Jedes Jahr am Ende der vierten Klasse stehen Eltern und Schüler vor einer schweren Entscheidung: Schafft das Kind den Übertritt aufs Gymnasium oder ist es besser, es auf Real- oder Mittelschule zu schicken? Viele erscheint das Abitur als Garant für eine gute Zukunft. Doch es gibt mehr als diesen einen Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Zwei ehemalige Augsburger Realschüler erzählen, wie sie auch ohne Gymnasium ihren Weg gemacht haben.

„Ich hatte den Schnitt, um aufs Gymnasium zu gehen“, sagt Sarah Sosinski. „Aber ich habe gerne draußen und auf dem Klavier gespielt, deshalb hatte ich keine Lust auf den Nachmittagsunterricht.“ Sie entschied sich für den Besuch der Realschule. Fast die gesamte Schulzeit sei sie „ohne großen Lernaufwand“ gut durchgekommen, so blieb Zeit für Freundschaften und Freizeit. Dass Sarah Sosinski kaum lernen musste, habe ihrer Mutter bisweilen Sorgen bereitet. „Sie meinte manchmal, ich lerne gar nicht, richtig zu lernen. Doch irgendwann habe ich Ehrgeiz entwickelt.“ Der ist der jungen Frau geblieben: Derzeit schreibt sie ihre Doktorarbeit in Neuerer deutscher Literatur an der LMU München.
Neben der Möglichkeit, sich im eigenen Tempo entwickeln zu können, habe der Realschulbesuch weitere Vorteile gebracht: „Ich konnte einen Schulzweig wählen, der meinen Interessen entsprach.“ In ihrem Fall waren es der Kunstzweig der Realschule und ein Wahlkurs Theater. Praktika ermöglichten ihr, sich in der Arbeitswelt zu orientieren. Schnupper-Praktika in Buchhandel und der Gastro folgten, an der Fachoberschule (FOS) weitere in der Pflege und an einer Grundschule. Dadurch wusste Sarah Sosinski bald: „Es gab keine Ausbildung, die mich genug interessiert hätte, ich wollte studieren.“
Nachteile brachte ihr Weg zur Hochschulreife kaum, sagt die junge Frau: „Als ich angefangen habe, Deutsch zu studieren, fehlte mir Latein als Voraussetzung. Wir haben an der Realschule auch nicht so viel klassische Literatur gelesen oder über Politik gesprochen.“ Diese Kenntnisse habe sie an der Uni und auf Reisen in die USA aufgeholt. Nach dem Bachelorstudium folgten Masterabschlüsse in internationaler und deutscher Literatur an der Uni Augsburg sowie ein Israel-Aufenthalt. Aktuell arbeitet Sosinski als wissenschaftliche Mitarbeiterin an zwei Universitäten: in Augsburg und an der LMU München.
Abendrealschule Augsburg: Wo Erwachsene noch einmal die Schulbank drücken
Die Entscheidung für eine Schulform muss nicht immer im Jugendalter fallen. Viele Erwachsene besuchen die Abendrealschule, die in Augsburg an die Agnes-Bernauer-Realschule angegliedert ist, um einen Abschluss nachzuholen. Am Morgen tummeln sich in den Räumen Teenager, am Abend lernen hier Menschen im Alter von 17 bis über 50 Jahre. Leiter der Abendrealschule ist Matthias Norys, der weiß, dass Lernen am Abend nicht allen leicht fällt: „Manchen sinkt der Kopf im Laufe des Abends schon in Richtung Bank.“ Doch es gibt viele Erfolgsgeschichten.
Eine kann der ehemalige Absolvent Daniel Schuhgart erzählen. Er rückte dmit 33 Jahren und einer Vollzeitbeschäftigung noch einmal die Schulbank. „Eine Vorstellung, wie es ist, wieder im Unterricht zu sitzen, hatte ich ehrlicherweise nicht“, erzählt er rückblickend. Trotz einiger Hochs und Tiefs half ihm vor allem die Klassengemeinschaft dabei, motiviert zu bleiben. Immerhin bedeutet der Besuch der Abendrealschule, zusätzlich zur Arbeit an vier Abenden in der Woche im Unterricht zu sitzen. Das sei nicht immer leicht.

Ein Eindruck, den Schulleiter Matthias Norys bestätigt, denn es brauche trotz der qualifizierten Lehrer, die in der Eingangsklasse sogar zu zweit unterrichten, viel Engagement seitens der Schüler. Nur knapp die Hälfte ziehe den Unterricht bis zum Realschulabschluss durch - ohne zusätzliche Förderstunden wären es noch weniger. Das liege aber oft auch an den Hürden, die mancher vor sich hätte: „Manchmal sind das psychische Erkrankungen, manchmal auch Kinder oder Sprachhürden.“
Von der Augsburger Abendrealschule zum Meister
Daniel Schugart erzählt, weshalb er noch einmal lernen wollte in einem Alter, in dem die meisten froh sind, wenn sie nie wieder eine Schule von innen sehen müssen: „Damals hatte ich berufliche Rückschläge zu verkraften, die sich auf meine mentale Gesundheit auswirkten. Ich suchte nach einer Möglichkeit, auch geistig wieder fit zu werden.“ Schugarts Ziel: sich selbst beweisen, dass er den Realschulabschluss mit 30 plus schafft. Mit wachsenden Erfolgserlebnissen fasste er den Entschluss, auch beruflich noch einmal durchzustarten.
Nach seinem Abschluss fand Schugart einen neuen Arbeitgeber und absolvierte nebenberuflich den Industriemeister, Fachrichtung Metall. Aktuell wartet er auf die Prüfungsergebnisse. Auch dabei habe er vom Abendrealschulbesuch profitieren können: „Vor meinem Besuch dort hatte ich keinen Unterricht in Betriebswirtschaftslehre. Der aber hat mir bei meinem Meisterkurs geholfen.“
Welche Vorteile ein Besuch der Realschule mit sich bringt
„Die Realschule ist der beste Abschluss für den Start ins Leben“, ist Schulleiter Matthias Norys überzeugt. Grund: „Sie bietet so viele Möglichkeiten, weiterzumachen.“ Viele Absolventen der Abendrealschule Augsburg besuchen anschließend eine Fach- oder Berufsoberschule oder das Bayerkolleg, um das Abitur nachzuholen. Für wieder andere gehe es in eine Berufsausbildung als Erzieher, Pfleger oder Bürokaufmann. Auch für Förderschüler, die keinen offiziellen Abschluss nach neun Jahren Schulpflicht erreichen, biete die Abendrealschule die Möglichkeit, einen anerkannten Bildungsabschluss zu machen.
Info: Die Abendrealschule Augsburg bietet Informationen unter abendrealschule@augsburg.de
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