„Ich bin schon aufgeregt, ja“, sagt Marion Leiber, wenn sie an ihre Priesterweihe denkt. Die findet am 5. Oktober in Bonn statt. Nach diesem Tag wird Leiber eine von vier alt-katholischen Priesterinnen in Bayern sein. Im Allgäu ist die 59-Jährige die Einzige. Dass gerade in Krisenzeiten der Glaube eine Quelle der Hoffnung und der Kraft sein kann, möchte sie den Menschen zeigen – und dabei ihre Erfahrung als Frau einbringen.
Marion Leiber arbeitet hauptberuflich als Psychotherapeutin und ehrenamtlich als Diakonin in der alt-katholischen Gemeinde Kempten. Auch den pastoralen Dienst möchte sie ehrenamtlich ausüben. „Ich bin ja schon ein etwas älteres Semester und habe meinen beruflichen Weg bereits gefunden“, sagt sie. „Aber der Glaube liegt mir so am Herzen, dass ich meine theologische Kompetenz weiter einbringen möchte.“
Was ist die alt-katholische Kirche?
>> Entstehung:
Das Erste Vatikanische Konzil beschloss 1870 die Unfehlbarkeit des Papstes und dessen absolute Rechtshoheit über alle Gläubigen. Einige Bischöfe und Laien protestierten dagegen, woraus schließlich die alt-katholische Kirche hervorging.
>> Name:
"Alt" bezieht sich auf die alte Struktur der Teilhabe im ersten Jahrtausend vor der großen Kirchenspaltung im Jahr 1054. Die Bischöfe waren unabhängig und der Papst durfte keine Lehre ohne ihre Zustimmung verkünden.
>> Gemeinsamkeiten:
Der alt-katholische und der römisch-katholische Kirchenraum sehen gleich aus. Auch der Ablauf der Gottesdienste ist identisch, ebenso die kirchlichen Ämter (Bischöfe, Priester, Diakone) und die liturgische Kleidung. Beide Kirchen werden über die Kirchensteuer finanziert.
>> Unterschiede:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt und können demzufolge zum Diakon, Priester und Bischof gewählt werden - und sie dürfen heiraten. 1996 wurden die ersten beiden Frauen zu alt-katholischen Priesterinnen geweiht. Bischöfe, Pfarrer und Laiengremien werden in den Kirchengemeinden demokratisch gewählt.
>> Zuständigkeit:
Die alt-katholische Gemeinde Kempten-Allgäu ist für Kempten und das Oberallgäu zuständig. Eine weitere Gemeinde befindet sich in Kaufbeuren-Neugablonz. Gottesdienste finden aber auch in Buchloe, Dirlewang (Unterallgäu), Memmingen, Marktoberdorf und Oberstdorf statt.
Dabei ist die gebürtige Offenburgerin nicht christlich erzogen worden. Zum Glauben gefunden hat sie während einer schweren Krise: Als Leiber 17 Jahre alt war, nahm sich ihr Vater das Leben. „Ich habe mich gefragt, was das Leben bedeutet und woran ich mich ausrichten kann“, erinnert sie sich. Ihre Mutter konnte die Sinnfragen der Tochter nicht beantworten. In einer katholischen Jugendgruppe fand sie Menschen, die sie unterstützt haben. „Da habe ich gemerkt, es gibt eine Kraft, die einen trägt in so einer Zeit der Dunkelheit.“
Der Glaube liegt mir so am Herzen, dass ich meine theologische Kompetenz weiter einbringen möchte.Marion Leiber
Später hat Leiber römisch-katholische Theologie und Psychologie in Freiburg studiert. Danach arbeitete sie sieben Jahre lang als Diözesanfrauenreferentin im Erzbistum Freiburg. Bis 1994 Papst Johannes Paul II. die Enzyklika „Ordinatio sacerdotalis“ veröffentliche – ein Schreiben, in dem er anordnete, dass die Kirche keinerlei Vollmacht habe, Frauen die Priesterweihe zu spenden. „Das war für mich der Anlass, meinen Job zu kündigen“, sagt Leiber. „Ich sah für mich keine Perspektive mehr.“
Zwiespalt wegen sexueller Orientierung
Fortan arbeitete sie als Therapeutin. Bis sie aus der römisch-katholischen Kirche aus- und in die alt-katholische eintrat, vergingen jedoch fast zehn Jahre. Zu dieser Zeit lebte sie schon mit der Frau in einer Partnerschaft, mit der sie heute verheiratet ist. Dass sie lesbisch ist, sei von ihren Kollegen im Erzbistum Freiburg toleriert worden. „Aber für mich war es immer ein Zwiespalt, dass die Kirche meine Lebensform nicht akzeptiert.“
Leiber glaubt, dass es viele Frauen – egal welcher sexuellen Orientierung – in der römisch-katholischen Kirche gibt, die ungeduldig sind – aber nicht austreten. Die emotionale Bindung sei dann doch zu groß.
Für mich war es immer ein Zwiespalt, dass die Kirche meine Lebensform nicht akzeptiert.Marion Leiber
Um alt-katholische Priesterin werden zu können, besuchte sie vier Semester lang das alt-katholische Seminar an der Universität Bonn – ein Vertiefungsstudium und das einzige seiner Art in Deutschland.
Für Leiber ist die alt-katholische Kirche ein „Laboratorium des Geistes Gottes“: Gemeinsam mit den Laien würden Wege gesucht und ausprobiert, wie Kirche funktionieren, wie ein offenes Miteinander auf Augenhöhe gelebt werden kann. „Wenn Glaube nicht dem Leben der Menschen dient, ist er nutzlos“, sagt sie.
In ihrer künftigen Arbeit als Priesterin möchte sie besonders den Menschen Angebote machen, die keiner Kirche nahe stehen – oder nicht mehr. Dabei geht es ihr um die Frage, wie der Glaube Relevanz im Alltag bekommen kann. „Wir brauchen neue Rituale, neue Bilder und eine neue Sprache, um diese Erfahrung ausdrücken zu können.“
Und die Frauen in der römisch-katholischen Kirche? Leiber hat immer noch die Hoffnung, dass „die große Schwester“ erkennt, dass sie die Hälfte der Menschen nicht aus Leitungspositionen heraushalten kann. „Die Kirche schwächt sich dadurch in ihrem Auftrag, dem Heil der Menschheit zu dienen. Und die besteht aus Männern und Frauen.“
Primiz: Marion Leiber feiert ihren Primizgottesdienst am Sonntag, 20. Oktober, in der Kirche Maria von Magdala der alt-katholischen Gemeinde in der Lindauer Straße in Kempten. Beginn: 10 Uhr.