlands, seit 36 Jahren im Amt, räumt jetzt seinen Chefsessel.

Ruhig an seinem Schreibtisch im historischen Rathaus zu sitzen, die Amtszeit entspannt auslaufen zu lassen - das ist nicht sein Ding. Auch an diesem Vormittag springt der 68-Jährige mehrmals im Gespräch auf, greift kurz zum Telefon, macht sich Notizen. Holzinger ist ein quirliger Typ, einer, der in einer Ratssitzung auch mal aus dem Bauch raus reagiert, statt seine Worte mit Kalkül abzuwägen. Auch seiner eigenen Fraktion machte Holzinger es mitunter schwer, wie er zugibt: "Ich habe nie parteigetrieben gehandelt. Für mich war immer entscheidend, was die Stadt weiterbringt."

Dabei kann sich der kleine Ivo daheim im württembergischen Aalen nicht vorstellen, einmal solch eine Karriere hinzulegen. Holzinger erinnert sich, wie er als Bub den Aalener Oberbürgermeister bewunderte, als der beim Kinderfest eine Rede hielt: "Das könntest du nicht, habe ich mir damals gedacht." Und doch ist das Interesse an der Politik geweckt. Es gibt ein Vorbild in der eigenen Familie: Der Großvater war einst Dorfbürgermeister im Ries.

Ein bisschen Spaß muss sein - auch in der Lokalpolitik: Ivo Holzinger (links) mit Christian Ude im Fasching 2013 in Memmingen.
Ein bisschen Spaß muss sein - auch in der Lokalpolitik: Ivo Holzinger (links) mit Christian Ude im Fasching 2013 in Memmingen.
Bild: Dominik Berchtold

Holzinger studiert Jura und Volkswirtschaft - und hat bei dieser Fächerwahl bereits im Hinterkopf, später einmal in die Politik zu gehen. Als sich für den damals 32-Jährigen die Chance bietet, bei der Memminger OB-Wahl 1980 anzutreten, greift der Sozialdemokrat zu. Dabei ist das erste Gespräch mit den Memminger SPD-Größen nicht gerade ermutigend: "Die dachten sich, der Milchbubi hat keine Chance."

Doch es kommt anders, der jungenhaft wirkende Holzinger ist am Ende der strahlende Sieger. Schon im damaligen Wahlkampf profitiert er von einer Wesensart, die ihm jahrzehntelang die Sympathien der Memminger sichert: "Menschen aus allen Schichten begegnete er mit einer Herzlichkeit und Offenheit, dass ihm die Leute in die Arme gefallen sind", erzählt der frühere Memminger SPD-Landtagsabgeordnete Herbert Müller. Diese Popularität bringt Holzinger in all den Jahren auch die Stimmen mancher Wähler, die mit seiner Politik eigentlich gar nicht zufrieden sind.

Als er 1980 erstmals zum Oberbürgermeister vereidigt wird, stellt ein altgedienter Kommunalpolitiker eine düstere Prognose: "Mönchlein, du gehst einen schweren Weg." Doch von diesem einst auf Martin Luther gemünzten Satz lässt sich Holzinger nicht beirren: "Ich dachte mir, du wirst dich wundern."

Der neue OB reagiert mit einer Gelassenheit, die ihm auch später noch häufig hilft. Ihren Ursprung hat sie in einem traumatischen Erlebnis. Holzinger ist noch ein junger Mann, als seine Mutter überraschend mit 53 stirbt. "Das hat mich geprägt. Man muss im Leben abwägen und darf den Beruf nicht überbewerten. Das macht einen freier."

Jetzt, wo seine Polit-Karriere auf der Zielgeraden angekommen ist, kann Holzinger auf viele Erfolge zurückblicken. Die 43 000-Einwohner-Stadt Memmingen ist eine wirtschaftsstarke Kommune mit dem zweitgrößten zusammenhängenden Gewerbegebiet Schwabens und einer Arbeitslosenquote von nur 2,8 Prozent. In Holzingers Amtszeit fand eine Landesgartenschau statt, das kulturhistorisch bedeutsame Kreuzherrnkloster wurde saniert, die beiden Kliniken wurden zusammengelegt. Das Kuriose dabei: Der 68-Jährige ging mit den städtischen Mitteln mitunter so sparsam um, dass ihm einzelne Stadträte Knausrigkeit vorwarfen.

"Wir haben so viel erreicht, wie man es sich nicht hätte vorstellen können", bilanziert Holzinger heute und sieht Memmingen im Vergleich mit Nachbarstädten - etwa dem Allgäuer Dauerrivalen Kempten - in einer sehr guten Position. Maßgeblich für diese Entwicklung ist in Holzingers Augen das Autobahnkreuz (A 7/A 96), das die Ansiedlung bedeutender Firmen wie der Spedition Dachser oder aktuell eines Ikea-Möbelhauses massiv befeuert hat.

Ein Ende des Gewerbe-Booms auf der grünen Wiese sei nicht in Sicht: "Da ist noch Luft nach oben", sagt Holzinger, für den Wirtschaftspolitik stets "absolute Chefsache" war. Mit den Jahren sei aber nicht nur die Bedeutung Memmingens gewachsen, sondern zugleich die Konkurrenz zum Einzelhandels-Primus Kempten mit seinen 67 000 Einwohnern geschwunden. "Heute dominieren das Miteinander und die Gemeinsamkeiten."

Natürlich gibt es auch Enttäuschungen in einer so langen Amtszeit. "Es hat wehgetan, dass wir keine Fachhochschule bekommen haben", hat der Rathauschef einmal in einem Interview gesagt. Ein Nackenschlag war auch die Schließung des Bundeswehr-Standortes im benachbarten Memmingerberg: "Das hat mich mehr getroffen, als ich es jemals gezeigt habe." Auf dem früheren Fliegerhorst-Gelände befindet sich heute der Zivilflughafen Allgäu-Airport, den Holzinger voll unterstützt: "Er hat eine Bedeutung für den gesamten Raum zwischen München und Stuttgart."

Bald wird Holzinger all das nur noch als interessierter Beobachter verfolgen. Am 21. November wird sein Nachfolger vereidigt. Holzinger hat dann mehr Zeit für seine Frau Margrit, mit der er seit 42 Jahren verheiratet ist, für seine zehn Quadratmeter große Modelleisenbahn und für Bücher des Literatur-Nobelpreisträgers Alexander Solschenizyn. Außerdem wird der frühere Fußball-Schiedsrichter wohl öfters auf der Tribüne anzutreffen sein, wenn die Kicker des FCM ihre Heimspiele austragen. "Ich bleibe in Memmingen und möchte hier künftig als ganz normaler Bürger leben", kündigt Ivo Holzinger an. Nun ja, ganz so wird es nicht sein: Der Stadtrat will ihn zum Ehrenbürger ernennen.