Würde sich Thomas Böck in seiner Heimatstadt auf den Marktplatz stellen und von seiner Karriere bei Claas schwärmen - er erntete wohl Kopfschütteln. Denn was Traktoren angeht, zählt in Marktoberdorf nur Fendt. Böck, 48, seit kurzem Claas-Vorstandschef, weiß das. Immerhin lebte er bis 2001 in der Stadt und arbeitete selbst bei Fendt, wo auch seine steile Karriere begann. Sie führte den leidenschaftlichen Bergsteiger bis ins nord-nordrhein-westfälische Harsewinkel. Dort ist das Landtechnik-Unternehmen Claas verwurzelt. Als Vorstandschef der 11.000-Mitarbeiter-Firma ist der Marktoberdorfer auf dem Karrieregipfel angekommen. Die Freude darüber merkt man dem Allgäuer an...

Herr Böck, Sie waren Entwicklungsingenieur bei Fendt, sind aber jetzt ausgerechnet Chef eines Konkurrenten. Trauen Sie sich noch, an den Fendt-Gebäuden vorbei zu fahren oder zu gehen?
Böck: Aber sicher. Ich habe bei Fendt noch viele Freunde und unterhalte mich noch gerne mit den ehemaligen Kollegen. Über Privates. Dienstgeheimnisse gibt natürlich keiner weiter (lacht). Aber es gibt auch Querverbindungen zwischen den Konzernen Claas und AGCO.
Aha, welche bestehen da?
Böck: Das Getriebewerk im französischen Beauvais ist ein Joint Venture. Man trifft sich da im Aufsichtsrat. Ich freue mich auch immer, wenn ich bei Messen wie der Agritechnica auf die Fendt-Vorstände Peter-Josef Paffen und Dr. Heribert Reiter treffe, die ich seit Jahren kenne. Zusammen mit Marketingchef Roland Schmidt habe ich Mitte der 90er sogar bei Fendt angefangen.
War Fendt Ihr erster Arbeitgeber?
Böck: Nein, ich wollte erst in die Elektronikbranche und habe deshalb ein Praktikum bei Elektro Radio Koch gemacht. Da gab es aber auch einen Berührungspunkt zur Familie Fendt: Ich habe damals bei Peter Fendt in Weibletshofen eine Satellitenanlage installiert. Über einen Zulieferer, Sensortechnik Wiedemann, kam ich dann aber zur Firma Fendt und habe dort meine Diplomarbeit gemacht - über die Elektronifizierung eines Kartoffelroders.
War das Ihr erster Berührungspunkt mit der Landwirtschaft?
Böck: Nein, ich bin mit meiner Oma schon auf dem Feld gewesen, als ich acht war und bin dort in den Ferien mit dem Heuwender und den alten Deutz-Traktoren gefahren. Das war in einem Weiler bei Rückholz.
Sie haben später auch den Verkauf von Fendt an AGCO mitbekommen …
Böck: Ja, als ich anfing, dachte ich noch: "Das ist ein klasse Familienunternehmen, da kannst du bleiben." Auch mein Vater und meine Mutter haben ja bei Fendt gearbeitet. Ein dreiviertel Jahr später kam der Verkauf. Aber für mich war das eine Riesenchance: Ich konnte in einem globalen Team mitarbeiten. Fendt ist für mich nach wie vor ein tolles Unternehmen.
Fendt ist für mich nach wie vor ein tolles Unternehmen.Thomas Böck
Warum sind Sie dann 2001 gegangen?
Böck: Fendt wollte mich in der Elektronikentwicklung behalten, ich wollte mal was anderes machen. Ich bin zu Kässbohrer nach Laupheim gegangen, wo meine Frau und ich dann auch gebaut haben und wo unsere Töchter aufgewachsen sind. Und da ich beim Testen der Kässbohrer-Pistenraupen mit dabei war, bin ich in viele Skigebiete gekommen.
Technologiegetrieben und global ausgerichtet
2006 haben Sie aber ein Jobangebot von Claas angenommen. Wieso?
Böck: Die Sache bei Kässbohrer schien mir eher kurzfristig angelegt, und ich wollte eine langfristige Perspektive. Und Claas hat als Familienunternehmen eine ganz eigene Kultur, wie Fendt früher. Zudem sind wir ebenfalls technologiegetrieben und global ausgerichtet. Wir produzieren an vier deutschen und acht internationalen Standorten und erzielen über 75 Prozent des Umsatzes auf internationalen Märkten. In Russland sind wir, nachdem wir in ein neues Werk investiert haben, sogar als "vaterländischer Hersteller" für Mähdrescher anerkannt worden.

Kennen Sie alle 35 Claas-Standorte?
Böck: Noch nicht alle, nein, aber alle, Produktions- und Entwicklungsstandorte. Egal, ob sie in Deutschland, Frankreich, Dänemark oder China liegen. Ich finde es toll, wie international wir sind, weil ich es mag, mit ganz unterschiedlichen Menschen zu arbeiten. Wir sind auch privat mit unseren Kindern immer viel gereist, auch um ihnen zu zeigen, wie groß die kulturelle Vielfalt auf der Welt ist.
In Russland sind wir, nachdem wir in ein neues Werk investiert haben, sogar als "vaterländischer Hersteller" für Mähdrescher anerkannt worden.Thomas Böck über Claas
Welche Herausforderungen kommen auf Claas bei der Digitalisierung zu?
Böck: Wir bleiben ein Maschinenbau-Unternehmen. Wir wissen aber auch, dass unsere Kunden heute eine Synthese von Software und Mechanik erwarten. Wir entwickeln deshalb immer intelligentere Assistenzsysteme und können damit auch Landwirten, die weniger gut ausgebildet sind, bei der Maschinenbedienung helfen. Die Gesamtsicht aller Arbeiten auf dem Hof rückt in den Vordergrund. Wir wollen so letztlich den Kraftstoffverbrauch und die CO 2 -Emissionen reduzieren und technische Lösungen für Anforderungen anbieten, die sich für den Landwirt durch die Düngeverordnung oder den Gewässerschutz ergeben.
Sie sind jetzt Chef von über 11.000 Mitarbeitern. Eine große Aufgabe.
Böck: So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben. Aber ich zähle keine Köpfe. Ich will Dinge bewegen, deshalb wollte ich in ein Familienunternehmen. Mein Spielraum ist groß, auch weil ich mich bei Entscheidungen nur mit einem relativ kleinen Kreis an Menschen, den ich gut kenne, abstimmen muss. Sicherlich habe ich mich auch fachlich - aus der Elektronik heraus - immer breiter aufgestellt. Dahinter steckt aber kein Karriereplan. Vorstandsämter sind keine Stellen, auf die man sich einfach bewerben kann. Dahin wird man berufen.
Ihre Frau und Ihre Kinder sehen Sie aber nur am Wochenende.
Böck: Ja, das war nur zwischenzeitlich anders, als ich Geschäftsführer Technik am Claas-Standort in Bad Saulgau war. Das ist nicht weit von Laupheim und von Neu-Ulm, wo meine Frau beim Finanzamt arbeitet. Weil ihr Arbeitgeber der Freistaat Bayern ist, könnte sie auch nicht einfach zu mir nach NRW ziehen.
So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben.Thomas Böck über seine Karriere bei Claas
Wie stark sind Ihre Verbindungen noch ins Allgäu?
Böck: Stark, obwohl wir schon vor 18 Jahren weggezogen sind. Mein Vater, meine Mutter, mein Bruder, meine Schwiegermutter leben in Marktoberdorf, mein Schwager in Kempten - wo auch unsere ältere Tochter studiert. Wir sind bestimmt zehnmal im Jahr dort, zu Geburtstagen, oder auch zum Skifahren und Wandern.
Solange Sie das mit Ihren 13-Stunden-Arbeitstagen vereinbaren können.
Böck: Das hoffe ich. Als Taufpate meiner Nichte und privater System-Administrator für meinen Vater und Bruder habe ich da ja auch gewisse Verpflichtungen. Und Kontakt zu dem einen und anderen Schulfreund habe ich auch noch. Und ich verfolge auch die Entwicklung der Stadt.
Wie hat sich Marktoberdorf Ihrer Meinung nach denn entwickelt?
Böck: Positiv. Vor 20 Jahren haben wir über das "Fußgängerzönchen" in Marktoberdorf gespottet, auch weil da ziemlich viel leer stand. Jetzt sieht es in der Stadt besser aus, auch mit dem neuen Hotel, der neuen Polizeistation und den wachsenden Firmen. Und Fendt baut ja mit seinem Forum immer weiter nach außen. Und auch in der ausgebauten Bahnhofstraße mit dem Bahnhofsvorplatz sieht man, dass man angefangen hat, die Stadt zu gestalten.